Eine kleine Eisgeschichte

Unser Sommerspecial zum kalten Getränkebegleiter

von Jan-Peter Wulf

Eiswürfel für den Drink? Klar, die kommen aus dem Eisfach oder der Maschine. Doch das war natürlich nicht immer so. Die Eisherstellung eine lange und spannende Tradition.

Ob die Menschen bereits in der letzten Eiszeit das allgegenwärtige gefrorene Wasser zum Kühlen von Getränken nutzten? Vermutlich hatten sie ganz andere Sorgen. Was wir hingegen sicher wissen: Eisblöcke wurde schon im antiken Mesopotamien sowie in Ägypten, wir befinden uns ca. um 3500 v. Chr., zum Kühlen genutzt. 

Rund 3000 Jahre später, also um 500 v. Chr., bauten die Perser mitten in den heißesten Gegenden ihres des Reiches spezielle Gebäude, die Yachtschals, die perfekte Kühlhäuser waren: Warme Luft entwich durch das Dach nach oben, unten, die Häuser reichten viele Meter tief ins Erdreich hinein, war es knackig kalt. So kalt, dass aus den Bergen herbeigeschlepptes Eis selbst im Sommer mit wenig Verlust hielt.

Mehr noch: Die Baukünstler schafften es sogar, eigenes Eis „anzubauen“: Dafür wurde Wasser in kleinen Teichen gekühlt, die sich hinter hohen, Wärme und Licht abhaltenden Mauern aus Sand, Ton, Asche und Ziegenhaaren befanden. Nachts bildete sich auf der Wasseroberfläche Eis. Dieses wurde regelrecht geerntet und dann schnell in das Yachtschal verbracht – und überstand dort viele Monate. Noch heute kann man einige der robusten und imposanten Gebäude bewundern.

Übrigens: Die Trinkempfehlung „on the rocks“ – auf Eis, aber wortwörtlich auf Felsen – soll ursprünglich daher stammen, dass die Schotten einst Steine aus eiskalten Flüssen zum Kühlen ihres Whiskys verwendet haben. Wer es ausprobieren will: Es gibt Whiskysteine aus Speckstein zu kaufen. Kleiner Geschenktipp für Genießer*innen!

Nunc est bibendum – aber bitte mit Eis!

Auch die Römer – bekanntlich generell keine Kostverächter – sollen das kalte Gut sehr geschätzt haben. Nun sind die Temperaturen in die meiste Zeit des Jahres jedoch deutlich über dem Gefrierpunkt. Und die Alpen, trotz schon damals perfekt ausgebauter Straßen, weit weg. Eis nach Rom zu holen war ein schwieriges und kostspieliges Unterfangen. Das Gefrorene soll gar teurer gewesen sein als der edelste Wein, der in den Tavernen zu haben war.

Für Kaiser Nero – wen auch sonst – kein Problem: Der tyrannische Herrscher, der von 54 bis 68 n. Chr. regierte, soll eine eigene Läuferkette gehabt haben, die ihm Eis und Schnee von den Albaner Bergen (einen Halbmarathon von der Hauptstadt entfernt) anlieferten. Dies ließ er sich, so die Überlieferung, dann um seinen Kelch herum anhäufen. Der gute Wein darin sollte ja nicht verwässern. Und Neros Nachfolger Marc Aurel (121-180 n. Chr.) soll in seiner Prunksucht gar große Schneeberge neben seinem Palast aufschütten lassen haben.

Schneehäuser auf Malle

Wesentlich rationaler gingen die Römer indes an vielen kühleren Stellen des Reiches vor. So entstanden im Laufe der imperialen Zeit viele Eishäuser in der Nähe der Gebirge. In ihnen lagerte man gefrorenes Wasser von Gletschern und erstarrten Gebirgsbächen zur Kühlung von Speis‘ und Trank. Auch von den Griechen sind solche Kühlbauten bekannt.

Später wurden solche Eishäuser auch im westlichen Mittelmeer-Raum errichtet: Die Spanier bauten ab dem 16. Jahrhundert n. Chr. brunnenförmige, tiefe Häuser. In diesen „neverias“ lagerten sie Eis und Schnee für den Sommer und kühlten Verderbliches. Noch heute kann man die Steinbauten zum Beispiel auf, ja, Mallorca besichtigen. In den hohen Bergen der Insel wird es doch deutlich kühler als am Ballermann. Dieser steht in Schottland:

Eis blieb viele Jahrhunderte hindurch ein rares und höchst kostbares Gut, in dessen Genuss nur sehr Wenige und Auserwählte kamen. Heinrich III. (1551 bis 1589), so sagt man, ließ bei festlichen Empfängen bergeweise Eis – wie einst seine römischen Kollegen – auf die Banketts wuchten, um seinen Status zu unterstreichen. Was ihn nicht gerade beliebter machte.

