Ach du grüne Neue! Berliner Restaurants machen Gemüse zum Star

von Jan-Peter Wulf
gaertnerei berlin 690x460 - management, gastronomie, food-nomyblog Ach du grüne Neue! Berliner Restaurants machen Gemüse zum Star

Gärtner-Salat mit Blattsalat, Blüten, Nusscrunch, Avocado und Quinoa. Foto: Gärtnerei

Gemüse wird in der Gastronomie oft zur Beilage degradiert. Oder muss sich, in vegetarischen Speisen und Konzepten, ganz alleine behaupten. Einen Mittelweg ohne Kompromisse gehen neue Berliner Restaurants wie die „Gärtnerei“, das „einsunternull“ oder das „BRLO Brwhouse“.

Bernhard Hötzls „Fleischerei“ in der Schönhauser Allee ist zweifellos eine der besten Restaurantadressen für Fleisch in der Stadt, sein neues Restaurant heißt „Gärtnerei“, und der Name ist Programm: Hier geht es vor allem um Gemüsiges. Aber nicht ausschließlich, wie der Betreiber erklärt: „Der Spaß sollte beim Essen immer im Vordergrund stehen. Sonst hätten wir vielleicht einen beinharten vegetarischen Laden gemacht. Es gibt aber auch Fisch und Geflügel bei uns – das Restaurant soll das Flair eines Bauernhofs haben, der auch einen Hühnerstall oder einen Fischteich dabei hat.“

Sprich: Das Gemüse steht im Vordergrund, ohne dass sich die „Gärtnerei“ als vegetarisches Restaurant verstehen würde. Im Schnitt habe man auf der Karte vier (von rund zehn) Gerichten, die nichtvegetarisch sind, erklärt Küchenchef David Schwarz. Aktuell sind dieses zum Beispiel Kalbsbries mit Speckbrotsauce, Quinoa und Birne, ein Landhuhn mit Bohnen oder Skrei mit Kartoffel, Lauch und Kaffir-Limettensud.

Daneben gibt es Speisen ohne Fleisch oder Fisch wie gerösteten Blumenkohl mit Mandel und Schwarzem Trüffel, den „Gärtner Salat“ (siehe Foto) mit Blüten, Nusscrunch, Quinoa und Avocado, einen geschmorten Endivienkopf mit Orange und Foccacia oder Mais mit Onsen-Ei, Zwiebelstaub und Schnittlauch.

An letzteren beiden veranschaulicht der Küchenchef, der unter anderem schon im Kölner „Le Moissonnier“ und im Berliner „Pauly Saal“ arbeitete, die Philosophie des Hauses – aus einfachen Produkten das Beste rausholen: „Wenn so ein Viertel- oder Achtelendivienkopf vor einem auf dem Teller liegt, könnte man erstmal denken, das soll ein Witz sein. Aber wir schmoren ihn, ziehen ihn durch Senf und Orangenmarinade, drapieren ihn auf dem Teller, dazu eine gebratene Focaccia-Scheibe und eine Orangenzeste, das geht geschmacklich direkt ins Gesicht. Oder der Mais mit Onsen-Ei: Das sieht super simpel aus, dauert aber fast eine Woche. Wir packen die Zwiebeln in eine Consommé, bis die Flüssigkeit komplett eingesaugt ist, dann kommen sie vier Tage in den Dehydrator und dann in den Thermomix.“

Ergebnis ist ein feiner Zwiebelstaub, ein „totaler Geschmackskick“, wie Schwarz erklärt. Von den Gästen, kann er berichten, erhalte man das Feedback, wie überraschend und erfreulich es sei, Gemüse in so einer Form erleben zu dürfen: „Es überzeugt geschmacklich so, dass man nichts vermisst.“ Hötzl ergänzt: „Man will sich ja schließlich etwas gönnen, wenn man zum Essen ausgeht. So, wie man nicht jeden Tag ein super Steak hat, hat man auch nicht jeden Tag ein ausgefuchstes Gemüsegericht.“

Weniger Wareneinsatz, mehr Personal- und Energiekosten

Dieses „Ausfuchsen“ fordere vom Küchenteam der „Gärtnerei“ ein anderes Arbeiten, Planen und Kalkulieren als in Restaurants, deren Fokus Fleisch oder Fisch ist, berichtet Schwarz. „Wir müssen ganz anders planen. Wir bereiten zum Beispiel dienstags das Gemüse für Donnerstag vor und donnerstags für Dienstag.“

