Probier’s mal mit Erschwinglichkeit

Das Konzept gegen die Gastroflaute?

von Jan-Peter Wulf
Credit 6.90 Group - management, konzepte, gastronomie Probier’s mal mit Erschwinglichkeit

Foto: 6.90 / Ephemera Group

Einkauf, Energie, Miete: Wenn das Leben immer teurer wird, bleibt dann noch Geld für Gastronomie übrig? Mit Erschwinglichkeit – moderat im Preis, gut in der Qualität und kalkulatorisch attraktiv – stellen sich Betriebe auf die neue Realität ein. 

„Gerichte günstiger als zu Hause“, „dein Mittel gegen die Inflation“ und der Kampfpreis von 6,90 Euro pro Hauptspeise mitten auf der Webseite: Das (mittlerweile wieder geschlossene) Pop-up-Restaurant 6.90 im zentralen Pariser Stadtteil präsentierte sich im Discounter-Modus. Die Idee des Konzepts: ein Zeichen setzen gegen die allgemeine Verteuerung, die den Besuch eines Restaurants für immer mehr Menschen – auch im genussaffinen Frankreich – zum Luxus macht. Für unter sieben Euro gab es hausgemachte, frische, einfache Gerichte wie Wurst mit Kartoffelpüree, das Dessert kostete 2,90, das Glas Wein 3,90. Nicht gespart wurde an der Qualität, dafür an allem Drumherum – Zutatenmenge, Auswahl, Service, Anrichten, Schnickschnack.

Das Vorbild dafür ist historisch: Die berühmten Pariser Bouillons machten es auch weniger gut betuchten Stadtbewohnern ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts möglich, essen zu gehen. Schöpf- und Schmorgerichte, Aufläufe, Suppen, Hausmannskost: Die Bouillons erleben zurzeit ihre Renaissance, neben dem Klassiker „Chartier“ etwa das „Bouillon Julien“, das „Bouillon République“ oder das „Bouillon Pigalle“, um nur einige zu nennen, die wegen ihrer schönen Räume auch bei Touristen immer beliebter werden. Dagegen sieht das „6.90“ betont nüchtern eingerichtet aus – und das, obwohl hinter dem Pop-up die Ephemera Group um die Unternehmerin Jade Frommer steht, die sich auf immersive Gastronomie-Erlebnisse spezialisiert hat: mit aufwändiger Dekoration, Videoprojektionen, opulenten Gerichten und Cocktails werden faszinierende Unterwasser- oder Lavawelten geschaffen.

Mehr Gastronomie für den Alltag, bitte!

Für Tim Plasse von den „F&B Heroes“, der kürzlich das „Lady Umami“ in Frankfurt an den Start gebracht hat und demnächst ein weiteres von KI-Robotik unterstütztes Konzept in Düsseldorf lanciert, zeigt sich hierin die aktuelle Aufspaltung: Auf der einen Seite müssen Konzepte immer besonderer, erlebnishafter sein, immer mehr in Präsentation und Programm investieren, um eine bestimmte Preisakzeptanz und einen hohen Umsatz pro Kopf erzielen zu können. „Eventisierung“ nennt Plasse es. Auf der anderen Seite steht das Bedürfnis nach gutem, gesundem, nahrhaftem und werthaltigem Essen zum günstigen Preis – ganz nach dem Prinzip der Bouillons oder der polnischen Milchbars.

Doch diese Versorgungsfunktion nehme die Gastronomie, anders als der Handel oder die Gemeinschaftsverpflegung, noch viel zu wenig wahr, weil sie sich vor allem Richtung Premiumisierung entwickle, findet er. Man müsse konzeptuell klarer zwischen nicht-alltäglich und alltäglich unterscheiden: „Im Alltag brauchen wir kein Pleasure. Wir wollen eine gute Versorgung zu einem bestimmten Preispunkt. Das Angebot muss in den Alltag hinein passen, ohne dass der Gast groß darüber nachdenken muss, ob er es sich leisten will“, so Plasse. Konzepte, die innerhalb eines bestimmten, vom Gast akzeptierten („wieviel will ich maximal ausgeben?“) Preiskorridors einen Mehrwert bieten, können seiner Meinung nach hier reüssieren – öffentliche Kantinenkonzepte zum Beispiel. 