Der „Ice King“ Frederic Tudor: Großes Eis-Business in der Neuen Welt

Eis – also gefrorenes Wasser – als Massenware: Dieser Teil der Story beginnt im 19. Jahrhundert und zwar in den USA. 1805, da gibt es noch kein Stromnetz, geschweige denn Kühlschränke, schmiedet der Bostoner Anwaltssohn Frederic Tudor einen kühnen bzw. kühlen Plan: Der Anfang-Zwanzigjährige hat sich in den Kopf gesetzt, Eis aus seiner Heimat Massachusetts in den warmen Süden bringen. Genauer: In die Karibik, wo er sich zuvor aufgehalten hatte. Dort müsse mit dem kühlen Gut doch ein Vermögen zu machen sein, so seine Startup-Idee. Mit 130 Tonnen Eisstücken, die sie aus den gefrorenen Seen Neuenglands schnitten und schlugen, machten Frederic und sein Bruder William sich per Schiff auf den Weg nach Martinique. Das Eis soll die Überfahrt trotz Verzögerungen ganz gut überstanden haben. Doch vor Ort angekommen, hatte man ein ganz anderes Problem: Niemand wusste sogleich etwas mit dem angelandeten Eis anzufangen, keiner wollte es kaufen. Es schmolz dahin (ein Kühlhaus gab’s auch nicht) und die Gebrüder Tudor ernteten Hohn und Spott.

Frederic Tudor saß auf einem Schuldenberg, ließ sich aber nicht beirren und verfeinerte sein Eis-Geschäftsmodell. Er ließ Eishäusern für die Lagerung vor Ort errichten. Und verteilte Gratis-Kostproben. So langsam kamen die Menschen dahinter, dass zum Beispiel Getränke kalt doch wesentlich besser schmecken und Eis eine recht praktische Sache ist. Nun begann das Geschäft zu boomen, Tudor lieferte ins ganze Land von New York nach New Orleans, nach San Francisco, nach Kuba und später, kein Witz, sogar bis nach Indien. Mit pferdebetriebenen Sägen schnitt die „Tudor Ice Company“ Zigtausende von Tonnen Eis aus den Seen, bis zu 90.000 Menschen beschäftigte das Unternehmen. Der „Ice King“ Tudor starb 1864 als einer der reichsten Männer der USA.

Einen ziemlich unglamourösen Job in Tudors Imperium hatten übrigens die „shine boys“. Sie liefen hinter den Pferden auf dem Eis hinterher und sammelten deren Hinterlassenschaften auf. Damit der Rohstoff auch schön sauber blieb.

Cocktailkultur gleich Eiskultur

Zwei Jahre zuvor, 1862, erschien „How To Mix Drinks“ von Jerry Thomas. Es ist das wahrscheinlich erste Cocktailbuch überhaupt und wegen seiner Originalrezepte eine Legende, in deren Nachdrucken Bartender*innen bis heute gerne schmökern. Als es herauskam, war die Barkultur in den USA schon in vollem Gange – und das dank Tudor und weiteren Unternehmen mittlerweile überall erhältliche Eis hatte daran maßgeblichen Anteil. Der Zubereitungshinweis „fill the tumbler with shaved ice“ ist Teil vieler Rezepte von Thomas’s Kultbuch, und die Gläser und Shaker quollen landauf, landab über vor Eis. Um 1900 wurden sage und schreibe 10 Millionen Tonnen Eis pro Jahr verbraucht und zweieinhalbmal so viel wurde exportiert.

Auch in Europa war man zwischenzeitlich auf den Geschmack gekommen: So kam Eis aus Norwegen ab etwa 1820 nach London. In speziellen Eiskellern, den eingangs genannten Modellen nicht unähnlich, wurde es gelagert und dann stückeweise in die Gläser der feinen Gesellschaft an der Themse gegeben. Erst kürzlich wurde solch ein zehn Meter tiefer und acht Meter breiter Eiskeller zufällig wiederentdeckt – südlich vom Regent’s Park, beste Adresse. Cheers!

Vom Masseneis

Mit dem Siegeszug des Kühlschranks ab den 1930er-Jahren, da hieß er passenderweise noch Eisschrank, kam auch immer mehr Eis in die Wohnungen. Das brachte zunächst noch der Eismann in Kühlwagen und großen Barren herbei. Mitte der 1950er-Jahre hatten schon 80 Prozent aller US-Haushalte einen Kühlschrank, und mit jeder neuen Modell-Generation setzte sich auch das Eisfach immer mehr durch.

Beste Voraussetzungen für kühle Drinks? Nun ja: Ordentliche Minusgrade, die das Eis crisp und so kalt machen, dass es nicht so schnell schmilzt, erreichte erst einmal kaum ein solches Fach. Und wenn sich dann auch noch die Eiswürfelform mit der bereits geöffneten Packung Tiefkühlkräuter um den Platz prügeln muss, sind unschöne Gemüse-Einschlüsse in den kleinen Würfeln programmiert. Wer eine Kühltruhe oder einen modernen Kühlschrank mit großem Gefrierfach sein Eigen nennt, fährt da aber schon deutlich besser.

… zum Klasse-Eis!

Und wie es richtig stilvoll geht, zeigt die Renaissance der Barkultur seit ungefähr 20 Jahren. Denn seit es wieder schwer en vogue ist, sehr gute und besondere Drinks zu mixen, hat auch sehr gutes und besonderes Eis wieder einen hohen Stellenwert. Immer häufiger verwenden Bars festes, hart gefrostetes, großes Eis für ihre Getränke und ziehen den Stecker aus einfachen Eiswürfelmaschinen, die kleine, hohle Eishütchen produzieren, sofort im Glas zerschmelzen und nur verwässern. Nicht umsonst nennt man Eis auch das „Gold der Bar“. Einen guten Drink erkennt man auch daran, wie gut sein Eis ist. Und mit markanten Formen wie Eisbällen, die aus der japanischen Barwelt stammen, oder großen Quadern, in die manchmal sogar schöne Muster geritzt sind, wird aus dem durchsichtigen und oft etwas unauffälligen Teil des Drinks ein echter Hingucker.

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