7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen und Getränke? Jetzt erst recht!

Kommentar: Warum unser Steuersystem nicht nur für die Gastronomie ungerecht ist und wie es sich ändern lässt

von Jan-Peter Wulf
Neues Projekt 74 - gastronomie 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen und Getränke? Jetzt erst recht!

Foto: Redaktion

Es ist Anfang Januar. Die Medien berichten wie erwartet darüber, wie Restaurants und Co. mit der Rückkehr zu 19% Mehrwertsteuer umgehen, ob Gäste ausbleiben, wie viel teurer Schnitzel werden, ob Wirt*innen an den Leistungen schrauben (nach unten), tatsächlich Schließungspläne schmieden oder gar Politiker*innen zu unerwünschten Personen erklären.

Doch wetten? Schon bald wird es medial ruhig um das Thema werden. Die Aufmerksamkeitsökonomie wird sich neuen Inhalten zuwenden. Die etwaigen Auswirkungen der Rückkehr zu 19% werden sich erst in einigen Monaten zeigen, und das wird wohl eher im Stillen geschehen. Der (bittere) Drops ist dann scheinbar gelutscht.

Ist er das wirklich? Von wegen: Nun sollte die Branche erst recht für ihre Bedürfnisse und die ihrer Gäste einstehen. Und die Forderung nach 7% bekräftigen. Denn eine reduzierte Mehrwertsteuer, und ab nun völlig losgelöst von ihrer befristeten Funktion als Corona-  und Konjunkturhilfendebatte, ist ein wichtiges Element sozialer Gerechtigkeit. Das war sie übrigens schon immer

So, wie auf Lebensmittel im Handel 7% MWSt. erhoben werden (besser wären übrigens dort 0%, zumindest für Grundnahrungsmittel, findet selbst ein Markus Söder), sollten sie auch in der Gastronomie mit 7% taxiert werden. Wir finden übrigens, dass dies auch für Getränke gelten sollte – ganz wie der Kollege Tim Allgaier von der FIZZZ.  

Denn Restaurants und Cafés, Kneipen und Bars – Gastronomien – sind soziale Orte. Jedes Lokal ist ein „third place“, ein dritter Ort, der eine enorm wichtige gesellschaftliche Funktion einnimmt. Auf dem Dorf, wo sie selten geworden ist und Einsamkeit immer mehr um sich greift, ebenso wie in der Großstadt. 

Der Mehrwertsteuersatz von 7% ist für Dinge des täglichen Bedarfs sowie für Kulturgüter gedacht – und hier passt Gastronomie ziemlich gut hinein, versteht man sie nicht als Luxus, sondern als Ort, an dem gesellschaftliche Teilhabe stattfindet. Und zwar für alle. 

Leider wird nicht von allen so gesehen. Wirtschaftsinstitute wie ZEW oder ifo, selbst der sonst so geschätzte Ökonom Marcel Fratzscher (DIW) behaupten sogar das Gegenteil: Eine reduzierte Mehrwertsteuer komme vor allem Besserverdienenden zugute, da diese sich Restaurantbesuche leisten könnten und davon entsprechend mehr profitieren, liest man in ihren Pressemeldungen oder Statements für Medienberichte. Daher seien 19% gerechter, weil ja sonst vor allem die Ess-Elite (unsere Formulierung) davon Nutzen habe.

Wie kann man nur zu so einer solchen Ansicht gelangen? Wie kann man ernsthaft behaupten, Gastronomie per se richte sich an Menschen mit viel Geld? Waren diese Ökonomen mal in einem Landgasthof oder einer Pizzeria um die Ecke? Mit Kindern? Mit Freunden und Bekannten, die kein Akademikergehalt beziehen? Wer die Mehrwertsteuer hebt, benachteiligt damit immer diejenigen, die ein geringeres Einkommen haben. Natürlich kostet das Siebengang-Menü mit Weinbegleitung in Summe mehr als die Juniortüte. Aber Bezugsgrundlage muss doch das verfügbare Budget pro Kopf sein. Wer 2022 mit Familie im Ausflugslokal am Badesee, im Imbiss im Tierpark oder in der Eisdiele in der Stadt gewesen ist, weiß, wie sehr die Preise angehoben wurden. Und wie sehr das für diejenigen, die sich und ihren Lieben ab und an mal etwas gönnen, sie an andere Orte bringen, zur finanziellen Herausforderung geworden ist. 

Wenn Preise steigen, wen tangiert das dann eher: Menschen mit hohem oder Menschen mit niedrigem verfügbarem Einkommen bzw. Budget? Und müsste dieser Logik zufolge nicht ein Hotelaufenthalt mit 19% besteuert werden oder eine nach wie vor von derartigen Steuern befreite Flugreise ins Ausland? 