„Die Leute geben weniger Geld aus“

Ein solches haben wir mit der Publix Kantine in Berlin-Neukölln bereits vorgestellt. Sie ähnelt dem Pariser „6.90“ in vielem: Es gibt exakt ein frisch gekochtes Gericht pro Tag, unter 10 Euro, die Selbstbedienung erfolgt am Rechaud, Extras gibt’s gegen kleinen Aufpreis, danach bringt der Gast Geschirr und Besteck selbst weg. Das erschwingliche Angebot zieht nicht nur die Gäste aus den Büros des Hauses, in dem sich das Kantinenkonzept befindet, sondern auch viele Nachbarn herbei. Während die Betreiber Jeremias Stüer und Daniel Kalthoff ihr Café-Bistro „21 gramm“ schräg gegenüber weiterführen, haben sie ihr ebenfalls im Kiez befindliches Restaurantprojekt „Terz“ im Zuge der Kantinen-Übernahme auslaufen lassen. Zu teuer, zu kompliziert, so Daniel Kalthoff im Rückblick. Und nicht mehr zeitgemäß: „Die Leute geben 2025 einfach weniger Geld aus und unsere Gerichte finde ich hier fast noch besser.“

Der Einkauf als Schlüssel 

Mazlom Sediqi, Betreiber des neuen Kölner Restaurants CabiNett, hat seine Mission auf die Webseite geschrieben: „Wir möchten, dass gutes Essen für jeden bezahlbar bleibt.“ Und wie gelingt das? Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Einkauf, erklärt er – nicht im billigen, sondern im direkten. Fast alles, was er für seine Gerichte – neben Fleisch und Fisch – benötigt, bezieht er beim Gemüsehändler gleich gegenüber und spart damit nach eigenem Bekunden bis zu 50% gegenüber einem Bezug über den Großhandel. „Ich produziere auch alles selbst“, fügt er hinzu – teure Convenience- oder Vorstufenprodukte gibt es bei ihm nicht.

Seine Hauptgerichte liegen im Korridor zwischen neun und 15 Euro, auch seine Getränkepreise halte er bewusst moderat, erklärt er: „Ich werde langfristig davon profitieren, weil die Gäste wiederkommen. Schon jetzt sind einige zwei- bis dreimal pro Woche im „CabiNett“ zu Tisch. Auch für eine ganz normale Familie ist der Besuch hier kein absoluter Luxus – entsprechend viele finden ihren Weg hierher. „Es ist wichtig, die Preise so zu gestalten, dass es für alle Seiten passt“, so der Betreiber. „Manche Restaurants verkaufen Sachen, die gar nicht so teuer sein müssen. Und dann passt auch noch die Qualität nicht.“  

Vom Leuchtturm zum Elfenbeinturm und zurück

Muss das Angebot so teuer sein? Geht es nicht erschwinglicher? Diese Frage stellten sich auch Daniel Scheppan und Oliver Mansaray, deren Bar-Restaurant Kink zwar alles andere als alltäglich ist, sondern allein architektonisch spektakulär, welches aber immer zugänglich sein und möglichst viele Arten von Gästen zusammenbringen wollte. Das sei über die Jahre etwas aus den Augen geraten, berichtet Scheppan selbstkritisch und ein bisschen poetisch: „Wir sind von einem Leuchtturm zu einem Elfenbeinturm geworden.“ Was er damit meint: Die Gäste wurden immer älter (gut situierte Boomer, die sich das teurer gewordene Essengehen noch leisten können). Es kamen vor allem Paare, kaum Gruppen. Und die Bar mit ihren fast 125 Plätzen verwaiste, weil sie für dieses Publikum weniger relevant ist. 

