
Bartenderin und Buchautorin: Linh Nguyen. Alle Fotos: Daniel Esswein für den Callwey Verlag
„I made it through the wilderness, Somehow I made it through, Didn’t know how lost I was, Until I found you“ trällerte Madonna vor, kaum zu glauben, über 40 Jahren in ihrem frühen Hit „Like A Virgin“. Genauso lautet der Titel eines neuen Cocktailbuchs, das sich, kann man sich schon denken, um virgin cocktails dreht. Also alkoholfreie, auch mocktails genannt.
Die Autorin des vorliegenden Cocktailbuchs ist Linh Nguyen, mehrfach ausgezeichnete und bei internationalen Awards erfolgreiche Bartenderin. Sie mixt ihre Drinks sowohl mit als auch ohne Alkohol und trägt mit diesem Buch zu einer Mainstreamisierung des Themas alkoholfreie Drinks bei, denn die Rezepte schaffen den Spagat zwischen Zugänglichkeit und Anspruch (weit jenseits gängiger nichtalkoholischer Cocktails). Gleichzeitig erhalten Laien eine gute Einführung in Warenkunde und andere Basics (wie Garnier- und Serviertechniken), während Profis aus der Gastronomie – neben Bars auch Cafés, Restaurants und andere, die das von der Marktforschung regelmäßig nachgewiesene Wachstum der Kategorie für sich nutzen wollen – Inspiration für die eigene Karte bekommen. Wir haben mit der Autorin über ihr Buch und die Zukunft alkoholfreier Cocktails gesprochen.
Linh, warum hast du dich entschieden, ein Buch nur über alkoholfreie Cocktails zu schreiben?
Weil für mich Cocktails – egal ob mit oder ohne Alkohol – vor allem eines bedeuten: echten Genuss. Und der ist nicht abhängig vom Alkoholgehalt, sondern von Kreativität, Balance und dem Erlebnis im Glas. Es war längst an der Zeit, ein Buch zu machen, das nicht nur kreative alkoholfreie Rezepte bietet, sondern auch Basics und Techniken aus dem Bartending erklärt. Ich wollte einen Inspirationsband schaffen – für Profis und Neugierige gleichermaßen. Denn auch wenn viele meiner Kolleg*innen schon großartige alkoholfreie Drinks mixen, ist das Thema oft noch nicht für alle zugänglich. „Like a Virgin“ soll das ändern.
Du verwendest den Begriff „Mocktail“. Manche sagen ja, er steht für die alten, einfach nur süßen alkoholfreien Cocktails. Für dich nicht, nehme ich an?
Für mich steht „Mocktail“ nicht einfach nur für die alten, süßen Saftcocktails – auch wenn der Begriff lange genau damit assoziiert wurde. Damals gab es ja oft nichts anderes als O-Saft, Cola oder irgendeine bunte Mischung. Aber heute steckt in Mocktails so viel mehr: Kreativität, Handwerk, Geschmackstiefe. Mocktail bedeutet für mich schlicht und einfach: ein Cocktail ohne Alkohol. Und genauso wie der Begriff Cocktail seine Berechtigung hat, haben das auch Mocktail und Virgin. Ich benutze diese Begriffe ganz bewusst – nicht nur, weil sie verständlich sind, sondern weil sie dabei helfen, das Thema für alle zugänglich zu machen. Ich glaube, wir sind gerade dabei, diesen Begriff neu zu definieren. Weg von süß und belanglos – hin zu komplex, erwachsen, spannend. Und dafür müssen wir auch sprachlich sichtbar machen, dass alkoholfreie Drinks nicht zweite Wahl sind. In der Barszene passiert viel, aber oft bleibt es in der Nische. Für mich war es wichtig, von ganz vorn anzufangen, Basics zu teilen und eine breite Tür aufzumachen – auch für Menschen, die bisher dachten: Mocktail? Ist doch nur Saft. Nein. Es ist eine echte Kategorie – mit genauso viel Anspruch und Leidenschaft.
Wann ist ein alkoholfreier Cocktail ein Cocktail? Was muss er aufweisen, damit ihm aus deiner Sicht nichts fehlt?
