„Genever ist eine der vielfältigsten Kategorien“ – Myriam Hendrickx, Master Distiller von Rutte

von Jan-Peter Wulf
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Seit 15 Jahren Master Distiller bei Rutte in Dordrecht: Myriam Hendrickx. Foto: Rutte

Seit 2003 ist Myriam Hendrickx als Master Distiller für die Produkte des niederländischen Traditionsunternehmens Rutte aus Dordrecht bei Rotterdam verantwortlich. Neben den Gins, die auch in deutschen Bars immer häufiger zu finden sind, stellt Rutte auch Genever in vielfältiger Form. Denn mit ihm fing hier im Jahr 1872 alles an. 

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Spirituosenkenner wissen: Genever ist der große, ältere Bruder des Gins. Britische Soldaten tranken ihn, in den Niederlanden stationiert, im 30-Jährigen Krieg (1618-1648). Und brachten ihn mit in die Heimat, wo er zum Ginever und schließlich zum Gin wurde. Genever findet auch bei uns, langsam aber sicher, mehr Zuspruch. Über die – durchaus markanten – Unterschiede zwischen den beiden Spirituosen Gin und Genever, die Tradition des Hauses Rutte (in Deutschland via Borco vertrieben) und wie es ist, in einem so genannten Männerberuf zu arbeiten, haben wir uns mit Myriam Hendrickx auf dem Bar Convent Berlin 2018 unterhalten.

Frau Hendrickx, trotz der Nähe zu den Niederlanden: Von Genever hört man hier in Deutschland heute eher wenig. Ist er vor dem Hintergrund des aktuellen Gin-Hypes eine schlafende Schönheit?

Schön formuliert. Und ich stimme zu. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war Genever eine große Sache, er wurde in die ganze Welt exportiert, vor allem in die USA. Was wegen der Prohibition zum Stillstand kam. Danach übernahm der Dry Gin das Ruder. Aktuell aber bringt der Gin auch den Genever zurück in die Bars, weil viele Bartender an Gin und seinen Ursprüngen interessiert sind. Dann landen sie automatisch in den Niederlanden, beim Genever, seinem Vorläufer.

Geschmacklich besteht ja schon ein großer Unterschied zwischen Gin und Genever.

In alten Zeiten wurden Spirituosen ausschließlich in Brennblasen aus Kupfer gebrannt. Bei diesem Verfahren schmeckt man die originäre Quelle für den Alkohol: Getreide, Zuckerrohr oder andere Rohstoffe. Die Verwendung des Säulenbrennverfahrens ermöglichte die Produktion großer Mengen neutralen Alkohols (es kann im laufenden Prozess nachgefüllt werden, Anm. d. Red.), der keinen eigenen Geschmack mehr hat. Dadurch konnte man auch billigeren Rohstoff wie Zuckerrüben nutzen. Dry Gin basiert auf neutralem Alkohol. Er schmeckt daher ausschließlich nach den Botanicals, die man verwendet.

Beim Genever wird hingegen das alte Destillationsverfahren angewendet. Und je nach Genever beträgt der Anteil des so genannten Malzweins (der aus sortenreinem oder gemischtem Getreide destilliert wird und dem Genever seinen besonderen Geschmack verleiht, Anm. d. Red.) fünf Prozent, 40 Prozent, es gibt auch welche mit 100 Prozent. Genever hat ein Geschmacksspektrum, das von fast neutral schmeckenden Sorten bis zu solchen reicht, die beinahe wie Whisky schmecken.

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Gespräch auf dem BCB: Myriam Hendrickx und nomyblogger Jan-Peter Wulf. Foto: Roland Justynowicz

Er ist also sehr vielfältig.

Genever ist eine der facettenreichsten Kategorien überhaupt! Viele Bars haben ein Riesen-Lineup an Gins, sie sollten auch ein solches Lineup für Genever haben, finde ich. 

Er ist also nicht nur ein Pur-Produkt?

Pur wurde und wird er traditionell getrunken. Aber er ist auch gut zum Mixen. Mit nicht fassgelagertem Genever lässt sich ein Gin großartig ersetzen, mit gelagertem Genever ein Whisky. Viele Drinks basieren ursprünglich auf Genever, das ist nur in Vergessenheit geraten.

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Eine winterliche Variante des Martinez: 4 cl Rutte Old Simon Genever, 2 cl Cherry Heering, 2 cl roter Wermut 3 Spritzer Angostura 3 Nelken, Sternanis. Alle Zutaten in ein Glas auf Eis geben, umrühren und in eine Cocktailschale abgießen. Mit Sternanis garnieren.

