15 Jahre Coffee und Coworking: St. Oberholz, Berlin

von Jan-Peter Wulf
Sankt Oberholz - interviews-portraits, management, gastronomie 15 Jahre Coffee und Coworking: St. Oberholz, Berlin

Privat und im Job ein Team: Koulla Louca und Ansgar Oberholz. Alle Fotos: Anna Nesterenko

Mit ihrem Café am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte geben Koulla Louca und Ansgar Oberholz der „digitalen Bohème“ seit 15 Jahren ein Zuhause. Rund um das Thema Arbeit im Café haben sie ein mittelständisches Unternehmen aufgebaut und gehen nun noch stärker in die Expansion. Trotz Corona – oder gerade deswegen?

Hinweis: Dieses Portrait erschien zuerst in fizzz 11/2020, also vor dem zweiten Lockdown.

Interview- und Fototermin in der fast fertigen Gastronomie: Nur wenige Tage vor der Eröffnung ihres vierten Cafés in Berlin treffen wir Koulla Louca und Ansgar Oberholz im „St. Torstraße“. Es befindet sich in einer ehemaligen Apotheke an der Ecke zur Schönhauser Allee – mitten in Mitte also. Allein entlang der Torstraße betreiben die beiden nun drei Cafés mit integrierter bzw. angeschlossener Coworking-Möglichkeit, hinzu kommen einige reine Büros (mehr zu allem hier)

Ihr bekanntestes Gastro-Objekt ist das „St. Oberholz“ am Rosenthaler Platz, der eigentlich eine vielspurige Kreuzung ist. Es steht sinnbildlich für das Arbeiten am Laptop im Café. Das „Oberholz“, wie es meist genannt wird, hat sich nach seiner Eröffnung 2005 schnell zum Treffpunkt der „digitalen Bohème“, wie es Sascha Lobo und sein Co-Autor Holm Friebe in ihrem Buch Wir nennen es Arbeit bezeichnen, etabliert. (Im Buch dreht sich ein ganzes Kapitel um das Café).

An die sich über zwei Etagen streckende Gastrofläche – zuvor war sie ein Schnellrestaurant – waren die beiden über Koullas Vermieter am Helmholtzplatz gelangt; Koulla betrieb dort seit 2001 ein kleines Café namens „Meze“ mit Vorspeisen sowie Sandwiches. Dort trafen sie und Ansgar sich, die beiden kannten sich aus der Kindheit und Jugend in der Eifel, eines Tages wieder. Und entschlossen, gemeinsam am Rosenthaler Platz eine Gastronomie zu eröffnen. So wurden sie 2015 ein geschäftliches Team und später ein Paar.

Cappuccino-Working

Ein Café mit Gratis-WLAN (überhaupt mit drahtlosem Internet), das war 2005 ein absolutes Novum in Deutschland. Vergleichbares gab es hierzulande seinerzeit praktisch nicht. Dazu Selbstbedienung am Tresen. „Ich war ursprünglich schon etwas unsicher, ob unsere Gäste genug konsumieren würden. Wir brauchten doch Einnahmen“, erinnert sich Koulla, die aus einer Gastronomenfamilie stammt. Im Rückblick sei sie dankbar, ihrem Partner so vertraut zu haben: „Ansgar hat gesagt: Das ist neu, aber das wird und das wird gut.“

Wurde es auch: Mit dem Café am Rosenthaler Platz entstand praktisch eine ganze Bewegung. Etwas, das man auch „Cappuccino-Working“ nennt – statt im Büro oder zu Hause zu arbeiten, geht man dafür ins Café. Die Bohemiens alter Schule nahmen sich die Zeitung mit hölzernem Halter von der Wand des Kaffeehauses, ihre Epigonen klappen den Mac auf – so lange es die Atmosphäre nicht stört, ist alles gut. Viele Jahre lang lief das prima, 2015 wurde gar ein Ableger eröffnet – das „St. Zehdenicker“ zweieinhalb Straßenecken weiter.