Keine Frage, es gibt hochpreisige, luxuriöse Konzepte. Aber auch ja, es gibt niedrigpreisige, für mehr Menschen zugängliche. Sternerestaurants im Schwarzwald, Schweinske in Eimsbüttel. Das ist ja das Schöne an der Gastronomie. Und es gibt Menschen, die sich teure Gastronomie ansparen, so wie sie sich einen (bereits subventionierten) Besuch einer Oper ansparen, weil sie Esskultur wertschätzen. Sie werden nun häufiger ausbleiben. Das Empty-Table-Syndrom entsteht genau dadurch in hohem Maße. Ganz nebenbei sind diese Gäste, die es sich ab und an gönnen, darauf sparen, gut essen gehen zu können, mit die sympathischsten und dankbarsten – das haben uns viele Gespräche mit Gastgeber*innen wiedergespiegelt. 

Unter der Erhöhung der Steuer ächzen übrigens alle, vom Schnellimbiss bis zum Sternelokal. Denn 2024 steigen weitere Kosten, die direkt oder indirekt bei der Herstellung von Speisen entstehen, vom Mindestlohn über Krankenkassenbeiträge bis zur Mehrwertsteuer auf Gas und der CO2-Steuer. Auch sie drücken auf die Marge bzw. müssen weitergereicht werden. 

Es ist eine Abwärtsspirale: Aufgrund der steigenden Kosten wird der Spielraum für die Verwendung höherwertiger Zutaten, zum Beispiel in Bioqualität oder im Direktbezug von kleinen Erzeugerbetrieben, noch kleiner. Darunter leiden Qualität und Vielfalt. Investitionen ins Team, zum Beispiel durch höhere Löhne und Zusatzleistungen, können noch weniger getätigt werden. 

New Work ist ein schillernder Begriff, doch die Basis ist eine faire und gute Bezahlung. Die Fluktuation aus der Branche nimmt weiter zu, wenn das Gehalt nicht reicht, um vernünftig davon leben zu können. Ein Betrieb, in dem niemand mehr arbeiten mag, genauer: kann, wird sich auch nicht mit Vier-Tage-Woche und flachen Hierarchien über Wasser halten können.

Ist es das wert, diese Risiken einzugehen, wegen geschätzter 3,4 Mrd. Steuereinnahmen durch 12% mehr Mehrwertsteuer? Sicherlich nicht. Allein schon deswegen nicht, weil es nie und nimmer zu dieser Einnahmenhöhe kommen wird.

Höhere Preise führen zu Konsumverzicht und zu weniger Mehrwertsteuer-Aufkommen. Diese schlichte ökonomische Einsicht ist vielen im Deutschen Bundestag nie beigebracht worden.  

Das sagen nicht wir, sondern das sagte – Gedächtnisprotokoll, kein Wortlaut-Zitat – Wolfgang Kubicki, selbst Mitglied des Bundestages, FDP-Urgestein und Vize-Bundestagspräsident, beim digitalen Leaders Club Exchange im Dezember 2023. Wir können ihm da nur zustimmen. Doch dann hört es mit der Zustimmung auch schnell wieder auf. Wenn wir nicht sparen, können wir uns die Schuldenbremse auch gleich sparen, konkludierte der Parteivize, der in den 1980ern übrigens selbst Kneipier war. 

Die Schuldenbremse sparen? Ja, die können wir uns nur allzu gerne sparen. Wir müssen sogar. Denn sie ist die Wurzel (nicht nur) des aktuellen Übels. Eine selbst auferlegte Geißel anno 2009, eingeführt unter Finanzminister Peer Steinbrück, SPD, der sich heute selbst von ihrem damaligen Design distanziert. Doch aktuell gilt sie. Und so kam die Bundesregierung auch auf die (nicht so gute) Idee, den KTF (Klima- und Transformationsfonds) an ihr vorbeizulotsen. Mit seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dies für null und nichtig erklärt – und direkt darauf kam das Aus für die Beibehaltung von 7% Mehrwertsteuer in der Gastronomie. Weil der Staat jetzt ja Geld braucht und das Budget aufgrund des – übrigens völlig konsequenten und richtigen Urteils – nun knapper ist. Wenn nun weniger Geld vorhanden ist, muss logischerweise gespart und gekürzt werden. Oder nicht?

Das ist Unsinn, man kann es einfach nicht anders sagen. Andere Länder – Japan beispielsweise – arbeiten mit wesentlich höherer Staatsverschuldung völlig problemlos und brauchen keine Bremse, von einer „Schwarzen Null“ (Schäuble) oder „Roten Null“ (Scholz) ganz zu schweigen. Ressourcen sind knapp. Geld ist es nicht. Staaten mit einer souveränen Währung können problemlos Geld schöpfen, und das tun sie auch. Sie müssen nicht das ausgeben, was sie zuvor eingenommen haben, sondern sie sind Herausgeber der Währung. Steuern sind moderner Wirtschaftstheorie zufolge dafür da, die umlaufende Geldmenge zu regulieren, sie sind keine Finanzierungsgrundlage für volkswirtschaftliches Handeln.

