Sexy Dosenfisch: Wie die Sardinen.Bar und Hiddenseer Kutterfisch ein ramponiertes Image aufpolieren

von Jan-Peter Wulf
Sardinenbar Berlin - konzepte, gastronomie, food-nomyblog Sexy Dosenfisch: Wie die Sardinen.Bar und Hiddenseer Kutterfisch ein ramponiertes Image aufpolieren

Surf’n’Turf-Variante: Ölsardine nach baskischer Art mit Bayonner Schinken und Piment d’Esepelette. Hervorragende Textur, würzig-pikant, leichte Rauchnoten im Nachklang.

Fisch aus der Konservendose hat in Deutschland ein Billigimage. Sardinen, in Öl-, Tomaten- oder Curry-Senf-Sauce eingelegt, die kauft der Konsument sich im Supermarkt mehr als Notration denn als Genussprodukt. Sich gar im Restaurant eine Fischkonserve zu bestellen, dürfte Otto Normalverbraucher als völlig absurd erscheinen. Das könnte sich nun ändern. 

Denn in Frankreich und Portugal sieht es ganz anders aus: „Eine gut gemachte Konserve gehört dort in guten Restaurants zum Angebot dazu“, erklärt Thomas Vetter. Der gelernte Koch, der lange in Irland gelebt hat, kam nach Berlin mit der Idee, das deutsche Image der Fischkonserve zu drehen und ein Restaurant zu eröffnen, welches dieses verkannte Produkt ins Zentrum stellt. 

So gewagt das Unterfangen Vetters wirkt, familiär betrachtet lag es erstmal gar nicht so fern: Seine Freundin betreibt mit ihrem Vater den renommierten Feinkoster „Maître Philippe & Filles“, der auch hochwertige Fischkonserven aus kleinen Manufakturen importiert. Der Vertriebskanal war somit da. Doch ein Fachhandel, der mit großem Onlineanteil Edelsardinen an Connaisseure verkauft, die sie aus dem Urlaub kennen, oder dieses im stationären Restaurant in Berlin-Schöneberg an mitunter völlig unbeschlagene Gäste tun – das sind zwei unterschiedliche Dinge. Ähnlich sieht es zum Beispiel beim Thema Specialty Coffee oder Craft Beer aus: Wer die Produkte nicht kennt, wird nur schwer verstehen, warum sie ein Vielfaches des Großrösterkaffees oder Industriebiers kosten.

Was ist guter Dosenfisch? Der Unterschied muss erklärt werden

Eine kleine Dose Sardinen im Restaurant ab acht Euro zu verkaufen, wo es im Supermarkt schon für ein Zehntel des Preises scheinbar das Gleiche gibt – das gehe nur, indem man den Gästen, herbeigelockt unter anderem von der vielen Presse, die Vetters „Sardinen.Bar“ erhalten hat, alles genau zu erklären.

Thomas Vetter Sardinenbar - konzepte, gastronomie, food-nomyblog Sexy Dosenfisch: Wie die Sardinen.Bar und Hiddenseer Kutterfisch ein ramponiertes Image aufpolieren

Thomas Vetter: „Es ist eine gesunde Hauptmahlzeit mit Omega-3-Fettsäuren und Spurenelementen, keine Notration für schlechte Tage.“

Und dabei vor allem den Unterschied: Die Dosen der „Sardinen.Bar“, die auch außer Haus verkauft werden, stammen von familiengeführten Betrieben, die in Handarbeit und in kleinen Mengen produzieren. „Es wird gefangen und sofort verarbeitet. Kein Schockgefrieren“, so Vetter. Das ist aufwändig, aber Teil des Konzepts. „Wir nehmen uns immer die Zeit, den Aufbau unserer Karte zu erklären. Mein Personal ist gut trainiert, wir kosten alles gemeinsam durch, damit alle wissen, worüber sie sprechen.“

Jahrgangssardinen sind das Highlight

80 unterschiedliche Sardinenprodukte sowie 40 weitere Dosenfische, unter anderem hochwertiger Thunfisch, finden sich auf der Karte. Sortiert ist diese so, dass dem Gast der Einstieg ins Thema leicht fällt, von „Für Puristen“ (nur in Olivenöl eingelegt) über „Die Klassiker“ (mit Tomatensauce oder pikantem Olivenöl, mit Zitrone oder im Muscadet-Wein) bis zu „Die Extravaganten“ (mit schwarzer Olivenpaste oder mit Bayonner Schinken).

