„Verkostungen sind das Einzige, was online nicht geht“ – Gespräch mit Andreas Höllmüller, Tastery Wien

von Jasmin Tomschi
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Andreas Höllmüller von der Tastery. Foto: Fabian Steppan

Im November 2017 eröffnete Andreas Höllmüller, gelernter Koch und Kellner mit Studienabschluss in Medien-Management, Österreichs erstes „Verkostungslokal“. Jasmin Tomschi hat es sich angeschaut und sich das facettenreiche Konzept erklären lassen.  

In Wien-Neubau erstreckt sich die Tastery über 120 Quadratmeter: zwei Drittel Ladenfläche und ein Drittel Kaffeehaus, um die Frequenz für den Handel zu erhöhen. Seine Kunden sind vorrangig klein produzierende Unternehmer, die im Rahmen von drei Vermarktungsmodellen bislang noch unbekanntes Popcorn aus Oberösterreich, Wodka aus Niederösterreich oder Gin aus Bayern unter die Leute bringen können. Gerade erklärungsbedürftige Produkte sind in der Tastery gut aufgehoben, weil ihr Team auch auf komplexe Kundenfragen eingehen kann. Das ist eine Form von Werbung und gleichermaßen Sensibilisierung des Konsumenten.

Der Standort im 7. Wiener Gemeindebezirk bringt zwar wenig Laufkundschaft, aber dafür qualitativ hochwertige Gäste. Immerhin geht es bei der Tastery für Produzenten nicht in erster Linie um den Verkauf von Produkten, sondern um leistbare Marktforschung: Im Laden findet der Gast eine Reihe von kleinen Plattformen, auf denen sorgfältig ausgewählte Produkte ausgestellt sind, die er kostenfrei probieren kann. Plakate und Flyer geben Auskunft über Inhaltsstoffe, den Hersteller und fairerweise auch darüber, bei welchen Handelspartnern das Produkt sonst noch erhältlich ist.

Andreas, von der hohen Frequenzlage an der Mariahilfer Straße spaziert man schon ein kleines Stück zu euch. Kommen Gäste mit einem konkreten Ziel in die Tastery oder stolpern sie hier einfach rein?

Sowohl als auch. Aktuell legen wir unseren Fokus aber vermehrt auf geplante Verkostungen, also Angebote mit Gruppenführungen. Das können Arbeitskollegen, Freundesgruppen, aber auch Schulklassen sein, die etwas über Ernährung oder Marktforschung lernen sollen.

Wie bringst du das Tastery-Konzept für jemanden auf den Punkt, der deinen Laden ganz zufällig entdeckt hat?

Wir sind das erste Verkostungslokal Österreichs. Das heißt, alle Produkte hier kann man kosten – und das kostet nichts. Das Einzige, wonach wir fragen, ist ein kurzes Feedback per Knopfdruck. An jeder Präsentationsfläche sind Buttons verbaut, mit denen uns der Gast mitteilen kann: Das schmeckt mir oder nicht.

Welches Geschäftsmodell steckt dahinter?

Alle Produkte im Laden kann der Gast kaufen. Das Besondere dabei ist, dass der Erlös an die Produzenten geht. Das heißt: Wer hier kauft, unterstützt den Kleinunternehmer direkt. Die Tastery verdient jeweils lediglich drei Prozent mit, um die Ausgaben des Verkaufs, zum Beispiel Transaktionsgebühren von Kartenzahlungen, zu decken.

Wie kommt dann das Geld rein?

Wir verdienen über die Produzenten selbst. Sie zahlen uns eine monatliche Gebühr und wir kümmern uns um die Verkostung und Erklärung der Produkte, den Verkauf und die Marktforschung. Zusätzlich bewerben wir unser Sortiment auf Facebook oder machen Sonderveranstaltungen im Laden. Der Vorteil ist: Je mehr Produkte verkauft werden, umso geringer ist der Cash-Aufwand für den Produzenten, weil wir die Gesamtverkäufe gegen unsere monatliche Gebühr rechnen. Sollte der Produzent mehr verkaufen, als unsere Leistung kostet, verdient er mit dieser Art von Werbung sogar Geld.

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Foto: Umdasch Shopfitting

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Fotos: Jasmin Tomschi

Nehmt ihr ausschließlich kleine, regionale Anbieter auf oder könnte auch mal ein Line Extender einer größeren, bereits bekannten Brauerei spannend für euch sein?

Muss ich mich zwischen einem großen und kleinen Unternehmen entscheiden, nehme ich den Kleinen. Für mich ist wichtig, dass das Produkt keine große Bekanntheit hat. Möchte eine bekannte Marke ihr bekanntes Produkt bei mir verkosten lassen, macht das für mich keinen Sinn. Möchte die bekannte Marke aber eine ganz schräge, neue Geschmacksrichtung testen, ist das super spannend. Immerhin ist unser Slogan: Neues erschmecken.

