Entspann Dich: Neue Wein-Events ohne Connaisseur-Attitüde

von Jan-Peter Wulf

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Mit Wein ist das so eine Sache: Die meisten trinken ihn – zumindest ab und an – mal ganz gerne, grundsätzlich und generisch scheiden sich an Wein weniger die Geister als zum Beispiel am Bier. Da draußen gibt es aber neben vielen guten (gleich gut schmeckenden) auch viele nicht so gute (gleich nicht so gut schmeckende) Weine, der Preis ist dabei nicht immer das hinreichende Kriterium, um eine Unterscheidung treffen zu können.

Überhaupt: Unterscheidung. Im Gegensatz zum Bier – wobei ich wette, das ändert sich bald, aber das ist eine andere Geschichte – muss man sich ja fast distinguieren, bestimmte Vorzüge nennen können, irgendwie Kennerschaft beweisen, während man sein Bier mehr oder minder achselzuckend hinunterschluckt. Wein trinken ist wie Suhrkamp-Bücher lesen, das macht man bitteschön nicht einfach so, da muss man schon ein bisschen Bescheid wissen, was man da tut, etwas Vorbildung braucht es da schon.

Warum ist das eigentlich so? Wenn ich mir anhöre, wie sich Kunden in Weinhandlungen beraten lassen oder vom Service im Restaurant, dann fällt mir ein Begriff ein, den man in einem Suhrkamp-Buch lesen könnte: Komplexitätsreduktion. Das ist der innere Wunsch (deswegen hat eine gute Weinkarte im Restaurant auch nicht +20 Positionen). Der Kunde-Gast schreit stumm: Hilfe, berate mich! Schränke das große Ganze sinnhaft für mich ein! Was dann folgt, ist nicht selten das Zurschaustellen der Kennerschaft (und zugleich das Bloßstellen der Nichtkennerschaft des Kunden/Gasts). Traube, Terroir, ganz kleiner Winzer und so weiter. Statt zu tun, was Bartender nicht müde werden zu betonen: „Frage nach, was den Leuten schmeckt und was nicht, und baue darauf Deinen Drink auf“, geht es bei Wein oft stocksteif zu. Am Ende wird dann der Empfehlung des Beratenden gefolgt, die keine war. Man will sich aber wieder der Begleitung zuwenden oder muss noch ein weiteres Geschenk einkaufen und hat keine Zeit mehr. 

Wenn ich Weinzeitschriften lese, bin ich meist so klug wie zuvor. Vor allem aber: Ich habe gar keine Lust mehr, Wein zu trinken. Mit Genuss hat mir das oft wenig zu tun, eher mit Akkumulation von ökonomisch-kulturellem Kapital (Suhrkamp!) im hauseigenen Keller. Wein ist wie Whisky – wehe, Du trinkst ihn, ohne vorher den Grad der Torfigkeit auswendig gelernt zu haben. Wildlederjackrig, schrullig, spaßbefreit. Könnt ihr gerne machen, aber ohne mich. 

Wenn ich was über Wein wissen will, gerne auch die schrägen abseitigen Anekdoten, dann vertraue ich z.B. Manfred Klimeks Reportagen in verschiedenen Zeitschriften. Der Mann weiß exakt 100% mehr über Wein als ich und er lädt mich ein, daran teilzuhaben, ohne dass ich gleich die Segel streiche. Die fünf Thesen des Blogs, an dem er mitschreibt, Captain Cork (mein Lieblings-Weinblog und der einzige, den ich lese), sollte sich jeder Weinverkäufer, on- oder offtrade, hinter den Tresen pinnen. Weinevents: Puh. Hier kondensiert sich das Gesagte auf ein Veranstaltungsformat, das so spröde ist wie das Brot, das man zwischen Wein sieben und Wein acht zwecks Unterscheidung (!) kaut.

Kürzlich war ich zu einem Event eingeladen, bei dem jeder Gast seinen Lieblingswein mitbringen sollte und vor Ort einen korrespondierenden neuseeländischen Wein vorgestellt bekam. Das fand ich ganz gut – hier wurde über den persönlichen Geschmack gegangen. Das ist anschlussfähig, wie ein großer Suhrkamp-Autor sagen würde. Jetzt habe ich von zwei Wein-Eventformaten gehört, die ebenfalls interessant klingen: Weinmomente, eine junge Veranstaltungsreihe, bei der Weine beim Burgeressen, auf der grünen Wiese oder beim Betrachten von Graffitikunst vorgestellt und verkostet werden – die Weine werden jeweils zum Kontext, in dem das Event stattfindet, ausgewählt. Komplexitätsreduktion! Theoretisch klingt das schon mal  gut, ich werde mir das alsbald mal in praxi anschauen.

Ein anderes Beispiel ist Weine vor Glück, ein Weinfestival, das schon zum zweiten Mal in meiner alten Heimat Bochum stattgefunden hat (ein Grund mehr, mal wieder hinzufahren). Das Format mit poetischem „Wine Slam“, Wein- und Koch-Events, Partys und Verkostungen klingt sehr interessant, und der Slogan gefällt mir auch: Mit Leidenschaft und Liebe wollen wir ein zeitgemäßes Verständnis für Wein schaffen! Wir wollen eine moderne Weinkultur! Es ist Zeit vor Glück zu Weine(n)!

Ja, es gibt es da draußen ein Bedürfnis nach entspannterem Zugang zum Wein, und möglicherweise gibt es noch mehr Formate und Medien, die dieses Bedürfnis schon erkannt haben und bedienen. Ich kenne sie aber nicht. Wer sachdienliche Hinweise für mich hat, dem bin ich dankbar. Cheers!

Nachtrag: So schnell kann es gehen, ich wurde dankenswerterweise auf eine spannende Weinreihe namens Geschmackssache Heimat aufmerksam gemacht, die zurzeit auf Deutschland-Tour ist. 

Nachtrag 2: Wie konnte ich WineVibes vergessen.

Foto: Kork via Shutterstock

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