Sommer 2013: der nukleare Bubble-Tea-Winter

von Jan-Peter Wulf

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Im Sommer 2013 über Bubble Tea zu schreiben, hat etwas von einem Nachruf. Denn das Thema ist durch. Wir befinden uns im nuklearen Bubble-Tea-Winter. Vermutlich zählt der Lebenszyklus dieses Trends zu den kürzesten, den die deutsche Gastronomiewelt je erlebt hat. 

Wohl gemerkt: die deutsche Gastronomiewelt. Denn in vielen anderen Ländern, ob im Ursprungsland Taiwan, in Kanada oder Mexiko beispielsweise, gab es den Bubble Tea teils schon lange, lange zuvor und wird es ihn auch weiterhin geben. Der Aufstieg des Produkts in Deutschland ist beispiellos, sein Fall auch. 

Im Herbst 2010 kam ich mit dem Thema das erste Mal in Berührung, als ich einen Laden in Charlottenburg sah, der sich als der erste  Shop von BoboQ aus Taiwan in Deutschland herausstellte. Im März verschaffte ich mir einen Überblick über das mir seltsam erscheinende Produkt, indem ich den Shop besuchte, dort abhing, probierte und drüber schrieb. Im April 2011 recherchierte ich für ein Fachmagazin nach Bubble Tea-Shops in der Republik und kam dabei gerade mal auf ein halbes Dutzend Läden. 

Wer hätte ahnen können, was dann geschah: Eine regelrechte Bubble-Tea-Explosion setzte ein. Shop nach Shop eröffnete, Bobo Q bzw. das dahinter stehende, die Bubble-Tea-Zutaten herstellende Unternehmen Possmei, vergab einen Franchisevertrag nach dem anderen. Tea One und weitere Unternehmen eiferten dem Bubble-Primus nach, zahllose Einzelbetriebe starteten. Zunächst vor allem in Berlin. Comebuy, ein weiterer großer Player im taiwanesischen Markt, sicherte sich gar eine für das Produkt geradezu grotesk große Fläche in 1A-Lage am Hackeschen Markt.

Schnell rollte die Eröffnungswelle über das ganze Land, es gab im Frühsommer Läden von Aalen bis Zwickau. Die genaue Anzahl lässt sich nur schätzen, in der „prime time“ dürften es knapp tausend Objekte gewesen sein. Darin ist McDonald´s, das in seinen Kaffeebars Bubble Tea einlistete (wohl, um die Gefahr abwandernder Kunden abzuwenden) noch gar nicht eingerechnet.

Warum entstand so ein Hype? Und warum war er so schnell vorüber?

Bei Bubble Tea handelt es sich für den hiesigen Markt um ein völlig neues Angebot. Es wirkt jung, trendig und exotisch – die poppig-schillernde Asia-Ästhetik kommt gut bei jungen Konsumenten an. Es handelt sich aber auch um ein wirtschaftlich hoch attraktives Produkt: Um einen Shop zu eröffnen, ist in verhältnismäßig geringer Invest zu tätigen, hauptsächlich fallen Kosten für die Mix- und Versiegelungsmaschinen an, und im Vergleich zu Frozen-Yogurt-Maschinen sind diese noch recht günstig. Für die Zubereitung braucht man kaum Food- oder Beveragekompetenz, es ist alles fertig und muss lediglich zusammengefügt werden. Der Verkaufspreis von ca. 3 bis 3,50 Euro für 0,5l ist hoch im Verhältnis zum Wareneinsatz, der mit 60 Cent pro Becher schon hoch angesetzt sein dürfte – eine attraktive Marge lockt. Dies sind meiner Meinung nach die Faktoren für den Hype.

