sell & pick: Gamification und Quantified Self für die Gastronomie

von Redaktion
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An dieser Station sieht der Mitarbeiter, was er drauf hat.

Dass die Mitarbeiter mehr verkaufen und dem Betrieb mehr Umsatz bringen sollen, ist Ziel jedes wirtschaftlich denkenden Gastronomen. Der Weg dahin ist aber oft nicht klar definiert oder: nicht sichtbar. Transparenz schaffen und mit spielerischen Elementen die intrinsische Motivation des Mitarbeiters fördern, das will sell & pick.

Eine Gamification-Software für die Gastronomie? Klingt witzig, doch ich bin skeptisch. Es gibt einfach zu viele technische Spielereien für die Branche, die keinen Sinn machen aus meiner Sicht. Kürzlich wurde mir ein würfelartiges Konzept präsentiert: Der Quader leuchtet rot auf, wenn die Gäste ihn betätigen, weil sie zu lange auf ihre Bestellung warten. Nicht, dass ich mir nicht manchmal so einen Quader wünschte (besonders, wenn ich zahlen, also gehen will, und keiner zum Abrechnen kommt, da würde ich den gerne werfen) und der Gedanke – dadurch besseren Service gewährleisten – ist ja gut, aber ein Restaurant, das eine solche Tischampel braucht, hat ein mittelgroßes internes Serviceproblem und macht es dann mit einer roten Signalfarbe auch noch sichtbar für alle.

Und allgemein denke ich: Gäste wollen Technik am Tisch gar nicht, sie sind den ganzen Tag davon umgeben. Dazu habe ich neulich hier was gesagt.

Weil hinter „sell & pick“ aber mit Andreas Steinbeißer nicht nur ein echt netter Typ steckt, sondern vor allem jemand, der in Sachen Digital-Tools in der Gastronomie und für die Mitarbeiterförderung auf viele Jahre Erfahrung zurückblicken kann und in seiner Zeit beim Systemer „Sausalitos“ dahingehend, man kann es so sagen, digitale Pionierarbeit geleistet hat (z.B. Beschwerdemanagement per Twitter), schaue ich mir das doch mal genauer an, dieses Tool, das „sell & pick“ heißt. Steinbeißer stellte es mir schon auf der Internorga vor, jetzt ist es draußen.

Die Mission von „sell & pick“: Motivation

Erster Pluspunkt: Der Gast kriegt von der ganzen Sache bestenfalls gar nichts mit (oder höchstens indirekt durch intensivere Zuwendung). Die Tablets, auf denen das Programm läuft, stehen an der Station oder im Personalbereich. Dort holt sich der Mitarbeiter die Info ab, welche „Mission“, so heißt es hier, aktuell läuft.

Worum geht es? Erstmal um schnöde Verkaufsförderung: Das Aktionsprodukt, den Salat, der raus muss, den Artikel mit tollem Deckungsbeitrag oder den „signature drink“ des Industriepartners, der letzte Woche zum Jahresgespräch beim Chef zu Gast war, rausverkaufen. Mit dem „station overview“ kann jeder im Team sehen, wo man gerade steht in der aktuellen „Mission“. Beispiel Radler. Davon sollen in einer Stunde 40 Liter verkauft werden – eine nette Visualisierung zeigt ein Glas, das sich peu à peu füllt. Die Daten kommen übrigens nicht aus der Kasse, sondern das Tool hängt sich als „virtueller Drucker“ direkt ans Warenwirtschaftssystem, ohne darauf Einfluss zu nehmen.

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Rechts: Missionsreport, links: Teamplayer

Well. Jetzt könnte man als Angestellter im Betrieb zurecht fragen: Wenn mein Chef oder der Betriebsleiter nun solche Missionen anlegt und wir alle fein raus verkaufen können und sollen, was habe ich eigentlich davon? Es gibt zwar die Möglichkeit, Mitarbeiter für ihre Leistungen zu belohnen, zum Beispiel mit Prämien und Gutscheinen. Aber langfristig, so Steinbeißers Erfahrung, nutzt sich „extrinsische“ Motivierung durch Belohnungen ab und schafft immer weniger Anreize. Die Lerntheorien der Pädagogik kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Hey Chef, schau mal was ich kann / Hey Selbst, schau mal was ich kann

Warum könnte „sell & pick“ dennoch für den Betrieb interessant sein? Weil es die intrinsische Motivation anspricht. Steinbeißer:

Durch die Transparenz sehe ich, dass ich besser werde. Das macht mich sicherer und selbstbewusster.