Eigentlich ist es ganz einfach: Ein alkoholfreier Cocktail ist dann ein echter Cocktail, wenn er dieselbe Balance mitbringt wie ein klassischer Drink mit Alkohol. Die Grundlage ist für mich immer ein ausgewogenes Verhältnis von Süße und Säure – das ist das Fundament. Aber was alkoholfreie Drinks für mich besonders spannend macht, ist das Spiel mit Texturen: verschiedene Dichten, das Arbeiten mit Ölen, Tinkturen, Kräuterbittern. Diese Komponenten geben dem Drink Tiefe und Charakter – genau das, was viele oft nur dem Alkohol zuschreiben. Natürlich fehlt alkoholfreien Zutaten die Wärme, das Volumen und die Spitzen, die Alkohol mitbringt – und genau darin liegt für mich die wahre Herausforderung. Man muss kreativ werden, anders denken, sich intensiver mit Aromen und Struktur beschäftigen. Aber wenn das gelingt, fehlt dem Drink absolut nichts. Dann ist er ein echter Cocktail – nur eben ohne Umdrehungen.
Ich finde, dass dein Buch sich nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für gastronomische Konzepte eignet, die bisher kaum alkoholfreie Drinks anbieten. Man sieht ja Cocktails heute längst nicht mehr nur in der Bar, sondern auch im Restaurant, im Café, manchmal sogar in Eisdielen. Deine Einschätzung?
Absolut! „Like a Virgin“ ist definitiv auch für gastronomische Konzepte spannend – gerade für Betriebe, die alkoholfreie Drinks bisher wenig auf dem Schirm hatten. Vor allem in der Systemgastronomie, wo Rollen oft wechseln – mal macht der Service die Bar, mal umgekehrt – ist es wichtig, dass die Abläufe einfach und klar sind. Genau da setzt mein Buch an: Es gibt nicht nur kreative Rezeptideen, sondern auch Grundlagen, die sofort anwendbar sind. Ich habe bewusst viele verschiedene Kategorien eingebaut – von alkoholfreien Spritz-Varianten bis hin zu Slushes, die sich super für Cafés oder sogar Eisdielen eignen. Die Rezepte sind so aufgebaut, dass man sie flexibel ans eigene Konzept anpassen kann. Und es geht mir nicht nur ums Rezept, sondern auch um die Inszenierung: Wie bereite ich einen Drink zu, wie präsentiere ich ihn so, dass er wirkt? Das ist ein zentraler Aspekt für mich – denn erst dadurch wird aus einem Getränk ein echter Cocktailmoment. Natürlich gibt’s auch aufwändigere Drinks im Buch – Signature Cocktails, die ich in alkoholfrei übersetzt habe. Aber genauso finden sich einfache Rezepturen, die den Einstieg leicht machen und Lust darauf, alkoholfrei kreativ zu werden. Denn genau darum geht’s: das Thema greifbar und spannend zu machen – für jede*n.
Es gibt alkoholfreie Destillate, in denen man eigentlich längst überwunden geglaubte Zutaten wie Konservierungsstoffe oder Glycerin findet. Was sagst du dazu?
Ja, das ist ein Punkt, der mir tatsächlich ein bisschen aufstößt. Ich achte sehr bewusst darauf, möglichst ohne Konservierungsstoffe zu arbeiten oder sie zumindest stark zu reduzieren. Gerade bei alkoholfreien Destillaten frage ich mich oft, warum man nicht einfach mit Zucker konserviert. Zucker ist ein natürliches Konservierungsmittel – meine liebste Sirup-Marke macht das seit Jahren so, ganz ohne Zusatzstoffe. Deshalb arbeite ich auch fast ausschließlich mit ihr. Ich verstehe natürlich: Sobald Zucker ins Spiel kommt, spricht man rein technisch von einem Likör. Aber vielleicht ist es an der Zeit, das im Bereich Mocktails neu zu denken. Denn was wir eigentlich brauchen, sind aromatische, stabile Produkte – nicht unbedingt völlig „reine“ Destillate, wenn sie am Ende voller Zusatzstoffe stecken. Mir fehlt da manchmal der kreative Mut in der Branche.
Und ja, die alkoholische Spitze fehlt – die können wir nicht ersetzen. Aber ich brauche trotzdem die Aromatik von Rum, wenn ich einen Mojito nachbauen will. Und die liefern mir eben gute alkoholfreie Destillate – mit oder ohne Zucker. Vielleicht ist es Zeit, dass wir solche Kategorien neu definieren. Ich wäre jedenfalls sofort dabei!
Welche Zutaten kann man deiner Meinung nach gut selbst herstellen?
