Dr. Helene Karmasin: „Es ist noch ein weiter Weg, bis Frauen nicht als Frauen, sondern als Personen wahrgenommen werden“

von Jan-Peter Wulf
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Dr. Helene Karmasin. Foto: beigestellt

Helene Karmasin leitet das Institut Karmasin Behavioural Insights in Wien, welches auf qualitative Marktforschung, Motivforschung, semiotische und verhaltensökonomische Analysen spezialisiert ist. Mit ihr sprachen wir über Geschlechterbilder in Werbung und Marketing, über die Potenziale der Gemüseküche und wie Gastronomie mit kohärenten Codes punktet.

Anlass des Gesprächs ist ihr Vortrag beim 6. Frauenforum-Foodservice am 11. April in Frankfurt: „Female Codes – Wie das kulturell Unbewusste unser Weiblichkeitsbild prägt“. nomyblog ist auch in diesem Jahr Medienpartner der Veranstaltung.

Frau Karmasin, was können Unternehmen von der Semiotik – der Zeichentheorie – lernen?

Dass es darauf ankommt, das die Empfänger einer Botschaft mit dem Zeichensystem etwas anfangen können. Bedeutung ist Übersetzung in ein Zeichensystem. Oft sind in den Botschaften schon Zeichen drin, die nicht zu den gewünschten Zielen führen, das wird in der Konstruktion oft vernachlässigt. 

Wie sieht das Bild der Weiblichkeit in den Medien 2019 aus, im Vergleich zu, sagen wir, 1989?

Es hat sich natürlich schon etwas verändert. Die Werbebilder mit klassischen Familien, in denen die Mutter das Essen zubereitet, oder von ihrer Mutter beraten wird, welches Waschmittel sie verwenden soll, sind weniger geworden. Geschlechterbilder und Stereotypen werden hinterfragt. Denken wir an die Dove-Werbung, in der nicht nur schlanke, sondern auch mollige Frauen gezeigt werden. Die Aussage ist: Jede Frau ist schön. Aber: Diese Versuche sind längst nicht immer erfolgreich. So richtig es moralisch betrachtet auch sein mag. Vor die Wahl gestellt, entscheiden sich viele Frauen eher für ein glamouröses Bild. Sich als Marke dagegen zu positionieren, ist schwierig.

Woran liegt das?

Die Denkkategorien, die wir im Kopf haben, sind uralt. Schaut man sich die Verpackungen von Produkten an, die auf den Körper abzielen – Lebensmittel, Kosmetik –, so sehen wir: Die Denkmotive sind immer noch voll intakt. Beispiel Duschgel: Da haben wir es mit einem dramatischen Unterschied zu tun. Duschgel für Männer ist schwarz oder blau, die Verpackung kommuniziert eine Verwendung für einen harten, leistungsstarken Körper …

… so ein Duschgel habe ich auch, am entsprechenden Körper arbeite ich noch …

… und bei den Frauen ist die Verpackung rundlicher, lieblicher. Da sieht man Glitzer, Sprüche wie „magic moments“. Nun ist es so: Als Frau kann man durchaus mit einem Männer-Duschgel zum Schwimmen oder Fitness gehen. Der Mann sieht mit einem Frauen-Duschgel in der Umkleide komisch aus. Und das liegt daran, dass man beim Schönen zwischen dem Erhabenen-Männlichen und dem Lieblichen-Weiblichen unterscheidet. Erhaben ist dominant, lieblich subdominant. Weibliche Körper gelten, das geht bis auf Aristoteles zurück, als defizitär. Darum werden Frauen mit Produkten auch Ratschläge gegeben – gegen Cellulitis zum Beispiel. Wenn ein Produkt beide Geschlechter ansprechen soll, dann muss es das Dominante ansprechen.

Das klingt nicht so progressiv.

Es ist noch ein weiter Weg, bis Frauen nicht als Frauen, sondern als Personen wahrgenommen werden. Die Frage „Sie als Frau“ stirbt ja auch nicht aus.

Ich muss zugeben, ich habe sie kürzlich selbst zwar nicht so gestellt, aber ich habe eine bekannte Gastronomin gefragt, inwiefern die Gastronomie eine Branche für Frauen ist. Müsste ich auch mal einem Mann stellen, die Frage.

Es gibt auch viele Frauen, die dieses Etikett Frau selbst aufrufen. Da müssen sie aufpassen, denn sie rufen damit die Tiefenstrukturen und Denkrahmen, von denen ich sprach, mit auf. Man muss sensibel für diese Tiefenstrukturen sein.


Bier und Konzepte von Männlichkeit: eine Kurzpräsentation von Dr. Karmasin 

Wie ist das mit den Geschlechterbildern beim Essen?

