#tryjanuary, Teil 1/2: Entalkoholisierter Wein mit Frédéric Chouquet-Stringer

Was macht guten n/a-Wein aus?

von Nicole Klauß

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Es ist Dry January und die Zeitungen, Zeitschriften und vor allem die sozialen Medien sind voll von Getränketipps, Erfahrungsberichten und Meinungen. Alle, die – nennen wir es #tryjanuary auf der Suche nach ernsthaften Alternativen zum Wein sind, müssen online stöbern, denn weder im Weinfachhandel noch auf den Getränkekarten der Fine-Dining-Restaurants werden die Suchenden fündig.

Grund genug, diesem Thema aus gegebenem Anlass ein bisschen Raum zu geben. Nicole Klauß sprach zum einen mit Frédéric Chouquet-Stringer, Gründer der noch jungen Unternehmens Zenothèque, der Winzer berät, die sich mit entalkoholisierten Weinen beschäftigen wollen, und mit „Alkoholfrei vom Winzer“ auch Produkte verkauft. Im zweiten Teil mit Holger Schwarz, Sommelier und Weinhändler von Viniculture aus Berlin, der sich seit längerer Zeit mit erwachsenen alkoholfreien Alternativen beschäftigt (Text & Link folgt in Kürze).

Die trinkende Welt ist am Anfang des Jahres gespalten, so wie in jedem Jahr: Da wären die leisen Nichttrinkenden, die einen Monat keinen Alkohol trinken und das einfach nur so für sich machen. Die lauten Nichttrinkenden, die allen davon ungefragt erzählen und gerne ein bisschen missionieren. Die Nichtrinkenden-Basher, die fast verächtlich bemerken, dass diejenigen, die Dry January machen, nur moralischen Druck auf die weiterhin Trinkenden ausüben, die zweifelnden Trinkenden, die die gerne mal weniger trinken wollen, aber merken, dass das gar nicht so einfach ist, weil sie merken, dass Alkohol in ihrem Leben keine kleine Rolle spielt und sich aber dann trotzdem darüber über die lustig machen, die beim Dry January dabei sind.

Dann wären da noch die Dry-January-Ignorierenden, die fröhlich weiter Flaschen mit Jahrgangschampagner, Single-Cask-Whisky und Absinth postenund last but not least, die Teilzeitnichttrinkenden, die sehen, dass das Thema in jedem Jahr immer größer wird, und ab und zu mal was „ohne“ probieren.  Alle diese Gruppen lassen sich übrigens exakt so auch beim Veganuary finden, eine Bewegung, die für einen Monat einen Verzicht auf tierische Produkte propagiert, aber das ist ein anderes Thema. 

Das Angebot im Bereich der alkoholfreien Getränke wächst Jahr für Jahr (gut!). Es gibt Produzenten, die mehr auf Quantität als auf Qualität setzen (nicht gut!). Es gibt aber auch Deep Diver, die lange und intensiv experimentieren und dann mit komplexen und vielschichtigen Getränke auf den Markt kommen (richtig gut!). 

Grund genug, sich mit den neuen Alternativen zum Wein zu beschäftigen. Alkoholfreie Biere können wir hier mit großer Freude außen vor lassen, denn viele Brauereien haben es geschafft, aus dem Clausthaler-Schatten herauszutreten, das eben doch nicht alles hat, was ein Bier braucht. Es gibt inzwischen gute und hocharomatische alkoholfreie Biere, die den Vergleich mit den klassischen Bieren nicht scheuen zu brauchen, im Gegenteil. 

Die gute Nachricht: Es gibt jetzt was Gutes

Für alle, die also bisher meinten, die Welt der alkoholfreie Getränke bestünde im Wesentlichen aus eindimensionalen Säften, Schlumpfsekt oder viel zu süßen Limonaden, hier die gute Nachricht. Es gibt jetzt erwachsene Getränke für alle, die mal nichts trinken möchten, bisher aber nicht fündig wurden: neue entalkoholisierte Weine und die sogenannten Proxies.  Hier handelt es sich um Weinalternativen auf der Basis von Kombucha, Kwass oder Säften mit Tee, Verjus und Kräutern. 