Im Prinzip? Alles! Da setze ich mir gar keine Grenzen. Sirupe, Cordials, Shrubs, Sakarums, Tinkturen, Tees – das alles kann man wunderbar selbst machen. Man kann sogar eigene Teemischungen aus getrockneten Kräutern oder Früchten zusammenstellen und damit arbeiten. Ich finde, genau darin liegt auch ein großer Reiz: selbst zu experimentieren, eigene Aromen zu entwickeln und die Kontrolle über die Zutaten zu behalten. Gerade bin ich ein riesiger Fan von Tee – für mich eine unglaublich vielseitige Grundlage für alkoholfreie Drinks. Man kann richtig spannende Kombinationen bauen, zum Beispiel Früchtetee mit Schwarztee kreuzen oder mit Gewürzen und floralen Noten spielen. Tee bringt Tiefe, Eleganz und Herkunft ins Glas – ohne viel Schnickschnack. Und ich verrate schon mal so viel: Es wird bald eine eigene Mocktail-Linie von mir geben, die stark auf Tee basiert – stilvoll, klar und mit ganz viel Liebe zu Qualität und Geschmack. Da kommt was Besonderes!
Ein Drink, den ich von dir getrunken habe, befand sich in einer Wolke aus Goldstaub, das war auf der Fachmesse „Gastro Vision“. Deine Tipps für die Präsentation alkoholfreier Cocktails?
Ich muss jetzt erstmal lachen, weil … ja – Gold ist einfach mein Ding. Es ist für mich die edelste, schönste Form der Veredelung. Ein Zeichen von Luxus, aber nicht im materiellen Sinn, sondern emotional. Gold gehört für mich einfach in jeden Drink – ob Gin Tonic, Cuba Libre oder ein Virgin Highball. Es ist meine Unterschrift. Und es geht gar nicht nur um das Produkt selbst, sondern um das, was es auslöst: dieses Staunen, das Glitzern in den Augen der Gäste, wenn sich eine goldene Wolke über dem Glas ausbreitet. Das ist Magie – und das macht etwas mit uns allen. Ich selbst bin jedes Mal wieder berührt davon.
Für zu Hause ist das übrigens gar nicht so kompliziert: Viele Deko- oder Backzutatenhersteller bieten essbares Goldpulver an – völlig erschwinglich. Ein kleiner Pump davon in ein Glas mit hellem Drink, und du hast einen „Wow“-Moment am Küchentisch oder auf deiner Geburtstagsparty. Mein Tipp: einfach mal ausprobieren. Es muss nicht immer aufwändig sein – oft reicht schon ein besonderer Moment, ein schöner Löffel, ein Hauch Farbe oder Textur. Und ja – Deko darf alles sein, was Emotion auslöst. Außer Fruchträder. Die einzigen, die ich toleriere, sind getrocknet. Sonst: Lächeln.
Letzte Frage: Es gibt einen Trend zu minimalistischen, auf wenige Zutaten und Drinks reduzierten, „naked“ Bars. Welche drei Mocktails würdest du für ein solches Setup empfehlen?
Ganz klar: „New Fashioned“. Der ist für mich das Paradebeispiel, wie man mit nur drei Zutaten richtig Tiefe, Struktur und Eleganz erzeugen kann. Er rekonstruiert den Old Fashioned in alkoholfrei – simpel, klar, intensiv. Dann „Fifty Shades of Grape“ – mein Liebling! Der spielt mit der natürlichen Süße und Herbe von rotem Traubensaft, fein ausbalanciert, überraschend komplex, aber ganz einfach zu mixen. Und natürlich „Peach Tonic“: Pfirsich, Basilikum, Tonic – that’s it. Mehr braucht’s manchmal einfach nicht. Ich liebe diese minimalistischen Ansätze. Genauso wie ich wild dekorierte Slushies liebe. Ich finde nicht, dass man sich auf eine Richtung festlegen muss. Ich bin Zwilling – ich bin Vielfalt. Und genau das spiegelt „Like A Virgin“ auch wieder: Vom aufwändig inszenierten Signature bis hin zum ehrlichen, puristischen Drink. Für mich gibt es kein Richtig oder Falsch, kein Cocktail oder Mocktail – es geht immer nur um Geschmack, um Gefühl, um Identität. Und jede*r darf seinen eigenen Stil finden. Kreativität kennt keine Grenzen. Punkt.
Liebe Linh, vielen Dank für das Gespräch.
„Like a Virgin“ von Linh Nguyen hat 240 Seiten mit 200 Fotos und Abbildungen, ist 2025 erschienen im Callwey Verlag und kostet 45 Euro.
Einen Blick in das Buch gibt es hier.