Stefan Lehmann: „Wir brauchen mindestens vier Euro für ein Schulessen, eigentlich fünf“

Im Gespräch mit dem Geschäftsführer von Lehmanns Gastronomie und Catering, Bonn

von Jan-Peter Wulf
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Foto: Lehmanns Gastronomie

Die Unternehmen der Kita- und Schulverpflegung haben herausfordernde Corona-Jahre hinter sich und stecken aktuell – wie alle – mitten in der Kostenkrise. Zugleich ist gesundes, nährstoffreiches und last but not least leckeres Essen für die Heranwachsenden angezeigt. Wie agiert man in so einem Spannungsfeld? Darüber sprachen wir mit Stefan Lehmann, Geschäftsführer der Lehmanns Gastronomie, Bonn. 

Herr Lehmann, wie geht es dem Unternehmen? Wie sind Sie durch die krisenbehafteten letzten Jahre gekommen? 

Wir Schul- und Kitaverpfleger hingen in den Lockdowns brutal an den Entscheidungen der Regierung. Vielen Politiker, mit denen wir gesprochen haben, war oft gar nicht bewusst, was für ein Markt an uns dranhängt und wie viele, inklusive den Zulieferern, mit in den Lockdown geschickt wurden, weil sie andere Themen auf dem Schirm hatten. Manche Kollegen haben es ja auch nicht geschafft oder haben sich aus dem Bereich der Kinder- und Schulverpflegung verabschiedet. Wir haben die Krise überstanden, weil wir Kurzarbeit nutzen konnten, das ist ein Privileg in Deutschland. Wir hatten von heute auf morgen 95% Umsatzeinbruch und waren wegen der Notbetreuung trotzdem gefordert, das ist eine gesellschaftliche Verantwortung, der wir uns gestellt haben.

Mit einer kleinen Mannschaft, die im Unternehmen verblieben ist, haben wir die Notgruppen beliefert – manchmal nur mit zwei Essen statt sonst 200. Besonders schwierig waren die kurzfristigen Entscheidungen, die mitunter über das Wochenende getroffen wurden … es war eine spannende Zeit. Rund vier Wochen vor den Sommerferien 2021 machten die Schulen in NRW wieder auf und wir waren von jetzt auf gleich direkt wieder in Volllast, bis heute. Das ist der große Vorteil, den wir in unserem Bereich haben. In der Betriebsverpflegung sieht es da zum Teil ja noch ganz anders aus.

Was hat sich für Sie verändert?

Generell ist es der gleiche Job wie vorher. Ich denke, wir haben bewiesen, dass wir alltagsrelevant sind. Ohne uns funktioniert es eben nicht und bei den Entscheidungsträgern hat sich die Wahrnehmung schon verändert. Die Wertschätzung von gesundem Essen für Kinder wird von Jahr zu Jahr größer. Der sehr hohe Anspruch von allen Beteiligten – Politik, Träger, Eltern – an das Essen in der Schule und der Kita steigt immer weiter. Es soll gesund sein, am liebsten alles Bio, regional und das mit der großen Herausforderung, dass es nichts kosten darf. Das Preis-Leistungs-Verhältnis hat schon vorher nicht gestimmt und tut es nun immer noch nicht. Die steigenden Kosten seit dem Kriegsausbruch Anfang 2022 und den Krisen, die damit einher gehen, treffen uns voll: Energiekosten, Logistikkosten durch unseren großen Fuhrpark, Kosten für Rohstoffe und Lebensmittel. Nur weil wir im großen Stil einkaufen, können wir keineswegs immer günstiger beschaffen. Im Gegenteil: Wenn die Discounter mit Aktionen den Markt leerkaufen, ist es sogar noch schwieriger für uns, Ware zu einem günstigen Preis einzukaufen.

Wie reagieren Sie darauf?

Wir haben einige Prozesse in der Produktion verändert oder die Rezepturen – zum Beispiel haben wir den Fleischanteil in der Bolognese reduziert und dafür mehr Gemüse genommen – aber das sind marginale Anpassungen. Teure Rohstoffe haben wir aus dem Speiseplan genommen. Wir verwenden weniger Rindfleisch – man schaut schon genauer hin.

Anders als in der Individualgastronomie kann man ja auch nicht die Preise entsprechend erhöhen.

