Katzenjammer in Berlin-Mitte: Le Chat Gris

von Jan-Peter Wulf

grau - medien-tools, getraenke, gastronomie, nomyblog Katzenjammer in Berlin-Mitte: Le Chat GrisWenn man aus persönlicher und beruflicher Neugier neue Gastronomien ausprobiert, gehört es dazu, Enttäuschungen zu erleben. Das bleibt nicht aus.

Manchmal sind es Kinderkrankheiten, von denen sich die Betriebe bei einem Wiederholungsbesuch als kuriert erweisen. Wird man als Gast gefragt, ob es einem gefallen und geschmeckt hat, hat man immer die Möglichkeit, auf Verbesserungswürdiges hinzuweisen. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, und da bin ich bestimmt nicht der einzige, der das weiß, dass gute Gastgeber – die noch besser werden wollen – dankbar für Hinweise sind.

Manchmal ist es aber auch eine von Anfang an verkehrte Einstellung zum Gast, ja zum gesamten Metier, die enttäuscht, verärgert. Die mich dazu bringt, meine Branchenbrille abzusetzen und ich mich als Gast schlecht, unfair, einfach mies behandelt fühle.

Le Chat Gris in der Linienstraße, eine neue Bar an der belebten Ecke zur Torstraße, Mittes Ausgehmeile. Schwarz, schick. Der erste Eindruck ist positiv – die Location passt schon zum hippen Standort und in das minimalistische Gebäude, in dem sie sich befindet. Große Glasfronten und Spiegelflächen weiten den Raum, dunkle Wände und dunkles Mobiliar geben dem Interieur einen edlen Touch. So weit, so gut.

Von den Sanitärräumen zurückkehrend, nehme ich mir die Getränkekarte von einem leeren Tisch (viel los ist noch nicht). Meine Begleitung studiert indes bereits die Karte an unserem Tisch. Die weibliche Servicekraft kommt direkt auf mich zu. Und fährt mich in bestimmendem Ton an. „Can you please put the card back? We have only one card per table.“ Ich fühle mich spontan so, als hätte ich einen Fauxpas begangen, bin so perplex, dass ich nur „I will put it back after choosing my drink“ antworte. Das wird mit geringer Begeisterung akzeptiert.

Wir bestellen, die Drinks kommen, der Horse´s Neck ist gut, die Mule meiner Begleitung ist auch in Ordnung. Aber irgendwie fühlen wir uns seltsam. Was ist da gerade passiert? Dass ich direkt auf Englisch adressiert wurde, ist für dieses Quartier längst nicht mehr unüblich. Was hingegen mir gesagt wurde, lässt mich nach und nach immer ungehaltener werden. Warum dieser Hinweis? Warum ist es hier ganz offensichtlich ein Problem, sich – wie es in zig anderen Betrieben keines wäre – eine Karte vom Nebentisch zu nehmen? Warum kann die Bedienung nicht, nachdem sie die bei zwei Karten bequemere, zügigere Bestellung aufgenommen hat, idealiter noch etwas aus der Karte empfohlen hat, fragen, ob wir noch beide Karten brauchen (könnte die Antwort anders als „nein“ lauten?), sie an den zwei Meter entfernten Tisch zurücklegen und die Bestellung an den Barkeeper weiterreichen?

Nach einem halben Tag des Sinnierens über diese vermeintlich nicht der Rede werte Kurzsituation, die den gesamten Aufenthalt in der Bar vergällt hat, ist mir klar: Sie kann nicht, weil sie nicht soll. Weil es nicht zum Konzept passt. Das Konzept sieht eine coole, hippe, durchgestylte Bar vor, in der einfach alles, alles perfekt sein will. Sein soll. Sein muss.

Die Karte, die sich nicht mehr auf dem „richtigen“ Tisch befindet – ein Störfaktor. Der Gast, der sich in diesem Raum anders verhält, als das Konzept es vorsieht – ein Störfaktor.

Hier geht es nicht um Service, nicht um Gastgeber-Sein, nicht darum, den Menschen, die mit einer hundertprozentigen Kaufabsicht, der Bereitschaft, Geld hier auszugeben und nicht anderswo, eine gute Zeit zu geben. Nein, es geht nur um eines: Style, als Rinnsal des Stils. Design bestimmt das Bewusstsein. Der Mensch, der laut und leise, klein und groß, aus Berlin, Bochum und aus Spanien ist, er stört in am Coolness-Reißbrett entworfenen Planflächen wie diesen, die sich vermutlich als „upfront bar“ positionieren wollen, und dabei die einzig nicht kalkulierbare Variable, den Faktor Mensch, einhegen wollen, indem er zur Not, wie in diesem Falle, zurechtgewiesen wird. Ich meine, wir haben keine Eiswürfel durch die Gegend geworfen oder so.

Verwundern tut mich diese Erfahrung umso mehr, wenn man bedenkt, dass es doch ein neues Projekt der Macher um die Neue Odessa Bar ist, die sich einer (wenngleich, aus ebenfalls wegen negativer Erlebnisse begründet, nicht meiner) recht großen Beliebtheit erfreuen darf.

Dass die Servicekraft nach halb geleerten Drinks erneut vorbeikam – nicht um zu fragen, ob alles in Ordnung ist, das war besser so für sie – sondern um abzukassieren, denn der „Tischservice“ sei nun beendet, ab sofort sei nur noch am Tresen zu bestellen, hat den negativen Gesamteindruck abgerundet.

Es bleibt nur zu hoffen, dass es mehr Menschen gibt, die solche Konzepte stören, die sich nicht zu schade sind, dieses zu benennen, es dem „Service“ direkt ins Gesicht sagen. Vielleicht ändern die Menschen, die in solchen Konzepten walten, dann doch noch ihre Haltung.

Nachtrag: Der Negroni in der Neuköllner Nachbarschaftsbar, die wir im Anschluss besuchten, war nicht perfekt gemixt (ganz im Gegensatz zu jenem im Reingold zu Beginn des Abends, immer wieder ein Vergnügen). Und doch hat er fantastisch geschmeckt: Denn die Bestellung wurde mit einem Lächeln entgegen genommen, weil es in dem zurecht gut gefüllten Laden länger dauerte, gab es zwischendurch ein sympathisches Entschuldigungszeichen des Barkeepers, der uns schließlich die Drinks persönlich an den Tisch brachte, weil der Servicemitarbeiter gerade draußen zu tun hatte.

Das Leben sei zu kurz für schlechte Drinks, sagt man. Für schlechten Service ist es das auch.

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1 Kommentar

DB 8. Dezember 2012 - 01:56

Die Eindrücke des Autors kann ich nicht bestätigen. Es ist immer ein absolutes Vergnügen das le chat gris zu besuchen, gerad wegen dem großartigen und vorzüglichen Service.
Vielleicht passt der Autor seinerseits schlicht nicht in diese Bar.

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