Plus: der Social-Media-Hype rund um das Produkt. Bubble Tea ist aus meiner Sicht das erste erfolgreich über Facebook eingeführte F&B-Produkt in Deutschland. Sein Bekanntheitsgrad stieg in Deutschland über soziale Netzwerke derart schnell an, dass es Marketingmenschen anderer Unternehmen die Tränen in die Augen getrieben haben dürfte. Vor allem für BoboQ wurde Facebook zur nahezu kostenlosen Kommunikationszentrale rund um Neueröffnungen, die teilweise im Tagestakt erfolgten, für Kundenrückfragen und mehr. Noch heute rangiert das Unternehmen unter den Top 15-Gastromarken auf Facebook, mit rund 50.000 Fans (plus denen der einzelnen Shop-Facebookseiten).

Doch die Dynamik dort ist heute futsch. Die Seite wirkt so schwungvoll wie ein Versicherungsunternehmen in Second Life. Nix mehr los. Der aktuellste Post, der erste seit Monaten überhaupt, weist auf einen aktuellen Artikel der Zeit hin. Dieser fragt ebenfalls danach, warum der „kürzeste Trend des deutschen Einzelhandels“ so abrupt endete. Die Antwort dort: Das Ende begann im August 2012. Forscher der RTWH Aachen wollen „in den Tapioka-Perlen (…) krebserregende Stoffe gefunden haben“, so die Zeit. Womit sie falsch berichtet: Tapioka ist ein Naturprodukt, das aus Maniok extrahiert wird, das wiederum ist eine traditionelle Nahrungsgrundlage von Millionen Menschen auf der Welt. Wenn überhaupt, dann dürften entweder die Bobas oder die Sirupe, die für Bubble Tea zum Einsatz kommen, schädliche Inhaltsstoffe enthalten. Doch das ist bis heute nicht erwiesen: „Jede Menge Dreck“ soll sich im Bubble Tea befunden haben, zitiert die Rheinische Post einen Aachener Forscher in ihrem Beitrag vom 21. August 2012, der damit die Ergebnisse der Überprüfung genau eines (!) Bubble-Tea-Shops kommentiert. Viele große und kleine deutsche Zeitungen rezitierten oder phrasierten diesen eiligen Beitrag der RP ebenso eilig, von der SZ über die Bild bis zu lokalen Blättern. „Krebserregend“, „Giftstoffe“, „Lebensgefahr“ plus „Bubble Tea“ ist in den Headlines zu lesen. 

Fakten? Fehlanzeige. Bis heute. Im September 2012 ließ das Verbraucherministerium NRW mitteilen, dass eine Untersuchung von 84 Proben keine giftigen Inhaltsstoffe zu Tage bringen konnte. Fast jeder Anbieter ließ auch selbst Laborproben anfertigen – gefunden wurde bis heute nichts, was den Verdacht erhärten würde, dass von Bubble Tea eine Gefahr für die Gesundheit ausgeht. 

Doch das Kind war längst in den Brunnen gefallen, der Ruf ist nachhaltig ramponiert. Ich war im August und September viel in Einkaufszentren und Malls unterwegs, in Fußgängerzonen und anderen Hochfrequenzlagen. Die Schlangen vor den Bubble-Tea-Läden, die sich im Frühsommer noch gebildet hatten, waren weg. Überall. Und sie blieben weg. Auch bis heute, wie die Fakten der Gefahr. Ein Laden nach dem anderen schloss, oder rüstete notdürftig um, auf Waffeln (das andere große Trendthema 2012), auf Frozen Yogurt, auf Eis, auf Milchshakes, auf Asia-Food, auf Tees ohne Bobas, auf veganes Vietnam-Food, auf was auch immer. Gerettet hat das wohl die wenigsten Shops. Wer sich einmal für ein Monokonzept entscheidet, der kommt aus der Nummer nur noch selten raus. Und wenn die nicht funktioniert, dann ist der Drops gelutscht. 

Um es klarzustellen: Bubble Tea war von Anfang an ein in seiner Dimension völlig überbewertetes Thema. Zu schnellen Schließungen wäre es vor dem Hintergrund zu vieler Anbieter und dem dadurch entstandenen hohen Konkurrenzdruck auch ohne die Medienberichterstattung gekommen. Keine Frage.