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Foto: Marie Staggat

Weniger Durchschnittsbon, viel mehr Auslastung

2024 entschieden Scheppan und sein Geschäftspartner Oliver Mansaray, das Konzept umzustellen, im Frühjahr 2025 war es soweit: Die Gerichte wurden deutlich vereinfacht und somit günstiger, gleichzeitig stieg die Zahl der Positionen von 15 auf 24. „Feed me please“, eine Auswahl der Sharing-Speisen, gibt es für 55 Euro pro Person ab vier Personen und ist neuer Topseller. Seit Juni gibt es am Wochenende Brunch mit internationalen Klassikern. Der Servicegrad wurde reduziert, Besteckkästen werden nun am Tisch platziert. Das hochwertige und im Nachkauf entsprechend teure Porzellan wurde gegen Standardware getauscht, die Teller werden von befreundeten Künstlern individuell bemalt. Der Bierpreis, sonst überall steigend, wurde um einen Euro gesenkt. Wein by the glass, ein „ordentlicher Silvaner“, so Scheppan, beginnt jetzt schon bei fünf Euro für 0,1l.

Raus aus dem Elfenbeinturm ging es auch für die Cocktails, sprachlich gemeint: Der „Bank Exchange“ etwa, ein Pisco-Punch mit Ananas, heißt jetzt nachvollziehbarer „Pineapple Pisco Punch“. Der Umsatz pro Gast sank zwar um 22%, dafür stieg die Auslastung um 50%, zeigen die ersten Zahlen. „Wir haben viel weniger Schwankungen“, berichtet Scheppan. Und die Vermarktung der einzigartigen Location für Events, lange vernachlässigt, treibt man jetzt mit eigener Sales-Person voran.

„Auch ein guter Campingstuhl kann Design sein“

    „Die Gäste wollen günstige Preise zu anständiger Qualität. Ein Spritz für 9,50, muss das sein?“, fragt uns Marc Uebelherr. Die Antwort liefert er selbst: In seiner „Kneipe 80“ in München-Schwabing kostet er 6,90 Euro, ein Helles 3,90 Euro. „Mir ist es lieber, wenn die Gäste dreimal 3,90 Euro ausgeben als einmal 5,50 Euro“, erklärt Uebelherr. Ebenso, wenn sie zwei- bis dreimal im Monat zu ihm kommen statt nur einmal – aktuelle Umfragen zeigen, dass die Ausgehfrequenz ebenso wie das Budget rückläufig ist. Auch hier gilt das Prinzip „weglassen, was man nicht braucht“: keine Reservierungen. Kein Bargeld (der Tipp liegt dennoch bei guten acht bis zehn Prozent). Kein teures Kücheninventar – die Speisen im Korridor zwischen 14 und 18 Euro werden entweder extern produziert oder man kooperiert mit Foodtrucks. „Umso mehr können wir Hospitality machen und Gastgeber sein, die ihre Gäste begrüßen“, so Uebelherr.

 

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Die „Kneipe 80“, ein im Eighties-Style konzipiertes Pop-up mit Option auf bis zu fünf Jahre Verlängerung, haben er und Markus Bauer von der „Tasteful Hospitality“ mit einem schmalen Invest von 50.000 Euro realisiert, nutzten ausrangiertes Gastromobiliar und nagelten Kassetten an die Wände. Uebelherr: „Auch ein guter Campingstuhl kann Design sein.“ In seinem 2024 eröffneten Bowl- und Juices-Konzept „Daily Dosis“, der kürzlich wiederbelebten Kneipe „Rolandseck“ (mehr dazu auf fizzz online) sowie kommenden Projektideen sieht er den Weg, sich anzupassen. Und in Unabhängigkeit. Lange Verträge, Leasings und Laufzeiten sollte man tunlichst vermeiden, so sein Rat:  „Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich die Gastronomie neu erfinden muss.“

 

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