Exklusiver Abdruck aus „Die erfolgreiche Betriebsübergabe“ von Marek Gawel

Onboarding und Findung – zwei der vier großen Prozesse bei der Übergabe des Staffelstabs

von Gastautor
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Foto: Marek Gawel

Rund 150.000 Familienunternehmen in Deutschland befinden sich zurzeit im Prozess der Betriebsübergabe – davor oder darin. Viele davon in der Gastronomie und Hotellerie. Wie sollten die einzelnen Phasen dieses Prozesses ablaufen und wie können Übergeber und Übernehmer sie so gestalten, dass der Wechsel/Wandel erfolgreich klappt?

Dazu hat Marek Gawel einen Leitfaden geschrieben. Der Autor weiß, wovon er spricht, denn er hat den Prozess selbst durchlaufen. In Boppard am Rhein leitet er zusammen mit seiner Frau das Bellevue Rheinhotel in fünfter und das Hotel Ebertor in dritter Generation. Seine Erfahrungen hat er in ein sehr gut strukturiertes, das Thema vom eigenen auf den allgemeinen Prozess hebendes Level bringendes Buch verarbeitet. Eines, das sich unserer Meinung nach für alle Betriebe der Branche eignet, vom traditionellen Landgasthof bis zum City-Café.

Hier haben wir eine ausführliche Rezension verfasst.

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An dieser Stelle übergeben wir aber dem Autoren selbst das Wort und drucken exklusiv zwei der im Buch formulierten vier Übergabe-Phasen ab: Onboarding und Findung. Die beiden weiteren, Konsolidierung und Offboarding, die Zeit davor und danach soviel viele weitere essentielle Punkte dieses komplexen Themas finden sich im Buch, das wir, wie gesagt, sehr empfehlen. Auf Marek Gawels Webseite gibt es zudem praktische Checklisten.

Die vier Phasen der Übergabe

Ihre Übergabe lässt sich in vier Phasen einteilen. Jede Phase stellt sowohl Übernehmer als auch Übergeber vor eine Reihe von Aufgaben und Herausforderungen. Dabei sollte Ihnen von Beginn an klar sein, dass es keinen „perfekten“ Weg geben wird. Vielmehr ist jetzt der Punkt erreicht, an dem Sie gemeinsam, aber auch jeder für sich an der Übergabe arbeiten müssen.

Um eine Orientierung zwischen den einzelnen Phasen herzustellen, wird hierfür das Modell der Balanced Score Card (BSC) aus dem strategischen Management für den Übergabeprozess adaptiert. Die BSC ist ein Managementinstrument, das strategische Ziele und Kennzahlen eines Unternehmens auf einfache Weise sichtbar machen kann. Sie hilft bei der Planung und Strategieumsetzung innerhalb des Unternehmens und basiert auf einer Studie von Professor Robert S. Kaplan und dem Unternehmer David P. Norton.

,,Die BSC schafft einen Rahmen und eine Sprache, um Mission und Strategie zu vermitteln. Sie verwendet Kennzahlen, um Mitarbeiter über Erfolgsfaktoren für gegenwärtigen und zukünftigen Erfolg zu informieren.“ (Fleig, 2019)

Erweitert wurden diese vier Perspektiven mit den jeweiligen Anforderungen an Übergeber und Übernehmer in allen vier Phasen der Übergabe. Beide haben hierbei in jeder Phase eine eigene Rolle, die besonders hinsichtlich ihres Verhaltens innerhalb des Unternehmens und gegenüber dem übergebenden/übernehmenden Partner wichtig und im zwischenmenschlichen (psychologischen) Kontext zu sehen ist.

Wie lange jede einzelne Übergabehase andauert, lässt sich nur schwer pauschal sagen. Daher werden für jede Phase Zeiträume angegeben. Aller Erfahrung nach nehmen die genannten Faktoren bei der Planung des Zeitraums der Übergabe (Alter, Gesundheitszustand, Reife, wirtschaftliche Verhältnisse, Mitarbeiter und sonstige Außeneinflüsse) hierauf besonderen Einfluss.

„Wenn Sie Vertrauen schenken, werden Sie Vertrauen ernten. Ein Restrisiko bleibt bei jeder Übergabe, wenn Sie aber nicht bereit sind zu übergeben, so wird der Betrieb mit Ihnen sterben. Den größten Trumpf hat nämlich die Jugend.“
Otto Fehrenbacher, Hotel-Restaurant Adler in Lahr

Phase 1: Onboarding

Nachdem alle vertraglichen und rechtlichen Themen besprochen und beurkundet worden sind, beginnt der erste gemeinsame Tag von Übergeber und Übernehmer im Unternehmen.