Aber, und das ist der Unterschied – und deswegen ist es meiner Meinung nach eben nicht egal, was letztlich der Grund war, warum Bubble Tea jetzt kaum noch zu sehen ist – wir hätten heute einen konsolidierten Markt mit einer überschaubaren Anzahl an Shops. Wie in allen anderen Ländern, in denen es Bubble Tea gibt. Alles hätte sich wie immer geregelt im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage, typisch Marktwirtschaft halt. Bubble Tea-Läden würden nebst Eisdielen und Kaffeebars und Froyo-Shops und Dönerläden und anderen das Innenstadtbild zwar nicht prägen, aber ergänzen.

Bubble Tea kann einem gefallen, muss es aber nicht. Ich mag Bubble Tea überhaupt nicht, aber das spielt überhaupt keine Rolle. Ich bin auch nicht Zielgruppe. Doch diese gibt es: Menschen, zumeist junge Menschen, die Lust auf ein süßes, buntes Produkt haben. Und: Die Lust haben, sich selbst ihr Produkt zusammenzustellen. Von diesem Erfolgsfaktor ist wenig zu lesen gewesen, wo sonst allerorts von Prosumenten zu lesen ist. Dafür hätte man mal lauschen sollen, mit welcher Leidenschaft sich manche Kids über die Kombination des Tees, des Sirups und der Toppings ausgetauscht haben. Das mag man mit geschulter und gereifter Zunge, die Bubble Teas einzig und allein süß empfindet, kindisch finden, und das ist es auch – etwas für Kinder, nichts für alte Leute.

Mit dreizehn, vierzehn Jahren hätte ich vermutlich auch einen großen Spaß an einem Produkt gehabt, das ich ein Stück weit selbst mitgestalten kann. Am Anfang war in den Shops von BoboQ alles ausschließlich in Englisch und Mandarin ausgezeichnet. Das war den Kids so was von egal! Sie gaben sich einfach untereinander Tipps, probierten aus und teilten ihre Lieblingskombinationen auf Facebook. Erwachsene verstanden das alles nicht und betraten die Läden meist gar nicht erst. Umso besser für die Youngster: Bubble Tea war immer auch ein kleines gastronomisches Refugium für sie. Auch das ist jetzt weg. 

Noch etwas: Die Hinweise darauf, dass Bubble Tea dick mache und ungesund sei, die den ersten Gefahrenwarnungen nachgeschoben wurden (vermutlich auch, weil dort einfach keine Fakten folgen wollten), finde ich geradezu lächerlich. Ungesund und dick machend sind auch Speiseeis, Waffeln, Zuckerwatte, Milchshakes, Eistee, Frozen Yogurt (jaja, ich weiß, reduzierter Kaloriengehalt) und viele andere Dinge, die – nicht nur junge – Menschen gerne naschen oder trinken. 

Es wurde noch obskurer: Auch eine Verschluckungsgefahr, besonders für Kleinkinder, stelle Bubble Tea mit seinen Perlen dar, wurde dann berichtet. WTF? Eltern, die ihren Kleinkindern ein solches Produkt zum Trinken anbieten, brauchen keinen Warnhinweis, sondern – meine Meinung – sind ein Fall fürs Jugendamt. „Wenn schon Warnhinweise, dann bitte auch auf Müslitüten“, ätzt ein Kommentator des dradio zurecht. Spielte da am Ende ein Generalverdacht gegen alles, was aus China zu uns kommt, mit hinein?

Was solls. Das Thema ist durch, die Blase ist geplatzt. Deutschland im Sommer 2013: nuklearer Winter für den Bubble Tea und damit für ein gastronomisches Konzept. Das ist nicht nur schade, sondern eine Sauerei. Hier haben die Medien sich, das ist meine Meinung, schnell und mit wenig Recherche auf ein Thema gestürzt und haben damit ordentlich Schaden angerichtet. Wie schnell man sich mit so einer Methode verrennen kann, hat Thomas Knüwer kürzlich anhand eines anderen gastronomischen Falls beispielhaft seziert

Wer sich in eine gastronomische Existenz hineinwagt, trägt immer ein Risiko. Viele, viel zu viele, haben mit Bubble Tea auf das falsche Pferd gesetzt, nicht hinreichend den Markt und sein Potential analysiert. Den Genickschuss hat das Pferd aber von der schreibenden Zunft erhalten, und das bei vollem Galopp. 