Du sprichst die Unbekanntheit an. Wie sieht’s in Österreichs Gastroszene aktuell mit neuen Geschäftsideen aus?

Es gibt wirklich viele Kleinproduzenten. Die sind teilweise noch zu klein für das, was wir hier bieten. Sie könnten zwar neue Handelspartner finden, haben aber ihre Produktionsgrenzen erreicht. So hat sich unser Fokus hin zu den etwas Größeren verschoben, weil die auch wirklich den Bedarf einer Marktforschung haben.

Neben der Präsenz im Laden ist die Marktforschung eure eigentliche Dienstleistung für den Produzenten.

Bei uns geht’s eben nicht um den Warenverkauf in Unmengen, sondern um das Generieren von Daten beziehungsweise in weiterer Folge auch um unsere Kooperationspartner in Gastronomie und Handel, denen wir gewonnene Informationen weitergeben können, um Listungen für Produzenten zu erreichen.

Abgesehen vom Feedback über die bereits erwähnten Buttons: Welche weiteren Informationen werden generiert und wie?

Wir tracken, wie viele Personen pro Tag zu uns kommen und haben so einen monatlichen Sichtkontakt von X. Weil nur maximal 40 Produkte im Laden stehen, können wir davon ausgehen, dass jeder Kunde jedes Produkt zumindest gesehen hat. Folglich lässt sich auch leicht errechnen, was ein Sichtkontakt für unseren Kunden gekostet hat.

Wir wissen genau, wie viele Leute verkostet haben und wie viele positiv oder negativ bewertet haben – das wird alles digital gespeichert. Zudem können wir Benchmarks setzen und fragen, wie eine bestimmte Limonade im Vergleich zu anderen abschneidet. Wie ist das Verhältnis von Verkostung und einer positiven Bewertung oder einem Kauf? Gibt es viele positive Bewertungen, aber wenig Käufe, ist das ein Indiz dafür, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis für den Konsumenten nicht passt.

Wie lässt sich so eine Vermutung bestätigen?

Wir können in Absprache mit dem Produzenten einen neuen, angepassten Preis ausprobieren, um zu schauen, ob sich das Kaufverhalten verändert beziehungsweise welcher Preis letztendlich zum Kauf anregt.

Hier geht’s dann teilweise um Marken, die noch nicht im Supermarkt erhältlich sind?

Genau. Wir haben gerade mit einem Modell angefangen, bei dem wir Produkte in White-Label- Form platzieren. Wir kommunizieren also nicht Produzenten selbst, sondern nur das Produkt. Unser Gast kann dieses verkosten und via Tablet auch Antworten auf tiefergehende Fragen geben sowie auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten. Dieser Prozess kann Einfluss auf die Produktentwicklung, aber auch auf die emotionale Einbindung der Konsumenten nehmen.

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Fotos: Umdasch Shopfitting

Wie präsentiert ihr die Daten, die ihr gesammelt habt?

In einem mehrseitigen PDF finden unsere Kunden unter anderem die Anzahl der Verkostungen, die Sichtkontakte, das Verhältnis zu Vergleichsprodukten und die Medienpräsenz beziehungsweise die Impressionen bezahlter Werbeschaltungen. Im Nachhinein kann der Kunde dann sagen: Die Werbemaßnahme war gut oder schlecht.

Viele kleine Unternehmen haben gar kein Werbebudget.

Weil das Konzept der Tastery etwas Neues ist, hat es sehr viel Erklärungsbedarf. Ich höre oft von Produzenten: „Wissen Sie, wie viele Produkte ich verkaufen muss, bis ich das Geld wieder drinnen hab?“ Eine Werbemaßnahme kostet immer. Bei uns besteht aber die Möglichkeit, über den Warenverkauf den Cash-Aufwand zu reduzieren. Das ist etwas Einzigartiges. Und es ist sehr untypisch, dass ein Kunde den vollen Preis zahlt – dann hätten wir kein einziges Produkt verkauft.

Wie kann man sich so eine Werbephase vorstellen?

Die Marke selbst wird zwei bis drei Monate bei uns ins Sortiment genommen. Es bleibt dem Produzenten überlassen, ob er nur ein Produkt bewerben oder mehrere Produkte gegeneinander austesten will, zum Beispiel in Hinblick auf Geschmacksrichtungen.

Wie bist du eigentlich auf diese Idee gekommen?

Ich habe zwei Jahre am Konzept gearbeitet, um sowohl für den Konsumenten als auch für den Produzenten einen Benefit zu schaffen. Bei jedem Besuch entdeckt unser Gast etwas Neues. Er sieht Produkte, die er vielleicht schon kennt, aber aus Unsicherheit nicht gekauft hat. In der Tastery hat man keine Verpflichtung – wenn’s schmeckt, kannst man’s kaufen. Wenn’s nicht schmeckt, weiß man es zumindest. Es geht darum, die Gefahr der Fehlkäufe zu reduzieren. Verkostungen werden immer wichtiger und sind das Einzige, was online nicht geht.

