Stefan Gerhardt: „Wir wollen ein breites Bündnis schaffen“

Über die Pläne des Verbands deutscher Schul- und Kitacaterer

von Jan-Peter Wulf
Stefan Gerhardt scaled - gastronomie, food-nomyblog Stefan Gerhardt: „Wir wollen ein breites Bündnis schaffen“

Foto: Hanno Keppel

Seit dem Jahreswechsel werden auch im Schulcatering wieder 19% Mehrwertsteuer auf Speisen fällig. Was bedeutet das für die Unternehmen – und wie sehen die Perspektiven für die Branche zwischen Kostendruck und Qualitätsansprüchen aus? Darüber sprachen wir mit Stefan Gerhardt von der „Frischküche“ in Braunschweig, Vorstandsmitglied im Verband deutscher Schul- und Kitacaterer.

Herr Gerhardt, welche Auswirkungen hatte die Wiedererhöhung auf 19% Mehrwertsteuer für das Schulcatering?

Wir selbst haben die Preise centgenau erhöht. Was vorher 3,90 Euro kostete, kostet jetzt 4,33 Euro. Das können aber nicht alle Caterer tun. Manche haben einen festen Vertrag mit Bruttopreis. Ich weiß von Fällen, in denen die Verwaltung eine Erhöhung akzeptiert hat, in anderen jedoch kam die Rückmeldung, dass der Preis stabil bleiben muss. Einige Caterer gehen dazu über, Nettopreise bei der Ausschreibung anzugeben – und wenn auf dieser Basis Vereinbarungen getroffen wurden, konnten die Preise erhöht werden. Doch das ist bisher die Ausnahme.

Was dann vermutlich bedeutet, es muss anderswo gespart werden.

Am Lebensmittel oder am Personal. Oder man hört auf, solche Fälle gibt es auch.

Keine schönen Optionen. Eigentlich sah es ja so aus, dass die 7% bleiben würden. Doch dann kam im November 2023 das Urteil aus Karlsruhe und kurz darauf war das Thema vom Tisch. Dabei haben sogar die Wirtschaftsinstitute, die sich für eine Rückkehr zu 19% in der Gastronomie ausgesprochen haben, dafür plädiert, im Schulcatering beim reduzierten Steuersatz zu bleiben. Warum ist das nicht passiert?

Es ist in der Politik oben nicht angekommen, weil es alles auf den letzten Drücker passiert ist. Es hätte schon im Vorfeld stärker darauf hingewiesen werden müssen, dass es eine Win-Win-Situation ergeben kann.

Jetzt müssen in der Regel die Familien mehr zahlen.

Es gibt noch Wege, zum Beispiel können über die Arbeitsagentur BUT-Leistungen (Bildung und Teilhabe, Anm. d. Red.) beantragt werden, zu denen auch ein kostenloses Schulessen zählt. Das ist aber nicht gerade einfach – und man muss es wissen.

Es ist ja so, dass viele staatliche Leistungen nicht abgerufen werden, weil sie nicht bekannt sind oder ihre Beantragung umständlich ist. Von der Tatsache ganz abgesehen, dass es manchen Menschen unangenehm sein dürfte, die Bedürftigkeit offen zu legen.

Als Verband Deutscher Schulcaterer wollen wir ein kostenloses Mittagessen für alle erreichen. Das muss das Ziel sein.

Dafür macht sich jetzt ja auch der neue Bürgerrat Ernährung stark. Also stimmen Sie dieser Forderung zu?

Schon, aber ein kostenloses Schulessen muss an Qualität gebunden werden. An Regionalität, an einen ökologischen Anteil – die Caterer müssen schon in die Pflicht genommen werden, damit die Kinder ein richtig gutes Essen erhalten.

Wie könnte man die Qualität sichern und messen?

Es gibt ja die Standards der DGE und Zertifizierungen für den Bioanteil. Den deutschen Bioanteil – um eine Wertschöpfung hierzulande zu erzielen – kann man durch eine Bioland-Zertifizierung bewerten. So machen wir das auch. Der CO2-Fußabdruck lässt sich ebenfalls bewerten und durch kurze Lieferwege senken.

Gehen diese Bestrebungen mit dem hohen, jetzt noch einmal erhöhten Kostendruck zusammen?

Das geht zusammen. Wir haben vor sechs Jahren von konventionell auf Bio umgestellt, innerhalb eines Jahres auf 100%, ohne die Preise zu erhöhen. Natürlich muss man den Speiseplan dann anders gestalten, zum Beispiel weniger Fleisch verwenden, weil es sehr teuer ist. Ein Hähnchenfilet geht dann im Biobereich einfach nicht mehr, wenn das Essen vier oder fünf Euro kostet. Stattdessen gibt es dann eine Bolognese mit halb Fleisch und halb Gemüse. Beim Rinder-Gemüse-Gulasch sind wir sogar schon bei 30% Fleisch und 70% pflanzlich. Und durch vegetarische Schlager wie Käsespätzle, Moussaka oder Kartoffelcurry. Man muss ganz bewusst sehr saisonal arbeiten. Im vergangenen Herbst hatten wir jede Woche frische Maiskolben, die sind günstig im Einkauf und damit kann man sehr gut arbeiten. Einen gebratenen Radicchio kann man super vorbereiten, 100 Portionen sind überhaupt kein Problem. Und die Kinder sagen: Das schmeckt ja cool! Das Kreative, Intuitive fehlt manchmal.