Das ist eine gute Botschaft, nur leider kommt sie hierzulande immer noch kaum an. Statt sich mit Modellen moderner Ökonomie zu beschäftigen, wie es in vielen Ländern längst der Fall ist, hält man hierzulande am ökonomischen Kollektivsymbol der schwäbischen Hausfrau fest. Die Dame (möge ich ihr nie persönlich begegnen) mag für private Haushalte als Vorbild herhalten können, mithin auch für (gastronomische) Unternehmen. Doch für eine Volkswirtschaft ist sie sicher nicht geeignet. Volkswirtschaften funktionieren anders als Gastwirtschaften. Und während die USA mittels moderner Ökonomie ihren Green New Deal aufgegleist haben und massiv in den Umbau der Infrastruktur investieren, wird hier – im sehr empfehlenswerten Buch Baustellen der Nation nachzulesen – die Infrastruktur kaputtgespart. Dass Schulessen nun auch wieder mit 19% besteuert wird, passt sehr gut in das Gesamtbild einer völlig maroden, misanthropen Bildungsinfrastruktur.  

Noch eine Abwärtsspirale: Dieses Festhalten an einer überholten (und nach Ansicht progressiver Ökonomen immer schon falschen) Wirtschaftstheorie führt dazu,  dass Medien – auch die Fachmedien für die Gastrobranche – diese Denke aufgreifen und meist unhinterfragt verbreiten – und entsprechend in Interviews, Reportagen oder Kommentaren innerhalb dieser obsoleten Logik bleiben, wenn sie Experten fragen, berichten und „einordnen“. Ausnahmen wie der Ökonom Maurice Höfgen, der auch diese Medienberichte mit Beharrlichkeit auseinandernimmt, oder der Wirtschafts-Podcast Wohlstand für Alle bestätigen die triste Regel. 

Es führt denn auch dazu, dass Politiker*innen und ihre Berater*innen, die an den Unis mit denselben alten Wiwi-Unterlagen gelernt (genauer: sich Wissen eingetrichtert) haben, zu falschen und für ganze Branchen und Gäste/Konsumenten geradezu tragischen Entscheidungen kommen.

Es ist so, als würde man im Hochsprung noch immer kopfüber statt im Fosbury Flop über die Latte springen oder Korbwürfe beim Basketball beidhändig ausführen wie zu Frühzeiten des Sports. Viel Erfolg.

Im Ernst: Die Wirtschaftswissenschaft kann es sich scheinbar leisten, sich nicht grundlegend zu erneuern. Anders als die Medizin, deren Wissen sich binnen weniger Wochen praktisch verdoppelt. Wir können uns das aber nicht mehr leisten. Kein Betrieb sollte schließen müssen, weil unsere Finanzpolitik von gestern ist. Wenn ein Betrieb intern nicht vernünftig kalkuliert und mit ebenfalls vorgestrigem Aufschlag arbeitet, ist das etwas anderes. Das ist hausgemachter Trouble. Dank 12% mehr dann mit fatalem Hebel.

Weil diese übrigens in allen Parteien beibehaltene Finanzpolitik ein dickes Brett und wohl nicht so schnell kleinzukriegen ist, sollte es zwischenzeitlich wenigstens statt an die Peanuts aus der Gastro-Mehrwertsteuer an die wahren Fleischtöpfe gehen. Vermögen, Erbschaft, Finanztransaktionen, die keinen realen volkswirtschaftlichen Effekt zeitigen – hier liegt so viel Geld, das der dringend notwendigen Transformation der Gesellschaft zugute käme und somit letztlich uns allen. Die Gastronomie besteht aus vielen meist sehr kleinen Unternehmen. Sie gewinnt, wenn sie sich für diese progressiven Steuern stark macht statt hinzunehmen, dass regressive Steuern wie die Mehrwertsteuer sie nachhaltig beschädigen.

Kurz: Wenn das zu Tode zitierte Schnitzel nun teurer wird, hat das letztlich etwas mit einer völlig falschen Fiskal- und Finanzpolitik zu tun.

Was bedeutet das für die Gastronomie? Sie leidet unter dieser Ideologie. Sie muss daher weiter, jetzt erst recht, für einen reduzierten Steuersatz kämpfen – und wie gesagt nicht nur für sich selbst, sondern first and foremost für ihre Gäste. Es geht um soziale Gerechtigkeit, Gemeinwohl, Teilhabe, wahren Wohlstand. Die Branche darf sich somit sicher sein, dass sie nicht, wie mitunter behauptet wird, ein Partikular- und Eigeninteresse vertritt. Andere Branchen dürfen sich gerne anschließen.

Mehrwertsteuern sind nämlich immer ungerechte, weil regressiv wirkende Steuern.

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