Welcher Drink zum Beispiel?

Nehmen wir den Martinez: Ein historischer Cocktail, der aus einer Zeit stammt, in der es in den USA deutlich mehr Genever als Dry Gin auf dem Markt gab, er wurde seinerzeit auch meist mit Genever gemacht. Ich empfehle, das mal auszuprobieren, Genever macht den Drink komplexer, runder und milder.

Sie stellen ja beides her, Gin und Genever. Wie viele Produkte gibt es überhaupt von Rutte?

Wir haben insgesamt 60 verschiedene Produkte im Portfolio. Neben Genever und Gin stellen wir auch Liköre her. 

Wie sieht Ihr Arbeitstag normalerweise aus? Was tun Sie, wenn Sie nicht gerade auf einer Messe sind wie hier und heute?

Messebesuche und Masterclasses machen tatsächlich einen gar nicht so kleinen Anteil meiner Arbeit aus, vielleicht 20 Prozent oder sogar mehr. Ansonsten bin ich die Managerin der Destillerie und kontrolliere den Produktionsprozess, und als Master Distiller überprüfe ich alles, was unser Haus verlässt. Ich source Zutaten, analysiere und teste Rezepte. Wir nutzen viele, oft uralte Rezepturen.

Woher stammen diese?

Wir haben bücherweise Material, darunter viel Handgeschriebenes aus den Anfangszeiten der Destillerie. Als ich 2003 anfing, gab es da diesen Dachboden mit allerhand Zeug. Ein Riesendurcheinander! Da ist sicher auch Interessantes darunter, dachte ich mir und rief den Kurator des „National Genever Museum“ in Schiedam an. Wir durchstöberten gemeinsam alles, haben natürlich vieles weggeworfen, wir fanden aber auch alte Familienbilder, Liederbücher – und Rezepte. Es war sehr spannend.

Unser neuer Old Tom Genever (derzeit noch nicht in Deutschland verfügbar, Anm. d. Red.) ist auch so entstanden: Ich war eigentlich auf der Suche nach etwas anderem, da fielen meine Augen auf dieses Rezept aus dem Jahr 1918 – also exakt 100 Jahre alt. Ein Old-Tom-Gin-Rezept. Ich wusste nicht, dass Rutte diesen zu der Zeit schon gemacht hatte, ich dachte eher in den 1930er-Jahren. Mit Orangenblättern und Absinth. Ich habe das Rezept nachgebaut und etwas adaptiert: Es ist ein Mix aus Old Tom Gin und jungem Genever. Eine Menge Vergangenheit und ein bisschen von mir (lacht).

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Das Brennen ist ein so genannter Männerberuf. Aber stimmt das überhaupt?

Es ist schon sehr männerdominiert. Aber um ehrlich zu sein: Ich denke da nie drüber nach. Mich hat bislang auch nie jemand nicht ernst genommen, weil ich eine Frau bin. Es ist eher von Vorteil, weil es ungewöhnlich ist, und es die Leute darum mehr über mich und uns erfahren wollen.

Was würden Sie Frauen raten, die ebenfalls in diesem Beruf arbeiten wollen?

Das zu tun, was sie lieben –  und sich in Situationen, die passieren, nicht angegriffen zu fühlen, sondern den Humor in der Sache zu sehen.

Letzteres müssen Sie uns bitte erklären.

Nun, oft kommen Geschäftsleute in die Destillerie, die etwas verkaufen wollen oder so, und laufen geradewegs an mir vorbei, weil sie denken, ich sei die Sekretärin. Wenn sie dann hören: Die Chefin steht dort vorne, dann kommen sie zurück: „Oh, sorry, ich dachte …“ Es ist besser, belustigt als beleidigt zu sein, wenn die Leute dich nicht sofort sehen. Sie werden ihre Lektion schon gelernt haben. 

Woran arbeiten Sie zurzeit?

An verschiedenen, fünf Jahre im Sherryfass gelagerten Genevern. Die wird es in den nächsten vier Jahren als limitierte Auflage in vier aufeinander folgenden Sorten geben: Zuerst kommt ein Genever aus dem Pedro-Ximenez-Fass, dann Fino, dann Oloroso, dann Cream. Die wird es aber nur in den Niederlanden geben. Und wir arbeiten weiter an kleinen experimentellen Gins und Genevern, zum Beispiel aktuell an einem Genever mit echten Orangen drin.

Klingt spannend. Vielen Dank, Frau Hendrickx! 

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