Lernen macht selbstmotiviert ja auch mehr Spaß, nur dann eigentlich. „sell & pick“ wird diejenigen Mitarbeiter, die Dienst nach Vorschrift schieben und es auch nicht zu ändern gedenken, vermutlich nicht großartig pushen (wobei, selbst da bin ich mir nicht sicher). Wer jedoch weiterkommen, besser, schneller, professioneller werden will, der bekommt seine Performance hier auf den Schirm.

Und so wird aus einem scheinbar durchschnittlichen, unauffälligen Mitarbeiter vielleicht auf einmal „Mr. Barista“, weil er schlicht und ergreifend der Kaffeeverkäufer Nr. 1 im Team ist. Nur hat es bislang nie jemand mitgekriegt. Oder gar zur „Rampensau“ (die besonders gut performt, wenn der Laden voll ist) oder vielleicht zeigt es auch einfach nur, dass dieser Mitarbeiter seit der Service- oder Verkaufsschulung vor zwei Monaten seinen Umsatz um acht Prozent gesteigert hat. Oder wie mannschaftsdienlich er arbeitet – für umsatzferne Tätigkeiten wie Aschenbecher saubermachen, Terrasse aufbauen und Klo checken gibt es bei „sell & pick“ eine separate Darstellung, mit der Teamplayer hervorgehoben (und Faulenzer enttarnt) werden.

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Individueller Screen: Bin ich schon gut genug, um den Laden zu übernehmen?

Wenn Mitarbeiter mit „sell & pick“ eigene Missionen launchen dürfen, wird‘s richtig spannend

Richtig interessant wird es dann, wenn das Anlegen eigener Missionen von oben erlaubt wird. Beispiele: Tim und Tom machen immer dieselbe Schicht. Wer verkauft heute mehr Dessert? Das Spiel beginnt. Tina hat mit 18 Espressi gestern den Betriebsrekord aufgestellt, der dürfte doch zu knacken sein für Tanja? Das Spiel beginnt. Die Welt, auch der Arbeitsplatz, als Spielfeld – warum nicht? Rund zwanzig Jahre weggewesene Monstertierchen erleben damit gerade ihr Riesencomeback rund um den Globus.

Der Vorteil solcher selbst aufgesetzten Missionen: Der Chef braucht gar keine Ziele mehr groß vorgeben, die Mitarbeiter setzen sie sich selbst, organisieren und motivieren sich selbst.

Wenn man, so der Plan von „sell & pick“, den Status nicht nur an der Station abrufen wird können, sondern auch am eigenen Device wie dem Smartphone oder der Smartwatch, dann ist man, analog zur Jogging- oder Schrittzähl-App, mitten im Thema „quantified self“ angekommen: Wenn ich sehe, wie positiv ich mich entwickle, wie ich mich stetig verbessere in den Abläufen und Abverkäufen, dann weiß ich irgendwann: Jetzt bin ich fit genug, um eine Beförderung zu verlangen. Oder mehr Stundenlohn. Oder Schichtleiter oder Betriebsleiter zu werden – dem Chef bzw. Vorgesetzten kann man das dann mit Zahlenwerk plausibel und schmackhaft machen. Gute Filialleiter und Franchisenehmer werden immer gesucht. Vielleicht traue ich mich dann, wenn ich sehe, was ich kann, auch erst recht, meinen eigenen Laden aufzumachen, weil das ja eigentlich mein Traum ist?

Fazit: „sell & pick“ ist ein waschechtes Tool für „Millennials“, die erfolgreich sein wollen, eigene Ziele verfolgen, gewinnen wollen (spielerisch und real, die Grenzen verschwimmen) und die – anders als ältere Generationen – auch kein Problem damit haben, ihre Performance offen zu legen. Die Grundvoraussetzungen stimmen. Ob die Software tatsächlich zum Erfolg wird, das wird sich zeigen. Die Gastronomie hat sich bislang nicht als Ort der Implementierung innovativer Tools für Mitarbeiter hervorgetan, obschon sie eigentlich prädestiniert dafür ist.

Wer es ausprobieren will: Es kostet derzeit 59 Euro monatlich pro Restaurant und 1,99 pro Mitarbeiter-Account. Freilich nicht für die Mitarbeiter selbst, sondern für den Chef. Die Motivation soll ja nicht im Keim erstickt werden.

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1 Kommentar

Lita Haagen 27. März 2017 - 16:29

Besonders gut gefällt mir, dass auch Teamplayer mit umsatzfernen Tätigkeiten erfasst werden. Aber muss man dann jedes Mal, wenn man einen Aschenbecher ausgeleert oder eine Kippe von der Terrasse aufgehoben hat, einen Knopf drücken, oder sich gar durch ein ganzes Menü hangeln?
Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt. Grundsätzlich finde ich die Idee super.

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