Klaus Richter: „Ich wünsche mir, dass wir in der Branche ehrlicher mit Nachhaltigkeit umgehen“

Interview mit dem Geschäftsführer von LebensWert Gastgeber, Hamm

von Jan-Peter Wulf
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Fotos: LebensWert

Nach rund 15 Jahren hat Klaus Richter die Leitung beim Bio-Caterer „Rebional“ 2022 abgegeben. Zusammen mit Christoph Kleinhans, der zuvor bei den Herdeckern als Geschäftsbereichsleiter Süd tätig war, hat er die LebensWert Gastgeber GmbH gegründet. Das Unternehmen mit Sitz in Hamm bietet Catering, Consulting und Coaching aus einer Hand an – mit nachhaltigem Fokus. Wir sprachen mit Klaus Richter über sein neues Projekt. 

Herr Richter, lassen Sie uns zu Beginn über die drei Cs von „Lebenswert Gastgeber“ sprechen – wo stehen Sie aktuell beim Thema Catering?

Im Bereich Catering sind wir in sieben Reha-Kliniken für die „Dr. Becker Klinikgruppe“ tätig. Wir entwickeln die Rezepturen sowie Speisepläne für die Servicegesellschaften, die vor Ort die Küchen betreiben. Im Januar 2024 kommt eine Großküche des „Ev. Verbunds Ruhr“ in Castrop-Rauxel hinzu. Dort managen wir das Team auch mit einer Betriebsleitung und produzieren, mit eigener Mannschaft, im Cook-and-Chill-Verfahren bis zu 7.000 Essen für Kitas und Schulen, aber auch Krankenhäuser und Seniorenheime.

Wie groß ist das Team zurzeit?

Wir sind zu sechst und leiten über alle Küchen zurzeit rund 150 Personen in den Servicegesellschaften.

Consulting und Coaching – wie grenzen sich diese beiden Leistungen voneinander ab?

Consulting ist reine Beratung. Ich habe in meinem Berufsleben relativ häufig festgestellt, dass jemand nicht zwingend ein Catering, wohl aber Unterstützung – zum Beispiel in der Küchenplanung, im Einkauf oder in seinen Prozessen – benötigt. Coaching ist etwas ganz anderes, hier geht es um persönliche berufliche oder private Problemstellungen. Der Druck, der auf Führungskräften lastet, ist immens. Es gibt häufig psychische Erkrankungen bei den Mitarbeitenden. Ich konnte als Geschäftsführer nicht damit zurecht, wenn ein gestandener Küchenprofi, Mitte Vierzig, im Gespräch zu weinen beginnt.

Ich habe mich selbst beraten lassen und mir wurde empfohlen, eine Ausbildung zum systemischen Coach zu machen. Und es ist so: Man lernt, Menschen zu begleiten und zu helfen – bei Ärger im Team, bei der Frage, wie es mit der persönlichen Karriere weitergehen soll. Im Consulting berät man, als Coach bringt man seine Klienten oder Coachees dazu, selbst Lösungen zu finden. Ganz häufig geht es darum, sich zu sortieren. 

Sich kundig mit den Menschen bzw. Beschäftigten und ihren Sorgen und Wünschen auseinandersetzen zu können, ragt in den Bereich der sozialen Nachhaltigkeit hinein – einer der drei Säulen der Nachhaltigkeit. Auch hier gibt es sicher noch viel Potential?

Auf jeden Fall. Wir befinden uns in einer sehr pyramidengesteuerten Branche. Doch das wollen junge Menschen nicht mehr. Wir bekommen so wenig neue Leute, weil viele denken, dass es bei uns viel Arbeit und einen wahnsinnigen Druck gibt. Coaching hilft, diese Belastung ein Stück weit rauszunehmen. Führung muss heute anders aussehen.

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Sie haben mit „Rebional“ ein Bio-Catering-Unternehmen aufgebaut. Wie bauen Sie „LebensWert Gastgeber“ nachhaltig auf?  

Wir wollen Nachhaltigkeit leben, so weit es geht. Dafür haben wir uns auf die Suche nach Medien begeben, die darstellen, wie nachhaltig ein Gericht wirklich ist. Es gibt am Markt schon einiges, doch häufig wird nur der CO2-Abdruck analysiert. Wie sieht es aber mit dem Flächen- und Wasserverbrauch aus? Eine Tomate aus Deutschland braucht bis zu 50 Mal weniger Wasser als aus Spanien.

Haben Sie schon etwas gefunden?

Kost aus Österreich. Dieses Warenwirtschaftssystem stellt eine Verknüpfung zu verschiedenen Nachhaltigkeits-Bewertungen her und sammelt sogenannte Umweltbelastungspunkte. Letztlich entscheidet natürlich der Kunde: Will ich meinem Tischgast oder Patienten diese Werte darlegen? Wir können es nur anbieten.

Lässt sich Nachhaltigkeit im Care-Bereich überhaupt kalkulieren?

Ja, man muss es einfach nur machen! Dass Nachhaltigkeit teuer ist, ist eine Mär. Mit allem, was wir tun, sind wir immer wettbewerbsfähig. Einfaches Beispiel: Fleisch ist weniger nachhaltig als Gemüse. Fleisch ist aber bekanntermaßen deutlich teurer als Gemüse. Wichtig ist, dass wir nicht dogmatisch werden. Wir versuchen, den Begriff „vegetarisch“ auf den Speiseplänen zu vermeiden.LebensWert 1805 Kopie - interviews-portraits, gastronomie, food-nomyblog Klaus Richter: „Ich wünsche mir, dass wir in der Branche ehrlicher mit Nachhaltigkeit umgehen“

Und was schreiben Sie stattdessen?