 

 

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4 Kommentare

TaiFei 21. April 2020 - 13:00

Das sich das Geschäft mit dem Bubble Tea nun so langsam wieder rentiert, legt der dt. Mainstream gleich wieder nach
https://www.stern.de/familie/kinder/darmverschluss-nach-bubble-tea-genuss—teenager-hatte-zwei-unverdaute-klumpen-im-bauch-9098616.html
Man sollte vielleicht auch mal dringend gegen Haribo vorgehen. Wenn ich eine Tüte unzerkaut runterschlucke, bekomme ich bestimmt auch Darmverschluss.

Antwort
Brigitte 5. September 2013 - 23:49

….Meine Tochter besitzt nun seit einem Jahr in der Pfalz einen ganz schnuckeligen Bubble Tealaden .
Kocht ihren Tee täglich frisch , ganz ohne Zucker u.s.w. Die anderen Zutaten für den Bubble Tea bestimmt ihre Kundschaft selberob süß oder weniger . Sie ist da ganz flexibel und von wegen 500kal oder so , das stimmt schon mal garnicht . Höchstens 200 sind es , sie hats zu anfang ausgerechnet .Ja und ….giftig ….ist da überhaupt nichts , sie hat es schwarz auf weiss!!!
Warum glaubt man alles gleich was die Medien schreiben oder sagen , man sollte sich selbst ein Urteil darüber bilden !Zum Glück gibt es aber noch immer ihre Stammkunden , jung und auch alt , die gern zu ihr kommen und auch immer wieder neue Kunden die sie vom Gegenteil überzeugen kann .Sie versucht nicht stehn zu bleiben und es gibt immer neue Überraschungen und Events und das ist auch gut so !!Sie hat nnen langen Atem und wehrt sich gegen diese Lügen …jawohl !!!
Wir sind sehr stolz auf unsere Tochter wie sie das alles so macht und stets Stärke zeigt und guten Mutes weiterhin ist und wir steh voll hinter ihr . Egal was da gesagt wird , wir wissen da mehr darüber .
Bei ihr war sogar ne ganze Schulklasse mit ihrer Lehrerin und sie lobten sie und ihr Getränk und den Laden ..
Die Nachbarschaft steht auch voll hinter ihr und kommt täglich zu ihr und trinkt und isst was unbd hat und hatte nie Bedenken . Zu schade dass man so schnell alles negative glaubt , tut weh wenn man hört so zufällig …ach aucch so ein unnötiger Laden …die wissen ja garnicht was sie da sagen .Echt gemein ….wo man soviel Herzblut ständig reinsteckt und …kein …MC Donald …ist !!!! Doch na ja noch ist nicht aller Tage Abend , wir gehn mit ihr weiter durch und glauben an den Laden und geben nicht auf und es wird bestimmt noch viel passieren und wir tun es mit sehr viel Freude und Liebe !Na ja …ich weiß all das was ich ihr schreibe ist eh für die Katz , aber es mußte mal raus!

Antwort
Dennis 26. Juni 2013 - 16:42

Ich finde es nicht so katastrophal. Es ist doch klar, dass die Presse sich geirrt hat, als sie die Gerüchten für Wahr genommen haben. Trotzdem gibt es viele Läden, die immer noch „Bubble-Tea“ und andere Produkte mit ebenso wenigem Nährwert anbieten. Nun jetzt gibt es nich mehr einen Bubble Tea-Shop an jeder Ecke. Nichts normaler als das.
VG

Antwort
oTTo Jung 25. Juni 2013 - 09:53

Präzise, korrekte Analyse, klare Worte. So geht Journalismus! Bravo & großes Kompliment

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