Der Wareneinsatz sei geringer – 80 Prozent der Ware werde komplett verarbeitet, „egal ob Schale oder Strunk, es kommt alles in den Topf, wird einreduziert und als Fond die Basis für unsere Speisen“, dafür aber sei der personelle Aufwand ist höher und auch die Energiekosten. Denn wird ein Steak nur kurz in der Pfanne gebraten, wird das Gemüse durch diverse Küchengeräte – siehe Zwiebel – geschickt, und das an unterschiedlichen Tagen. Das bindet Personal und verbraucht Strom.

Auch beim Thema Einkauf müssen Vorläufe eingeplant werden: Vier von zehn Produkten, schätzt der Küchenchef, müsse man bei den Zulieferern, die den direkten Draht zu den Bauern haben, vorbestellen. „Bei manchen geht, glaube ich, eine rote Lampe an, wenn ich anrufe“, sagt er schmunzelnd. Denn dann wüssten die Händler schon: In der „Gärtnerei“ haben sie wieder ein neues Gemüse-Experiment in Arbeit.

Komplexe Geschmäcker aus dem Gemüse

Das mit dem „Ausfuchsen“ kennt auch Ben Pommer, Küchenchef und Mitbetreiber des „BRLO Brwhouse“, nur zu gut. Das Craft-Beer-Konzept mit eigener Brauerei, ein Brauhaus moderner Façon geht nach dem Motto „neues Bier verträgt neues Essen“, Zitat Pommer, auch in der Küche neue Wege. Statt Fleischlastigkeit, wie sie in herkömmlichen Brauhäusern regiert, experimentiert man vorwiegend mit Gemüse, abgestimmt gar auf die unterschiedlichen Biere, die man aus eigener Produktion und von befreundeten Brauern anbietet.

„Trocknen, Entsaften, Reduzieren, einen Sud aus Gemüsen kochen – es ist enorm spannend, was für komplexe Geschmäcker du aus Gemüse rausbekommst, wenn du es anders zubereitest“, so Pommer, der in der Küche von Sternekoch Nils Henkel in Bergisch Gladbach gelernt hat, wie sich Gemüse eben nicht immer nur weichkochen lässt. Zum Beispiel so: „Knollensellerie kommt in jede x-beliebige Sauce rein. Oft völlig verkocht, komische Konsistenz. Sexy ist das nie. Wir garen ihn im Ganzen und räuchern ihn, ziehen die Haut ab, schneiden Scheiben runter. Wunderbar süß, richtig lecker.“

Bestellt wird im „BRLO Brwhouse“ idealer Weise gemeinsam und zum Teilen: Gemüsiges wie Topinambur geröstet, als Stampf und frittiert mit Röstmalz, Sherrygel und rotem Mangold, Beilagen à la Sellerie-Espuma mit Piment d’Espelette und „On Top“-Speisen wie der „German Kimchi“ mit Kümmel und fermentiertem Spitzkohl.

Wer Fleisch möchte, bestellt frittiertes Huhn, Rippchen vom Freilandschwein, einen Dry-Aged-Schweinebauch vom Mangalitzaschwein oder 12 Stunden geräucherten Rindernacken dazu. Fleisch spielt hier nicht die erste Geige, aber ins Ensemble fügt es sich harmonisch ein – wenn man will. Pommer: „Leute, die wenig oder gar kein Fleisch essen, sollen sich bei uns auch wohl und zufrieden fühlen. So, wie wir den ewigen Pilstrinker herausfordern und überzeugen wollen, möchten wir auch zeigen: Gemüse kann toll und kraftvoll schmecken.“

Die Geschichte zum Produkt erzählen

Das will auch das „Einsunternull“ zeigen und tut dieses mit Erfolg: Es hat auf Anhieb für sein konsequent regionales, auf Zutaten aus der Region betontes Konzept einen Michelin-Stern erhalten. Heimische Salate werden zu knackig-knackenden kandierten Desserts verarbeitet. Rinderherz reicht man mit Gräsern und Getreiden (also dem, was auch das Tier in seinem Leben gefressen hat, eine spannende Verbindung zwischen Fleisch- und Nichtfleisch-Bestandteil des Gerichts). Nicht nur die Speisen, sogar Getränke stellt man mit Obst, Kräutern und Gemüse aus dem Berliner Umland her, zum Beispiel Wasserkefir mit Lindenblüte und Stachelbeere oder Apfel und Walnuss.