2017 jedoch verabschiedete man sich von der Selbstbedienung. Das Prinzip, die Gäste selbst entscheiden zu lassen, wann sie sich etwas bestellen, ging nicht mehr auf: Zu lange schlürften viele an ihrem Kaffee, zu vertieft waren sie ins Weißlicht ihrer Laptops. Es wurde nicht nur immer weniger geordert, auch wurden mitgebrachte Döner aus dem Alu gewickelt und es wurde nach Heißwasser für die Fünf-Minuten-Terrine gefragt. Die Club Mate, das Elixier der „digitalen Bohème“, brachten einige vom Späti mit – individuelle Kennzeichnungen auf den Etiketten, die man im „Oberholz“ daraufhin anbrachte, wurden kurzerhand kopiert. Ein Katz- und Maus-Spiel sei es vor allem im Obergeschoss gewesen: Sobald der Speisenaufzug sich in Bewegung setzte, verschwanden die mitgebrachten Stullen und Getränke in der Tasche, erinnert sich Ansgar Oberholz.

Caretaker und Profi-Amateure

Nach einer kurzen Full-Service-Phase gibt es nun ein Hybridkonzept: Die Erstbestellung erfolgt am Tresen, im Laufe des Aufenthalts kommen Mitarbeiter an den Tisch und fragen nicht nur, ob es noch etwas sein darf, kümmern sich auch um das Wohlergehen der Gäste, nehmen sich, wenn möglich und passend, auch Zeit für einen kurzen Plausch. „Caretaker“ ist ihr interner Funktionsname.

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Ansgar Oberholz: „Freundschaften in den Teams sind ein wichtiger Indikator für eine gesunde Unternehmenskultur.“

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Koulla Louca: „Rausgehen, um einen guten Kaffee zu trinken, ist seit Corona etwas Besonderes geworden. Das wird zelebriert.“

Von Anfang an haben Koulla Louca und Ansgar Oberholz nicht auf klassisch ausgebildetes Personal aus der Gastronomie und Hotellerie gesetzt. Sondern auf, ein weiterer interner Begriff, „Profi-Amateure“. Menschen, die Gastronomie lieben und durchaus Vorkenntnisse mitbringen, die aber eigentlich ein anderes berufliches Ziel haben. Webdesign zum Beispiel, vielleicht ein eigenes Start-up, oft Schauspielerei.

„Sie haben sich immer gut mit der Community vermischt. Teilweise erhalten sie sogar Aufträge oder freelancen für Unternehmen, die bei uns im Coworking-Bereich sitzen“, erklärt Ansgar Oberholz. Zwar können er und seine Frau heute die Job-Interviews nicht mehr selbst führen, dafür ist die „St. Oberholz“-Welt, siehe Timeline, zu groß geworden. Doch die Frage, die sie früher immer als letztes stellten, gibt es immer noch – nämlich welches Buch der Bewerber bzw. die Bewerberin zuletzt gelesen hat.

Offen, zugänglich und freiwillig

Das „Oberholz“ als Raum für Persönlichkeit(en): Durch erhöhten Tresen stehen die Mitarbeiter am Rosenthaler Platz tatsächlich wie auf einer Bühne. Die Offenheit und Zugänglichkeit des Konzepts, die man zusammen mit „größtmöglicher Freiwilligkeit“ als Unternehmenswert nennt, zeigt sich auch in der Küche: Als eine der ganz wenigen in Berlin hat sie ein großes Fenster zur Straße hin – das bringt Tageslicht, aber auch Transparenz.

Ein Nachteil? Im Gegenteil. „Es war immer von Vorteil. Wir haben immer schnell Köche gefunden, die bei uns arbeiten wollen“, so Koulla Louca. Auch Stoffe und Vorhänge, mit denen man zwischenzeitlich den Eingang verhängte, hat man wieder abgeschafft: „Wir wollen einen Fluss erzeugen“, erklärt die Chefin. Deswegen hat das „St. Oberholz“ am Rosenthaler Platz auch zwei Türen – so kann man quasi im Passieren einen Kaffee und ein Sandwich mitnehmen.

In ihrem neuen Café haben Koulla Louca und Ansgar Oberholz zusammen mit ihrem gastronomischen Geschäftsführer Felix Breun und den Designern von Modiste Furniture das Flow-Prinzip weiter verfeinert: Der geschwungene Tresen, der beim Betreten sofort in den Blick fällt, bietet viel Platz für Kaffee-Bestellung und Speisenauswahl, während es im Stammhaus manchmal etwas eng zugeht. Verschiedene Sitzmöglichkeiten von bequem gepolsterten Stühlen über einen kreisrunden „communal table“ bis zu fast an eine Bibliothek erinnernden langen Tisch mit am-Platz-Beleuchtung bedienen verschiedene Bedürfnisse.