Wir haben es bisher immer durch Wachstum geschafft, die Kosten umzulegen. Aber das ist natürlich endlich, für jeden Betrieb. Jetzt mussten wir zwei Jahre hintereinander Preise anpassen. Wir reden turnusmäßig im Herbst eines Jahres über die Preise des nächsten Jahres ab dem Sommer, wir sind da sehr fair gegenüber unseren Kunden. Nur im Herbst 2021 wusste noch niemand etwas vom Krieg in der Ukraine, heißt wir hängen in der Kalkulation zurück und müssen vorfinanzieren. Der Großteil unserer Kunden ist uns entgegengekommen und hat zum neuen Schulhalbjahr ab Februar Preisanpassungen akzeptiert. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir lagen bei drei Euro vor der Krise für den Hauptgang, haben letztes Jahr auf 3,20 und jetzt auf 3,40 erhöht, während wir zuvor die Preise viele Jahre konstant halten konnten. Zudem hat die Krise neue Anbieter auf den Markt gespült, zum Teil aus dem Eventcatering, die jetzt Schulverpflegung anbieten, weil sie ihren Betrieb auslasten wollen. Es ist sehr viel Bewegung hineingekommen. Und es gibt in der Region leider auch Kollegen, die für weit unter drei Euro Kinderessen verkaufen. Ich kann gar nicht nachvollziehen, wie das überhaupt geht.

Was wäre ein aus Ihrer Sicht angemessener Preis?

Wir brauchen mindestens vier Euro für ein Schulessen, eigentlich fünf, wenn man es in der Vollkostenrechnung vernünftig betrachtet. Es braucht meiner Meinung nach strikte Regularien, wer Kinderessen anbieten darf. Nachgewiesen durch eine Zertifizierung von DGE, TÜV oder anderen. Das Essen muss subventioniert werden, weil es sich viele Eltern nicht vollumfänglich würden leisten können. Wir müssen eine vernünftige Versorgung für alle gewährleisten. Und es muss eine Preisuntergrenze geben. Kein Kinderessen unter vier Euro, nur zertifizierte Caterer, Ausschreibungen nach festen Qualitätsmerkmalen, nicht nach Preis. Sie glauben gar nicht, wie schlecht unsere Kinder teilweise ernährt werden.

Ihre Gäste sind ja letztlich die Schülerinnen und Schüler bzw. die Kinder in der Kita. Wie bauen Sie ein Verhältnis zu ihnen und ihren Eltern auf?

Das Absurde: Wir reden über Essen für Kinder und haben ganz viele Akteure, die mitzureden haben. Eltern nehmen Einfluss auf den Träger und den Caterer, können Wechsel beeinflussen, Speiseplanthemen mitbestimmen. Sie wollen gesundes, sättigendes und günstiges Essen. Unsere Auftraggeber, die Träger oder die Kommunen, wollen es preislich angemessen und logistisch unkompliziert. Der für uns aber wichtigste Akteur, das Kind, hat in der Regel nicht mitzureden. Wir haben schon früh erkannt, dass die Kommunikation gerade Richtung Kinder und Eltern wichtig ist. Deswegen haben wir mit Juute Kinderverpflegung schon lange ein eigenes Magazin, weil wir festgestellt haben, dass viel Unwissenheit herrscht: Warum ist nicht alles Bio? Was ist ein Kombidämpfer? Was ist Cook and Chill? Was ist eine DGE-Zertifizierung? Es ist auch eine Kolumne drin, in der eine Mutter aus eigener Erfahrung berichtet, wie wichtig es ist, die Kinder mit an Bord zu nehmen, gemeinsam zu kochen und einkaufen zu gehen.

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Foto: Lehmanns Catering

Eine Weiterentwicklung ist unsere eigene App: Sie zeigt an, was die Einrichtung an Essen bestellt hat. Den Speiseplan zu fotografieren, mag in der Kita noch funktionieren. Aber spätestens in der Grundschule, die die Kinder alleine betreten, verlieren Sie den Kontakt. Die App zeigt den Eltern, was es zu essen gibt und sie können mit uns direkt in Kontakt treten. Sonst ist der Weg weit: Ein Kind ist unzufrieden, erzählt das den Eltern, es wird vielleicht beim nächsten Elternabend thematisiert und erreicht uns gefiltert von der Einrichtung. Und es gibt ja viele Dinge im Prozess, auf die wir als Caterer gar keinen Einfluss haben. Unser Außendienst ist täglich bei den Kunden draußen. Wir haben eine gut besetzte Kundenbetreuung, kümmern uns um Elternanliegen und Wünsche, geben Ernährungsberatung bei Kindern. Unser Maskottchen LEHKi – wir haben ein Ganzkörperkostüm machen lassen – besucht die Kinder in den Einrichtungen, fragt wie es ihnen schmeckt … es ist ein dickes Paket, das wir anbieten, um nah dran zu sein und im Ergebnis eine gute Ernährung sicherzustellen.