Den gemüsearmen Winter „übersteht“ man, indem man in den anderen Jahreszeiten fleißig sammelt und pflückt, erntet und einweckt: Fast vier Tonnen Eingewecktes, von Gurken über Spargel bis zu in Steinsalz eingelegten Blüten lagern im Keller des Restaurants. Und – auch das ist ein Effekt der neuen Gemüseküche – wird ein Glas für das Anrichten am Teller geöffnet, darf sich der Gast auf besondere Aromen und Geschmacksnuancen freuen, die der Fermentationsprozess über Wochen und Monate mit sich gebracht hat.

Wichtig sei es, betont Betreiber Ivo Ebert, den Gästen zu erklären, was sie da vor sich finden – denn ein so paar Stücke Lauch auf einem großen weißen Teller könnten sie sonst irritieren. „Wir erzählen die Geschichte: Der Lauch wird im Ofen bei 300 Grad abgebrannt, dadurch wird er außen schwarz, behält dann aber innen seine Farbe und seinen intensiven Geschmack“, so Ebert.

Mancher Gast, weiß er zu berichten, habe sich sogar schon daheim davon inspirieren lassen – leckere Röstaromen, wie sie das Lauchgericht im „Einsunternull“ aufweisen, bringt nämlich auch ein Bunsenbrenner aus dem Baumarkt hervor. Wenn man als Gastronomie dazu inspiriert, Bekanntes – wie Gemüse aus deutschen Landen – auch am heimischen Herd einmal anders zuzubereiten, dann hat man schon eine ganze Menge erreicht, ohne dass man dabei fürchten muss, sich entbehrlich zu machen. Wer mal im „Einsunternull“ gegessen hat, wird zustimmen: Wie hier gearbeitet wird, ist ganz weit vorne. (Mehr dazu im Gespräch, das ich mit Ebert und seinem Küchenchef Andreas Rieger geführt habe).

Weg von Verlegenheiten, hin zum besonderen Erlebnis

Ganz weit vorne und ein echter Pionier der neuen Gemüseküche in Berlin ist zweifellos Heinz „Cookie“ Gindullis. Denn schon vor rund zehn Jahren ging er mit seinem Koch Stephan Hentschel im „Cookies Cream“ auf die Mission, die vegetarische Küche der Stadt neu zu erfinden – weg von Hirsebuletten, Sojabolognese und anderen fleischlosen Verlegenheitslösungen, hin zu – Auszug aus der aktuellen Karte – Sellerie mit gebeiztem Eigelb, Macadamia und Nussbutter, Maisporridge mit Koriander, Schluppen, Paprika und Chili oder dem Hausklassiker Parmesanknödel mit Perigord-Trüffelsud.

A Michelin star for a veggie restaurant in Berlin from HOTELIERTV on Vimeo.

Nicht das Vegetarische, sondern die Atmosphäre des Restaurants und die Qualität der Produkte hätten von Anfang an im Vordergrund gestanden, erklärte Gindullis Ende 2017 in einem Radiointerview zu einem schönen Anlass: Nach zehn Jahren Bestand bekam das Restaurant endlich den Stern Nummer eins. Eine viel wichtigere Zahl jedoch: 80 Prozent der Gäste, so schätzt Gindullis, sind gar keine Vegetarier. Sondern „Normalesser“ auf der Suche nach einem besonderen Gemüse-Erlebnis.

Dieser Beitrag erschien zuerst in fizzz 4/2018.

Gärtnerei – Restaurant & Bar
Torstraße 179
10115 Berlin
www.gaertnerei-berlin.com

BRLO Brwhouse
Schöneberger Straße 16
10963 Berlin
www.brlo-brwhouse.de

Restaurant Einsunternull
Hannoversche Straße 1
10115 Berlin
www.restaurant-einsunternull.de

Cookies Cream
Behrenstraße 55
10115 Berlin
www.cookiescream.com

Weiterlesen:

KOMMENTIEREN

* Durch die Verwendung dieses Formulars stimmen Sie der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website zu.