Potenziale

Während des Onboardings werden beide Parteien feststellen, dass durch einen neuen Unternehmer frischer Wind und andere Herangehensweisen sofort öffentlich werden. Dies kann zum Aufdecken versteckter bzw. schlafender Potenziale führen, die unmittelbar gehoben werden können. Achten Sie darauf, nicht sofort „zu viel Staub“ aufzuwirbeln. Ganz zu Beginn scheinen Potenziale der Übergabe noch unentdeckt.

Finanzen

Ihre finanzielle Situation sollten Sie sehr genau beobachten. Eine Übergabe kann zu Beginn einiges an zusätzlichen Ressourcen – auch im Personalbereich – verbrauchen. Gleichzeitig kann zu Be ginn des Übergabeprozesses der Betrieb durch ein neues Führungsmitglied starken Schwankungen unterworfen sein. Bis zur Konsolidierung des Unternehmens werden sie unweigerlich einen erhöhten Kostenblock haben. Sie sollten sich hierauf einstellen und es teilweise auch unter dem Konto ,,learning by doing“ verbuchen. Stellen Sie idealerweise Reserven ein.

Interne Prozesse

Ihre Mitarbeiter benötigen genauso wie der Übergeber und der Übernehmer Zeit und Geduld, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Vorsorglich sollten Sie bereits vor Beginn der Übergabe damit rechnen, dass es einige Kandidaten im Team geben wird, die den Prozess nicht bis zum Ende begleiten werden. Ihre Mitarbeiterfluktuation könnte steigen. Übergeber und Übernehmer sollten sich zu jeder Zeit darüber im Klaren sein, dass es zu Rückschlägen innerhalb der Zielvereinbarung beim Code of Conduct geben wird (also bei der Vereinbarung, wie man gemeinsam miteinander umgeht). Definieren Sie diesen Code im Vorfeld und arbeiten Sie kontinuierlich daran. Ein Mediator kann besonders zu Beginn der Übergabephase helfen. Beide Seiten (Übergeber und Übernehmer) werden sich an ihre neue Position im Unternehmen und die geänderte Kommunikationspolitik gewöhnen müssen. Es ist wichtig, dass Sie sowohl an sich selbst als auch am Umgang untereinander gemeinsam arbeiten und danach handeln – Tag für Tag.

Es kann sich durchaus lohnen, bestehende Zugpferde im Team frühzeitig an den Übernehmer zu binden. Dafür sollten bewusst Anreize und Impuls geschaffen werden. So können Sie von An fang an die Basis dafür schaffen, positive Ambassadeure des Übergabeprozesses zu überzeugen, die wiederum einen Teil der Wackelkandidaten im Team auf die Seite des Übernehmers ziehen können.

Externe Sicht

Ob es Ihnen gefällt oder nicht: Das Einbeziehen der Außenwelt im ersten Schritt ist wichtig, denn eine Betriebsübergabe, gerade unter Familienmitgliedern, generiert ein erhöhtes Interesse im Betriebsumfeld. Gehen Sie professionell damit um. Sie sollten auch das Feedback Ihrer Kunden verstärkt messen. Es kann Ihnen Informationen über Störungen im Betriebsablauf oder Disharmonie innerhalb des Betriebs liefern. Aller Erfahrung nach sind die Feedbackbogen (on- wie offline) ein Frühwarnindikator, der Ihnen mögliche Probleme im Unternehmen (z. B. auf Prozess ebene) liefern kann. Hier reicht bereits die Doppelnennung eines Problems in sehr kurzem Abstand. Werten Sie Feedbackbogen also sorgfältig aus.

Die Aufgabe des Übergebers

In der ersten Phase führt der Übergeber den Übernehmer an seine Aufgabe heran. Er sollte dabei bestrebt sein, diesen in jeder Tätigkeit im Innen- und im Außenverhältnis zu stärken und ihn in dieser gefährlichen Phase zu schützen, da es ja die ersten Geh versuche“ in der leitenden Position sein könnten. Die geschäftsführende Betriebs- und Entscheidungskompetenz liegt verstärkt auf den Schultern des Übergebers.