Man kann ein Menü auch „leicht“, „lecker“, „grün“, wie auch immer nennen. „Vegetarisch“ ist für viele Menschen begrifflich eine Strafe. Heute kein Fleisch? Das finden viele überhaupt nicht schlimm. Vom Alter der Gäste abwärts betrachtet haben wir die Seniorenheime, dann kommen die Krankenhäuser, dann die Reha-Einrichtungen, dann Schulen und schließlich Kitas. Bei Schulen und Kitas haben wir mit pflanzlicher Küche überhaupt kein Problem – die essen sie, wenn sie schmeckt. In Rehas oder im Krankenhaus haben wir gemischtes, im Krankenhaus etwas älteres Publikum, auch hier muss ich es nicht „vegetarisch“ nennen, sondern vielleicht „grüne Küche“. Ich kann es vielleicht mit einem Icon als vegetarisch kennzeichnen. Bei den Senioren stellen wir fest: Fleisch muss nicht auf den Teller.

Zumal viele ja mit wenig Fleisch auf dem Tisch groß geworden sind.

Ich muss es eben nur altersgerecht darstellen: Körnerbratlinge, die Roggenpfanne oder das Moussaka mit sieben Getreidesorten – kann bei Gebissträgern schwierig werden. Altersgrecht sind: Kartoffelpüree mit Spiegelei und Spinat. Möhren untereinander. Oder der Reibekuchen, sehr wirtschaftlich, lecker – und fleischfrei. In diesem Bereich haben wir eine Vielzahl von Gerichten, die ich fleischfrei darstellen kann, ohne es vegetarisch nennen zu müssen.

Wie nehmen Sie die Küchenteams mit?

Man muss den Leuten darstellen können, was es alles an tollen Sachen in diesem Bereich gibt. Hackbraten aus Roter Bete, lecker. Oder eine Frikadelle aus Sonnenblumenkernen, die man beim Aufschneiden kaum von Schweinefleisch unterscheiden kann. Jüngere Mitarbeitende lernen heute ja zum Glück in der Ausbildung schon öfter, vegetarisch zu kochen. Mit natürlichen Zutaten und keinen Ersatzprodukten aus haufenweise Zusatzstoffen.

Also befürworten Sie eine Hinwendung zur Frischeküche?

Wir setzen so gut wie keine Convenienceprodukte ein. Unsere Brühen stellen wir im Dörrautomaten aus Abschnitten von Karotten, Sellerie und Co. selbst her. Saucen aus Knochen setzen wir auch selbst an.

Wie wichtig sind Zertifizierungen, etwa ein Biosiegel?

Man braucht sie, um glaubhaft zu machen, was man tut. Wir haben in jedem Betrieb explizit biozertifizierte Produkte. Es sind vor allem Rohstoffe, die wir ganzjährig aus Europa beziehen können. Bei einer Paprika ist es schwierig. Bei einer Kartoffel, einer Karotte, bei Mehl und Milch geht das sehr gut. Wir kommen derzeit etwa auf einen Anteil von 30% unseres Einkaufsvolumens.

Was tun Sie gegen Lebensmittelabfälle?

Wir haben in der „Dr. Becker Klinik Möhnesee“ im Frühjahr einfach mal die Tabletts weggelassen. Das Witzige dabei ist, dass wir damit eigentlich Energie und Spülmittel sparen wollten. Der Nebeneffekt, der im Grunde noch viel spannender ist: Wir senken den Foodwaste. Die Gäste stellen sich an die Freeflow-Anlage und beladen das Tablett mit Dingen, von denen sie denken, dass sie sie essen werden. Doch oft wird das Kompott danach oder noch ein Müsli neben den zwei Brötchen dann eben doch nicht gegessen. Wir haben – wie in einem Hotel üblich  – nur Teller hingestellt und hatten 20 bis 30 Prozent weniger Lebensmittelabfälle. Das testen wir jetzt in allen Einrichtungen.

Kann man auch schon in der Produktion verhindern, dass Foodwaste entsteht? 

In Zukunft werden wir alle Gerichte, auch die kleinen, nach Rezeptur produzieren, sodass wir hier keine Überhänge mehr haben. Ich gehe davon aus, dass wir schon im nächsten Jahr ein Bestellsystem einrichten können, mit dem die Patienten bis morgens ihr Essen ordern. Das bietet uns große Möglichkeiten, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Außerdem führen wir fast keine Portionsprodukte mehr. Käse, Marmelade und Co. – alles kommt im Großgebinde, bis auf die Butter. Was noch eine Herausforderung darstellt, sind die Zugangsessen: Man produziert in den Küchen in der Regel immer mehr, für potentielle neue Patienten. Durch eine bessere Kommunikation mit den Küchen können Überhänge extrem gesenkt werden. An diese Schnittstelle müssen wir ran.

Welche Ziele haben Sie?

Auch wenn es seltsam klingen mag: Wir haben keine Umsatzziele. Wir machen auch keinen richtigen Vertrieb. Wir arbeiten aus dem Netzwerk heraus. Menschen, die uns kennen und wissen, wie wir ticken und wie wir arbeiten, kommen auf uns zu. Wir freuen uns, wenn wir andere von unserer Nachhaltigkeitsvision überzeugen können.

Welche Wünsche haben Sie in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit?

Ich wünsche mir, dass wir, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, es auch wirklich ehrlich meinen. Ich finde, dass unsere Branche mit dem Thema oft nicht ganz ehrlich umgeht. Es wird viel erzählt, aber oft wenig getan. Einfach mal machen! Ich schätze zum Beispiel sehr, was der Kollege Christian Hamerle mit dem Food Service Innovation Lab in Berlin macht.

Herr Richter, haben Sie vielen Dank.

Mehr Informationen:
www.lebenswert-gastgeber.de

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