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Wasser mit und ohne Kohlensäure wird gezapft – kein lästiges Bücken und Räumen, Bestellen, Schleppen und Öffnen.

Nach der Bestellung am Counter werden die Speisen (u.a. belegte Sauerteigbrote, Sandwiches und Kuchen) via Bonsystem den Tischen zugeordnet und an den Platz gebracht. Das zahlt auf die Verlängerung der Aufenthaltsqualität ein. „Du sollst als Gast keinen störenden Moment mehr haben“, erklärt Koulla Louca. Die Bezahlung läuft in sämtlichen Betrieben ab sofort nur noch bargeldlos ab. Es wurde zusammen dem Kassensystem-Hersteller Orderbird sogar eine eigene App entwickelt, die vor allem für Stammgäste spannend sein dürfte: Binnen weniger Sekunden sind Order-Prozess und Bezahlung abgeschlossen. Bald ist auch Vorbestellung möglich.

Corona: „Wie einen Wal aufs Trockendock legen“

Über Corona und seine Auswirkungen müssen wir natürlich auch sprechen. Wie ist es dem Unternehmen „St. Oberholz“ mit seinen mittlerweile insgesamt 60 Beschäftigten ergangen? „Es war für uns, wie einen Wal aufs Trockendock zu legen“, so Ansgar Oberholz. Das Stammhaus am Rosenthaler Platz ist sonst nur am ersten Weihnachtsfeiertag geschlossen. Zwar gingen die Umsätze schon im Februar zurück, Firmenevents wurden bereits ab Januar gecancelt, doch mit einem Lockdown hatte man nicht gerechnet.

Kurze Schockstarre, dann Handeln: Hilfen beantragen, Liquidität sichern, mit Takeaway den Draht zu den Gästen halten. Mittlerweile (Stand vor dem zweiten Lockdown, Anm. d. Red.) sind die Umsätze im „St. Zehdenicker“ auf Vorjahresniveau, das Haupthaus zieht langsam an. Der Blick gen Zukunft ist positiv, man freut sich auf die Eröffnung des nächsten Outlets in Potsdam-Babelsberg. Ansgar Oberholz: „Ortsunabhängig und dezentral zu arbeiten, ist durch Corona von einem Tag auf den anderen im Mainstream gelandet. Dritte Orte wie Working-Cafés erhalten nun auch eine Bedeutung für Menschen, die sonst immer im Büro waren. Eine neue Kundengruppe, die wir gerne willkommen heißen.“

2005 Eröffnung „St. Oberholz“, Rosenthaler Straße
2015 Eröffnung „St. Zehdenicker“
2018 Launch des Unternehmensbereichs Consulting
2018 Eröffnung „Blok O“ in Frankfurt/Oder in Kooperation mit der Sparda Bank
2019 Eröffnung „B-Part“ im Park Am Gleisdreieck in Kooperation mit der Urbanen Mitte Berlin
2020 Eröffnung „St. Torstraße“ und „St. Babelsberg“ (Potsdam) sowie Flex Offices „St. Kreuzberg“, „St. Kastanienallee“ und „St. Rosa-Luxemburg-Platz“

Buchtipp

Mit „Für hier oder zum Mitnehmen“ hat Ansgar Oberholz einen unterhaltsamen Roman über die verrückte Zeit rund um die Eröffnung des ersten Cafés geschrieben. Ullstein 2012, 240 Seiten, ausführliche Rezension hier.

Podcast-Tipps

Ansgar Oberholz zu Gast im Hotel Matze (inklusive Corona-Reprise) und zusammen mit Koulla Louca über 15 Jahre Sankt Oberholz im hauseigenen Podcast.

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1 Kommentar

JuliaThompson 29. September 2021 - 23:15

Es ist eine großartige Idee, eine neue Kaffee zu eröffnen. Ich liebe es, in Coworking Spaces und an Orten zu arbeiten, an denen man lecker essen kann. Ich war letztes Jahr in Ihrem Café. Dies ist ein atmosphärischer Ort. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren Bemühungen.

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