Wie sieht es bei den Jugendlichen in den weiterführenden Schulen aus? 

Wir sind in zwei GmbHs getrennt: Lehmanns Gastronomie versorgt mit rund 120 Personen die Kindergärten und Grundschulen, Lehmanns Catering bewirtschaftet mit 70 Angestellten die weiterführenden Schulen. Hier haben wir mit coolinary auch eine ganz andere Art der Ansprache, weil hier das Restaurantprinzip gilt: Du musst jeden Tag aufs Neue den Kunden gewinnen. Kommt ein Schüler in die Mensa, hat er sich freiwillig dazu entschieden. Spätestens in der sechsten Klasse, allerspätestens in der siebten Klasse verlieren wir die Schüler mit zunehmendem Alter. Was aber gar nicht am Essen selbst liegt.

Sondern?

An der Organisation. In der Schule meiner Tochter zum Beispiel, die zwölf Jahre alt ist und in die siebte Klasse geht, haben die Klassen fünf und sechs Vorrang. Die Mensa ist sehr klein und in der Mittagspause darf die Fünfte zuerst essen, dann die sechste, und danach erst dürfen die Älteren. Da ist die Pause aber fast vorbei. Logisch, dass wir die älteren Kinder dann verlieren. Wir haben hier einen enormen Investitionsstau in Deutschland: Mensen verfügen, wenn überhaupt vorhanden, nicht über die Größe und Ausstattung, dass wir einen vernünftigen Job machen können. Wir bewirtschaften Mensen, in denen ist es so laut und wuselig, dass ich auch keine Lust hätte, dort zu essen. Es ist verrückt, was wir den Kindern in der Mittagspause teilweise antun.

Sicher ist das Thema Mengenplanung in den weiterführenden Schulen auch herausfordernder.

In Kitas und Grundschulen haben wir Wochenvorbestellungen, es ist vergleichsweise einfach zu planen. In den weiterführenden Schulen arbeiten wir jetzt mit „myfoodorder“, einem Vorbestell- und Abrechnungssystem, das von der Foove Digital GmbH in Hamburg entwickelt wurde. Die Eltern können Geld auf ein Girokonto überweisen, es wird in der Software gutgeschrieben, sie können die Essen für die nächsten Tage vorbestellen und man kann damit auch am Schulkiosk bezahlen. Auch mehrere Kinder an verschiedenen Standorten lassen sich damit managen. Die Schüler bestellen ihr Essen nur in der Hauptkomponente vor, also beispielsweise das Schnitzel am nächsten Mittwoch, aber können vor Ort entscheiden, ob sie Kartoffeln und Gemüse oder Nudeln und Salat dazu wählen. Das bringt eine gewisse Flexibilität rein.

Viele Eltern hätten am liebsten ein Free-Flow-Buffet, aber wir können das anders als vollsubventionierte Studentenwerke nicht leisten. Zumal die Essenszahlen gering sind: Nur 10 bis 20 Prozent der Kinder in weiterführenden Schulen gehen essen. Das ist schon eng kalkuliert. Viele befreundete Caterer sind in weiterführenden Schulen gar nicht mehr tätig. Den Aufwand mit Vorbestellung, Manpower in den Mensen und Kiosken können viele gar nicht mehr leisten, weil es sich fast nicht mehr rechnet.

Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf die kommenden Jahre?

Wir sind zuversichtlich, weil es ein doch sehr sicherer Markt ist. Sorgen, dass unsere Leistung nicht mehr benötigt wird, mache ich mir nicht. Aber: Wir müssen weiter für ein faires Verhältnis zwischen Preis und Leistung kämpfen. Bioquoten werden irgendwann vermutlich staatlich vorgegeben. Will man die Quoten hochschrauben – und es ist gut, dass wir den Fokus auf eine gute Ernährung legen – muss es auch preislich passen. Der Staat muss regulieren und auch subventionieren. Die Ernährungsstrategie (Teil des Koalitionsvertrags, sie soll dieses Jahr vorgelegt werden, Anm. d. Red.) ist ein guter Ansatz. Ich hoffe, dass Taten folgen und die Strategie auch auf die Kinder- und Schulverpflegung durchgreift.

Wenn die Lebensmittel- und Energiepreise so hoch bleiben wie aktuell, bekommen wir in Deutschland ein Problem. Kann man sich als Normalverdiener nicht einmal mehr gesunde Lebensmittel leisten, dann ist etwas falsch in der Gesellschaft, und es wird sich spürbar auf uns auswirken. Eltern, die sich das Essen nicht mehr leisten können, melden dann ihre Kinder ab. Und das kann nicht die Lösung sein.

Vielen Dank, Herr Lehmann.

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