Machen Sie sich bewusst, dass Sie nach Kurt Lewins Drei-Phasen Modell des Change Management in der ,,Unfreeze“-Phase stecken. Das bedeutet, Ihr Unternehmen steht vor einer großen strukturellen Änderung (obwohl dies noch nicht offensichtlich ist). Um je doch Änderungen zulassen zu können, die dann in den folgenden Phasen implementiert werden, muss die bestehende Struktur aufgebrochen werden. Behutsam, taktisch, taktvoll, gewinnend und motivierend. Rechnen Sie mit Gegenwind, der nicht nur Ihnen entgegen bläst, sondern auch dem Übernehmer. Sie sind aktuell der stärkere Part im Unternehmen und müssen diesen Prozess unterstützen, ihn lenken, moderieren und manchmal auch die Führung übernehmen, auch wenn es nicht ,,Ihr“ initiierter Wandlungsprozess ist.

Die Aufgabe des Übernehmers

Von Vorteil ist es natürlich, wenn der Übernehmer bereits in einen Teilbereich des Betriebs eingearbeitet ist oder diesen eventuell schon führt bzw. administriert. So ist ein erster ,,Rückzugsort“ zur mentalen Aufbauarbeit geschaffen, sollten Probleme auftreten. Der Übernehmer sollte in der ersten Phase als Zuhörer fungieren und lernen. Dabei sollte er in der Lage sein, sein Ego zurücknehmen zu können, denn noch wird er kaum das gesamte Aufgabenfeld überblicken können. Betriebliche Entscheidungen sollten mit dem Übergeber im Vorfeld abgesprochen werden, um mögliche Fettnäpfchen zu vermeiden. In der ersten Phase in neuer Funktion im Unternehmen empfiehlt es sich, viel ,,mitzuschreiben“ und seine Erkenntnisse für sich zu behalten. Erstellen Sie bestenfalls eine Liste pro Abteilung, die auflistet, was Ihnen hier besonders gut gefällt/nicht gefällt. Sie werden diese Notizen im gesamten Übergabeprozess gebrauchen können, denn es gibt keinen besseren Moment, als beim Einstieg unvoreingenommen und mit frischen Augen und offenem Geist Dinge zu hinterfragen. Eine Grundstruktur der Erfassung kann je nach Umfang ratsam sein. Beginnen Sie, Ihre Wahrnehmungen nach Abteilung zu strukturieren. Werten Sie diese nach ca. drei bis sechs Monaten aus und gewichten sie nach Wichtigkeit (A = sehr wichtig bis C = eher unwichtig). Geben Sie bei Ihrer Analyse kein Werturteil ab, sondern nutzen dies als zwei te Analyse des Unternehmens (nach der Unternehmensbewertung eines unabhängigen Beraters).

Zeitraum

Die Onboardingphase beträgt zwischen 6 und 18 Monaten und sollte 24 Monate nicht übersteigen.

 

Phase 2: Findung

Potenziale

Sehen Sie den Verlust von ,,alten Zöpfen“ im Team auch als Chance; einige Abgänge werden Sie nicht verhindern können. Übernehmer sind jedoch gut beraten, mit der gebührenden Demut und mit Respekt vor der Leistung scheidender Kollegen vorzugehen. In der Findungsphase beginnt der Prozess erster Projektumsetzungen. In der Regel sollten Sie als Übernehmer nach dem Ankommen ,,flügge“ werden und mit Kraft und Elan an die Aufgaben herangehen. Dieser Geist birgt Potenzial und kann für das gesamte Team ansteckend sein.

Finanzen

Ihre finanzielle Situation sollten Sie weiterhin sehr genau im Auge behalten und stärker messen als üblicherweise. Zwar scheint die Anfangsphase bedrohlicher zu sein, jedoch birgt die Findungsphase weiterhin das Risiko der erhöhten Kosten, und zwar aufgrund von Fehlentscheidungen, die im schlimmsten Fall umgehend korrigiert werden müssen. Neue Aktivitäten können zu einem erhöhten Kostenblock führen, weil sich ihr Ertrag erst zu einem späteren Zeitpunkt auswirkt.

Interne Prozesse

Eine schwierige Phase für alle Kollegen im Team steht nun an. Mit einem aufstrebenden Übernehmer und einem immer noch gefestigten Übergeber kann es zu Missverständnissen oder Fehlkommunikation kommen. Diese können auch zwischen Übergeber und -nehmer für Unruhe sorgen: eine kritische Situation, die es zu vermeiden gilt. Vor allem sollte sie sich nicht auf das Gesamt unternehmen auswirken. Durch den Übernehmer neu eingeführte Prozesse, die im ersten Moment nicht ,,rund“ laufen, können zusätzliche Probleme verursachen. Abläufe müssen sich erst neu finden, und dieser Prozess kann zu Spannungen im Ablauf des Unternehmens führen. So können wichtige KPI’s (Key Performance Indicators – Leistungskennzahlen) bei der Performance sinken, die sich auch auf das Geschäftsergebnis negativ auswirken.