Wer Alternativen zum Wein sucht und dabei in der gleiche Aromawelt bleiben möchte, war bisher eher unfroh: lieblos entalkoholisierte Weine, die Basisweine auf Tetrapakniveau, in der Regel eine Cuvée von Weinen aus diversen Weingütern und diversen Rebsorten. Ja, das sind Getränke, die (irgendwie) an Wein erinnern, und nein: Sie sind nicht gut. Möglicherweise hinkt der Vergleich, aber sie sind ein bisschen wie der Kartoffelbrei aus der Packung im Vergleich zum selbstgemachten aus frischen Kartoffeln der Oma.

Kein Äpfel-Birnen-Vergleich, bitte!

Und wo wir gerade beim Kochen sind: Aus hochwertigen Zutaten entsteht in der Regel eine hochwertige Speise. Nicht unwichtig für den Winzer bei der Wahl des richtigen Weines für den Entalkoholisierungsprozess ist der Alkoholgehalt des Ausgangsweines. Alkohol ja ein Geschmacksträger und ein entalkoholisierter Rotwein, dem 15% Alkohol entzogen wurden, wird sich klar vom alkoholischen Pendant unterscheiden. Bei einem Wein mit weniger Alkohol ist der Unterschied nicht so eklatant, aber natürlich trotzdem vorhanden.

Noch klarer ist: Ein Vergleich mit diesem Ausgangswein macht keinen Sinn. Äpfel werden mit Birnen verglichen. Natürlich kann ein alkoholfreier Wein, der maximal 0,5% Alkohol aufweisen darf, um noch als alkoholfreier Wein zu gelten, nicht mit einem Wein mit einem mit 15% Alkohol verglichen werden. Im direkten Vergleich gewinnt der Wein immer.

Bei einem Rotwein mit einem hohen Alkoholgehalt von z.B. 15% reduziert sich die Menge des entalkoholisierten um fast ein Fünftel. Nüchtern betrachtet werden 10 Liter Wein entalkoholisiert und es fehlen dann schon bei dieser Menge 1,5 Liter Flüssigkeit, bei 1000 Litern sind es schon 150 Liter. Für den Winzer reduziert sich also die Menge der zu verkaufenden Flaschen und damit auch der potentielle Umsatz. Auch das muss beim Pricing mit kalkuliert werden: der Aufwand ist größer, die finale Menge ist kleiner.

Frédéric Chouquet-Stringer ist Franzose mit deutschem Pass und sagt von sich, er sei ein bisschen wie Obelix, mit dem Unterschied, dass er als Jugendlicher in ein Weinfass fiel und nicht in einen Kessel mit Zaubertrank. Optisch allerdings kann der Unterschied nicht größer sein: Er ist über zwei Meter lang, nicht breit. Klassisch französisch mit Wein sozialisiert, beschäftigt er sich nun mit dem Thema der entalkoholisierten Weine, da ihm die Qualität, die es bis dahin auf dem Markt gab, nicht gefiel und er neugierig war, ob da nicht noch mehr geht. 

Tatsächlich geht da mehr. Frédéric berät nämlich ausschließlich Winzer*innen, die ihre hochwertigen Weine entalkoholisieren lassen und dabei das Maximum herausholen wollen, weil sie erkannt haben, dass immer mehr Menschen mal nichts trinken möchten und sie diese Kundengruppe dann nicht bedienen können, weil Traubensaft oder Traubensecco nicht für alle eine Alternative zum Wein darstellt. Um einen guten alkoholfreien Wein mit Tiefe zu produzieren, braucht es einen guten Basiswein und die richtige Entalkoholisierungstechnik – und um es noch ein bisschen komplexer zu machen, da gibt es nämlich mehrere. Alle haben Vor- und Nachteile und wie immer ist nie alles Schöne beisammen.