Was ist der größte Benefit für deine Kunden?

Dass die Werbung während der Laufzeit günstiger werden kann. Jeder Kleinproduzent bezahlt viel lieber mit Produkten als mit Cash. Das ist hier möglich, bis zu 100 Prozent. Natürlich könnten wir den Preis um 50 Prozent günstiger machen und dafür mit 30 Prozent Marge mitschneiden, aber das ist gerade für den Kleineren nicht interessant. Hinzu kommt, dass ebendiese Produzenten gar keine Möglichkeit haben, harte Daten zu sammeln – Marktforschung kostet verdammt viel Geld und unser Konzept ist eine sehr günstige Alternative.

Euer Modell besteht aus drei verschiedenen Paketen. Was unterscheidet sie konkret?

Der große Unterschied zwischen dem Standard- und Smart-Package ist, wie wir die gesammelten Daten an den Produzenten weitergeben: Im Standard-Paket passiert das in Rohform – wir werten nicht aus, machen keine Analyse. Außerdem gibt es keine intensive Social-Media-Begleitung, keine Sonderpräsentation mit Event-Charakter oder die Option, im Rahmen der Laufzeit ins Kaffeehaus-Sortiment aufgenommen zu werden.

Und preislich?

Standard kostet 300, Smart 450 Euro. Der Unterschied geht auf den Mehraufwand zurück, den wir mit bezahlten Werbeschaltungen oder der Auswertung haben. Das Premium-Paket kommt auf 600 Euro im Monat – das sind aber Maximalpreise. Kostet das Paket im Listenpreis 450 Euro netto und wir verkaufen Ware im Wert von 250 Euro, zahlt der Produzent nur noch die Differenz. Somit wurden 250 Euro des Werbeaufwands mit Wareneinsatz bezahlt.

Stellt ihr nur österreichische Produkte oder auch welche aus dem Ausland vor?

Wir strecken unsere Fühler natürlich auch in den deutschen Markt aus. Die Tastery kann für viele deutsche Unternehmen interessant sein. Jene, die vielleicht schon in ihrer Umgebung bekannt sind, aber zum Beispiel den Wiener Markt testen wollen. Das große Problem ist nämlich: Viele Produzenten glauben, was den Deutschen schmeckt, schmeckt auch den Österreichern. Aber die Märkte sind sehr unterschiedlich.

Wie wirken sich Testergebnisse aus – gab’s mal größere Änderungen am Produkt?

Wir hatten schon mal eine Namensänderung. Oder eine Preisanpassung für eine geringe Menge von Vorarlberger Honig in sehr exklusiver Aufmachung. Als wir nach drei Wochen kein einziges Produkt verkauft haben, sind wir preislich Schritt für Schritt runtergangen, bis wir den akzeptierten Preis für Wien gefunden haben. Das Ergebnis war zudem eine zweite Verpackungsart – Kostenreduktion beim Packaging.

Das Thema Datenschutz ist aktuell so heikel wie noch nie. Ihr sammelt Ja/Nein-Antworten und übermittelt subjektiv gesammeltes und ausgewertetes Feedback an eure Kunden.

Höllmüller: Es geht um schnelles Feedback – Grün oder Rot, wie auf einem Flughafen-Klo. Das ist ein Knopfdruck, der verrät mir nicht mal, ob das Feedback von einer Frau oder einem Mann kam. Was die tiefergehende Befragung angeht, erfassen wir Alter und Geschlecht – und auch das relativ breit, zum Beispiel 20 bis 49 Jahre. Wir kombinieren nichts mit Namen, E-Mail-Adressen oder Ähnlichem.

Ihr seid mit viel medialer Berichterstattung gestartet. Wie bleibt man relevant?

In erster Linie mit Kooperationen: mit Hotels der Umgebung, Shared Offices oder einer benachbarten Schule – so schaffen wir Frequenz. Wir arbeiten außerdem mit einer Genusstour, sind mit unserem Café-Angebot bei DailyDeal und bewerben unsere geführten Verkostungen für Gruppen.

Und wie geht’s weiter?

Falls wir expandieren, dann auf jeden Fall als Franchising-System. Ich werde maximal ein zweites eigenes Lokal und das vielleicht in hoher Frequenzlage aufmachen. Das ist aber natürlich ein Kostenfaktor: Jede 100 Meter, die man näher an die Mariahilfer Straße rückt, kosten im Monat ungefähr 250 Euro mehr.

Andreas, vielen Dank.

Übrigens: Auch in Berlin gibt es jetzt ein Shopkonzept, in dem Kunden neue Produkte testen und bewerten können: die Feedback Factory in den Wilmersdorfer Arcaden, den ursprünglich gewählten Namen „Kaufhaus des Testens“ fand ein anderer Einzelhändler nicht so gut. 

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