Ebenso verfestigt. Wir sehen es in der – männlichen – Konstruktion von Hauptspeisen. Die verläuft nach der Formel a + 2b. a ist das zentrale Stück, Fleisch. Es korreliert mit Energie, Kraft, sogar Aggression. Magazine wie „Beef“ feiern ja wahre Grillorgien. Die beiden b sind begleitende pflanzliche Bestandteile.

Nun gibt es ja seit einiger Zeit einen Trend zur Gemüseküche, zum Vegetarischen. Ist das der Beginn einer weiblicheren Küche?

Es wird dran genagt. Aber das ist immer noch eine eher kleine Gruppe. Die Allermeisten kochen anhand des genannten Schemas. In der Spitzengastronomie wäre es doch befremdlich, wenn auf einmal ein Sellerieschnitzel in der Mitte des Tellers liegen würde. Oder bei einem offiziellen Dinner. Die Volksküche wird da noch immer strikt beibehalten.

Wenn man das ändern will, wie tut man das?

Indem man beim Gemüse ansetzt. Sich bemüht, eine exzellente Gemüseküche zu machen. Was nicht einfach ist, denn unsere Küche ist keine Gemüseküche. Und es kommt drauf an, wie man es bezeichnet. Wir haben mal einen Test in einer Kantine gemacht: Einmal bot sie „Mais“ an, einmal „gesunden Mais“, einmal „verschwenderisch buttrig gesüßten Mais“.

Ich kann mir schon denken, was am erfolgreichsten war.

Die verführerische Beschreibung. 30 Prozent mehr Verkauf! Wir müssen die sinnlichen Reize von Gemüse ansprechen.

Wir müssen auch nachhaltiger leben und konsumieren. Wie hilft uns die Semiotik hier?

Es gibt drei Möglichkeiten der Beschreibung: Angst, Lust, Sinn. Angst ist Distinktion: Wir machen so was nicht. Sinn spricht nur eine kleine Gruppe an. Mit Lust – Nachhaltigkeit ist schön – kommt man am weitesten. Wir haben in Österreich eine Heublumenmilch, Milch von Kühen, die das ganze Jahr draußen grasen. Tolle Verpackungen, da wird eine schöne Geschichte erzählt.

Schauen wir uns die Gastronomie an: Die sollte, nehme ich an, auch mit kohärenten Codes arbeiten?

In allen Bereichen, von der Karte über die Speisen bis zum Geschirr! Mein Lieblingsbeispiel ist das Grand Ferdinand bei uns in Wien. Es inszeniert die k.-u.-k.-Küche durchgehend, auf Blümchengeschirr, zu Walzerklängen. Und der Service fragt, ob man sein Schnitzel so möchte, wie Freud es zu essen pflegte, mit Sardellen. Ja, wenn der Freud das so gegessen hat … perfekt! 

Ich kenne das Restaurant nur vom Namen her, aber dank Ihrer Beschreibung habe ich schon jetzt ein Bild vor dem inneren Auge, und ich bin neugierig.

Und das müssen Sie erreichen! Es ist übrigens auf jedem Niveau möglich.

Ist auf jedem Niveau, sprich mit jedem Budget, auch die qualitative Marktforschung möglich, die Sie anbieten? Kleine Start-ups können sich ja oft keine umfangreiche Mafo leisten.

Auf jeden Fall. Mit der qualitativen Marktforschung sind sie meiner Meinung nach sogar besser beraten, weil sie lernen, vom Kunden her zu denken: Warum könnte den mein Produkt überhaupt interessieren? Was steckt dahinter? Passt es in seine Lebenswelt? Es bringt sehr viel, weil man die Codes anhand dessen ausrichten kann. 

Sagen wir, ich will eine gesunde Limo auf den Markt bringen. Wie helfen Sie mir dann?

Ich komme als Coach und Ratgeber dazu, wir können auch Tiefeninterviews durchführen. Das machen wir in der Regel mit 10 bis 15 Personen. Da gibt es dann Fragen wie „käme jetzt eine Fee hinein, welches Getränk würde sie Ihnen zusammenbrauen?“ Und wir lassen die Teilnehmer im Warteraum bei uns im Institut erstmal Platz nehmen, dort liegen Zeitschriften, vielleicht stellen wir auch verschiedene Getränke hin – und schauen, zu was sie greifen. Fallen ihnen die Sachen überhaupt auf? Warum entscheiden sich sich für das eine Produkt und nicht das andere? Das fragen wir sie im Anschluss. Man nähert sich immer über Kontexte. Das funktioniert sehr gut.

Vielen Dank, Frau Karmasin.

 

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