Wir haben mit Frédéric gesprochen: 

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Frédéric, du bist jemand, der Wein liebt und mit Wein aufgewachsen ist, hast lange in einer sehr weinfernen Branche im oberen Management gearbeitet. Was hat dich bewegt, tief in Entalkoholisierungstechniken einzusteigen? 

Wenn wir früher aus dem Urlaub zurückkamen, war in unserem Auto kaum noch Platz für uns Kinder – die Weine haben den meisten Platz weggenommen. Ich bin Franzose und bin natürlich mit Wein sozialisiert, und suchte nach einer langen Zeit als Manager bei einem Reifenhersteller nach etwas anderem, etwas Sinnhaften. Die klassische Weinbranche war für mich als Quereinsteiger nur schwer möglich. Im alkoholfreien Bereich ist das anders und die Sinnhaftigkeit war für mich sofort klar. 

Du berätst Winzer, die ihre Weine entalkoholisieren lassen möchten. Welche technischen Unterschiede gibt es?

Bei Zenotheque arbeiten wir mit drei unterschiedlichen Technologien, je nach Rebsorte, Qualitätserwartung und Pricing. Zur Entalkoholisierung nutzen wir entweder die Umkehr-Osmose, also eine Art Filtrierung, oder die Vakuum-Destillation. Die dritte Technologie hat mit der Aroma-Rückgewinnung zu tun. 

Interessant ist übrigens, dass Fréderic bei seinen Winzerinnen und Winzern nicht erst ins Spiel kommt, wenn der Wein fertig und bereit für die Entalkoholisierung ist, vielmehr ist er schon ab dem Lesezeitpunkt und auch bei der Kellerarbeit dabei. Neue Technologien ermöglichen, dass inzwischen auch Kleinstmengen alkoholisiert werden können – die Winzer müssen daher nicht mehr eine Mindestmenge von 15.000 Litern ihrer Weine für eine Versuchsreihe zur Verfügung stellen, die einen ungewissen Ausgang hat.

Die Wahl der Entalkoholisierungsmethode ist also entscheidend für die Qualität des späteren nichtalkoholischen Weines. Passt nicht eine Entalkoholisierungstechnologie für alle Weine?

Nicht ganz, jeder Wein bzw. jede Rebsorte hat ja seine ganz persönlichen Eigenschaften und nicht alle Technologien werden diese richtig zu Geltung bringen können. Im Grundsatz könnte ich dies so zusammenfassen: Vorteile der Umkehr-Osmose sind, dass es aromatisch gut funktioniert und dies bei allen Rebsorten und Weinfarben. Die Problematik liegt allerdings darin, dass die Produktion schwer zu skalieren ist. Es ist also relativ teuer, verbraucht Wasser und ist für große Volumina nicht besonders geeignet. Die Weine nach der Entalkoholisierung sind auch meistens ziemlich leicht.

Die Vakuum-Destillation ist wiederum relativ kostengünstig und funktioniert im Standard-Bereich gut, aber hat eine gustative „Unterschrift“ mit einem manchmal unangenehmen Geruch. Um dies in den Griff zu bekommen, arbeiten wir mit unseren Partnern mit einer speziellen Aroma-Rückgewinnung. Dabei werden die Aromen des Ursprungsweinen über ein Harz aus dem Destillat – also nach der Entalkoholisierung – entnommen und in den Wein zurückgebracht. Sowohl Geruch als auch Geschmack sind dann auf sehr hohem Niveau. Die Technologie kostet etwas mehr, ist allerdings auch für große Volumina interessant und bringt Top-Qualität. Interessanterweise müssen die Weine auch nach der Entalkoholisierung deutlich weniger gesüßt werden.