Als Berater engagieren Sie sich auch für eine bessere Mitarbeitermotivation. Ist frisches Kochen auch dahingehend ein Hebel?

Als ich anfing, im Zuge der Umstellung Biogemüse und -obst einzukaufen, haben meine Mitarbeitenden gesagt: Das schmeckt ja viel besser! Viele stehen nicht unbedingt hinter Bio, weil eine normale Küchenhilfe sich das für zu Hause nicht unbedingt kauft. Jetzt stehen die Leute ganz anders dahinter. Höhere Qualität ist erst einmal teurer, aber ich finde: Man muss manchmal erst einmal geben, bevor man nehmen kann. Zuerst auf Marge verzichten, aber dann mittelfristig vielleicht mehr Essen kochen, weil die Schüler sagen, dass es ihnen schmeckt. So erzielt man am Ende idealerweise auch mehr Marge.

Klingt gut, doch die Realität sieht mitunter anders aus. In Berlin etwa gab es bei den jüngsten Ausschreibungen teils einen regelrechten Preiskampf mit Dumping-Angeboten.

Der Fehler ist, dass mit Höchstpreisen ausgeschrieben wird. Mindestpreise wären sinnvoller, zusammen mit bestimmten Qualitäten, die erbracht werden müssen.

Mal etwas rausgezoomt: Es spiegelt sich in der gesamten Thematik wenig Wertschätzung für gutes Essen wieder.

Das stimmt. Und dabei entwickeln sich die Geschmacksnerven zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr. Heißt: In dieser Zeit entscheidet sich, was die Menschen in den nächsten 50 Jahren essen – und was nicht. Umso wichtiger ist es, richtig gute Qualität an die Kinder ranzubringen, auch mit Kochunterricht und -kursen. Das Kochen wird zu Hause heute kaum noch gelernt, das ist einfach Fakt. Also ist es unser Bildungsauftrag über ein Schulessen, in dem auch viele neue Sachen drin sind. Hülsenfrüchte wie Kichererbsen beispielsweise. Die muss ich aber so verarbeiten, dass sie gerne gegessen werden. Einen Eintopf mit ganzen Kichererbsen essen die Kinder nicht auf. Ich muss es fein pürieren und glatt machen. Dann können auch ganz viele Zwiebeln drin sein, wie bei den Käsespätzle, um sie saftig zu machen. Auf Zwiebeln herum kauen will kein Kind.

Welche Impulse braucht die Schulverpflegung noch?

Quartiersküchen, wie wir sie hier in Gifhorn und Braunschweig gebaut haben. Wir brauchen in jedem Stadtteil eine Frischeküche, von der aus umliegende Schulen im nahen Radius beliefert werden. Zum einen sind dann die Wege kurz und man kann schnell reagieren, wenn etwas fehlt, zum anderen ist es auch für die Caterer interessant. Biond aus Kassel übernimmt (seit 1. Februar 2024, Anm. d. Red.) unsere Schule in Braunschweig und sie werden diese Quartiersküche nutzen.

Warum geben Sie die Schulen ab?

Ich bin jetzt seit 40 Jahren Koch und möchte mich auch anderen Dingen widmen. Ich will auch den Druck nicht mehr, den man mit dem eigenen Betrieb hat. Die Beratung und die Verbandsarbeit werden aber weiterlaufen. Ich möchte mehr ehrenamtlich arbeiten – und helfen, wenn Not am Manne ist (lacht).

Letzte Frage: Was ist im Verband geplant?

Wir wachsen gerade sehr stark und bekommen immer mehr Mitglieder, auch große Unternehmen. Deswegen sind wir zurzeit damit beschäftigt, die Struktur anzupassen. Und wir wollen uns dafür einsetzen, ein breiteres Bündnis zu schaffen. Wenn Krankenkassen, Kinder- oder Zahnärzte mit im Boot sind, denen kommt ein besseres Schulessen ja auch zugute, dann reagiert auch die Politik. 

Herr Gerhardt, alles Gute und vielen Dank.

Zur Person
Stefan Gerhardt absolvierte die Ausbildung zum Koch im Hotel Bareiss in Baiersbronn. Weitere ausgewählte Stationen: Le Gourmet, München, Gravetye Manor (UK), Direktionscasino Deutsche Bank. Gerhardt ist seit 1994 in der Betriebsverpflegung selbstständig tätig, seit 2012 in der Schulverpflegung und in der Beratung für Caterer, Kommunen, Schulträger, Schulleitungen und die Industrie. Bis Februar 2024 kochte das Unternehmen „Frischküche“, das er zusammen mit seiner Frau Marion leitet, für zwei Schulen sowie im Cook-and-Chill für weitere Grundschulen und Kitas. Die Aufträge übernahm nun der Bio-Caterer „Biond“, Kassel. Gerhardt ist im Vorstand des VDSKC  – Verband deutscher Schul- und Kitacaterer e.V. tätig.

Mehr Infos:
www.schulmensa-beratung.de
www.vdskc.de

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