Sorgen Sie dafür, dass Sie zu diesem Zeitpunkt des Übergabeprozesses bereits eine gute Kommunikationsstruktur im Unternehmen aufgebaut oder umgesetzt haben. Die Kommunikation innerhalb des Unternehmens kann analog per schwarzem Brett“ oder digitalem Pendant – appbasiert – erfolgen. Wichtiger als die Art ist, dass Sie dafür sorgen, dass die Kollegen sich hieran halten und Ihrer Informationspflicht nachkommen.

Externe Sicht

Wie sich der Übergabeprozess in der Außenwirkung darstellt, hängt in erster Linie von einem harmonischen Auftritt von Übergeber und -nehmer sowie der Akzeptanz neu eingeführter Maßnahmen ab. Die positive Wahrnehmung können Sie durch Ihr eigenes Zutun bestimmen.

Die Aufgabe des Übergebers

In der zweiten Phase sollte der Übergeber dem Übernehmer bei den ersten (abgesprochenen) Projekten freie Hand lassen und diese eher im Hintergrund moderieren. Zudem steht nun die behutsame, schrittweise Abgabe der ersten Entscheidungskompetenzen an, die es gemeinsam vorzubereiten gilt. Die geschäftsführende Betriebs- und Entscheidungskompetenz geht punktuell auf den Übernehmer über.

Es wird Zeit, Ihre erste freigewordene Zeit in ,,Freizeit“ umzumünzen. Sie ermöglichen dem Übernehmer durch Ihre verlängerte Abwesenheit, immer mehr in die Führungsrolle hineinzuwachsen. Und das Team ist durch Ihre Abwesenheit gezwungen, sich an den neuen Entscheidungsträger zu wenden.

Die Aufgabe des Übernehmers

In (oder bereits vor) der Übergabephase haben Sie eigene Ideen entwickelt, wie Ihr zukünftiger Betrieb aufgestellt und strukturiert sein soll. Beginnen Sie neben dem Tagesgeschäft mit der Absprache, erste Projekte eigenverantwortlich durchführen zu dürfen. Listen Sie hierbei Ihre Idee, Kosten und Umsetzung sowie die erhofften Ergebnisse der Maßnahme auf, um zu überzeugen. Sie sollten damit beginnen, erste Teilaufgaben und/oder Bereiche zu führen und sich sukzessive in die unternehmerische Führungsrolle einzuarbeiten. Lassen Sie dabei aber weiterhin zu, dass Sie vom Übergeber in einigen Bereichen geführt werden. Gute, erfahrene und sensible Chefs werden den Zeitpunkt erkennen, an dem Sie einen vormals gelenkten Bereich abgeben können, sodass der Übernehmer im besten Sinne eigenständig agieren kann. Leider klammern sich der Erfahrung nach Übergeber manchmal zu lange an einzelne Teilbereiche, auch unter dem elterlichen Vorwand, den Nachkömmling schützen zu wollen. Aus Sicht des Übernehmenden kann das sehr demotivierend sein. Im Change-Prozess sollte eine erste Unfreezingphase alter Abläufe abgeschlossen sein. Ihre Projekte oder strukturellen Änderungen transformieren den Betrieb Zug um Zug. Rechnen Sie hierbei mit Rückschlägen. Neue Wege und Methoden müssen vom Team erst erlernt und verinnerlicht werden. Das benötigt Zeit, Wiederholung und Kontinuität. Neuerungen werden nicht automatisch zum sofortigen Erfolg führen. Lust am Aufbau und eine Portion Geduld stehen Ihnen in der jetzigen Phase gut zu Gesicht.

Vielleicht haben Sie während der Onboardingphase das Gefühl entwickelt, sich in bestimmten Bereichen weiterbilden zu müssen. In der Findungsphase sollten Sie damit beginnen, Wissenslücken aufzufüllen. Akkumuliertes externes Wissen wird Sie zudem bestärken und Ihr Handeln sicherer machen.

Zeitraum

Die Findungsphase beträgt zwischen 12 und 30 Monaten.

 

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