Wenn den Weinen der Alkohol entzogen wurde, fehlt der Geschmacksträger – deshalb müssen die meisten Weine nachgesüßt werden. Im „Billig-Segment“ mit Traubensaft, bei den hochwertigeren mit Mostkonzentrat oder der eigenen Süssreserve des Winzers. Alkohol macht den Wein rund, ohne Alkohol wird die Säure der Weine stärker wahrgenommen.

Gibt es Rebsorten, die sich besser zur Entalkoholisierung eigenen als andere?

Jein! Mit der richtigen Technologie lassen sich beinahe alle Rebsorten gut entalkoholisieren. Die eine verliert vielleicht etwas mehr seine Typizität als die andere. Auch im Rotwein-Bereich gibt es mittlerweile gute Produkte. Am Ende geht es immer um das Zusammenspiel von einem Grundwein und einer Technologie, die Qualität des Grundweins spielt eine besonders wichtige Rolle.

Ist entalkoholisierter Wein eigentlich ein Wein?

Hättest Du mir die Frage vor zwei Jahren gestellt, hätte ich mit Sicherheit „Nein“ geantwortet. Jetzt sehe ich es etwas anders, und es hat nicht mit der offiziellen Weinbezeichnung zu tun. Einen Wein ist für mich eine Schnittstelle zwischen einer Rebe und dem Know-how eines Winzers. Weine mit Alkohol aus unterschiedlichen Regionen von unterschiedlichen Winzern und Rebsorten schmecken alle anders. Es ist dasselbe beim entalkoholisierten Wein. Auch hier kann man die Weinvielfalt erleben.

Warum schicken die Produzenten der entalkoholisierten Weine ihre Produkte schutzlos in die Höhle des Löwen, a.k.a. den Vergleich mit den alkoholischen Kollegen?

Die Winzer sehen, dass die Nachfrage steigt. Es gibt natürlich Winzer, die mit diesem Art von Wein nichts zu tun haben wollen. Es gibt aber auch viele, die sehen, dass jetzt sehr gute Qualität produziert werden können und die hinter diesem guten Produkt stehen.

Warum wird eine identische Flaschenform genutzt und ein weintypisches Etikettendesign? Sollte eine Flasche eines entalkoholisierten Weines nicht klar von einem klassischen Wein unterschieden werden können? In der Form oder der Farbe der Flasche?

Das ist eine sehr interessante Frage und aus meiner Sicht gibt es sowohl eine marketingtechnische als auch eine rechtliche Antwort. Rechtlich gesehen sind Flaschenform und Design nicht geschützt. Ich finde es insofern problematisch, dass Produkte in solchen Flaschen verkauft werden, die kein Wein sind, also nicht durch eine Gärung der Traubensaft entstanden sind.  Marketingtechnisch muss jeder für sich entscheiden. Es hat auch sehr damit zu tun, welche Zielgruppe angesprochen werden soll. Ich glaube daran, das sehr bald „jeder“ Weintrinker auch alkoholfreie Weine trinken wird. Und da macht es Sinn, diese Weinsprache zu sprechen.

Warum vergleichen selbst Profiverkosterinnen und Profiverkoster die entalkoholisierten Weine immer noch mit dem Wein?

Ich bin insofern bei Dir, dass n/a-Weine ein Kompromiss bleiben. Auch die Profiverkoster entwickeln sich weiter, die Anzahl von Tastings steigt und die Akzeptanz, auch bei den Profis steigt. In „Manager-Sprache“: Bei n/a-Weinen geht es um Innovation und „Change“. Und nicht jeder geht dabei mit der gleichen Geschwindigkeit vor.

Und last but not least: Brauchen diese n/a Weine nicht eine eigene Kategorie um die Vergleichbarkeit zu vermeiden?

Aus meiner Sicht ist es bereits eine eigene Kategorie. Es gibt Dessert-Weine, Naturweine, únd jetzt eben entalkoholisierte Weine!

 

 

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