Das Highlight sind die Jahrgangssardinen: Besonders fette Exemplare, die Mitte bis Ende September nachts gefangen und dann sofort verarbeitet werden. Über einen Zeitraum von fünf, sechs Jahren arbeitet sich das kalt gepresste Olivenöl in den Fisch ein, macht ihn zarter und mürber, das Öl nimmt eine wundervolle goldbraune Farbe an.

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Konservenkunst: Auch das Packaging der Ölsardinen ist handwerklich.

Serviert werden die Konserven in der Dose am Platz, diese ruhen auf eigens angefertigten Holztrays. Dazu gibt es Brot und Salat sowie – ein Service des Hauses – kostenloses Mineralwasser. Besonders gut natürlich schwimmt der Fisch in Wein. Hier der Betreiber sich, stimmig mit dem Food, auf französische und portugiesische Erzeugnisse spezialisiert.

Letztere sind, wie die Sardinen aus der Dose, noch ziemliche Geheimtipps: „Die junge portugiesische Winzergeneration erntet jetzt, was sie gesät hat“, findet Vetter. Winzer wie Luis Louro oder Rita Marques Ferreia brachten önologisches Wissen aus aller Welt mit in ihre Heimat, gruben alte Rebsorten in die Berge und kultivieren jetzt spannende neue Weine, die man bei Vetter genießen kann. Ideal für einen Einstieg in Fisch aus der Dose und korrespondierenden Wein sind die Tastingmenüs der „Sardinen.Bar“.

Premium-Fischkonserven: Ergänzung fürs Gastro-Sortiment

Werden wir in Deutschland in Zukunft häufiger edle Fischkonserven auf den Karten finden? Vetter, der zweifellos Pionierarbeit leistet, ist zuversichtlich. „Vermutlich nicht in der Menge wie bei mir, aber als Ergänzung kann ich mir das gut vorstellen.“ Das unternehmerische Risiko ist sehr überschaubar, denn lagern lassen sich die Konserven – das ist ihr Seinsgrund – ohne großen Platz- und Energieverbrauch und über lange Zeit, das MHD beträgt in der Regel zehn Jahre. „Wenn die Dosen nicht beschädigt sind, passiert an ihnen gar nichts“, erklärt der Experte.

Beschädigt ist nur eines: das Image. Hier hat die Massenproduktion, mit massenhaft gefrorenen und in billigem Öl eingequetschten Sardinen, ganze Arbeit geleistet. Doch wie wir es bei anderen Lebens- und Genussmitteln, vom Fleisch bis zum Bier, schon gesehen haben in den letzten Jahren: Ein Image kann sich ändern, und damit einher geht ein größerer Genuss für den Gast und ein neues Umsatzpotential für den Gastgeber.

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Diese Menschen stehen hinter dem Dosenfisch-Projekt „Hiddenseer Kutterfisch“

Sogar der deutsche Fisch und die Fischer der Region könnten von dieser Aufwertung profitieren. Auf Hiddensee hat soeben der erste Fischkonservenladen mit inselnah gefangenem Kutterfisch eröffnet. Die Fischkonserven werden nach traditionellen Methoden produziert – für den Bückling beispielsweise werden die Heringe filetiert und in kleinen Chargen traditionell mit Buchenspäne geräuchert, dann in Rügener Rapsöl eingelegt und mit Pfeffer verfeinert.

Die Marke „Hiddenseer Kutterfisch“ will nicht nur deutschen Fischkonserven ein neues Image verleihen: Ganz konkret wird, mit den Erlösen aus dem Verkauf, die Arbeit des Vereins der „Hiddenseer Kutterfischer e.V.“ unterstützt, der auf die kulturhistorische, touristische und wirtschaftliche Bedeutung der regionalen Stellnetzfischerei in den küstennahen Gebieten Ostsee aufmerksam macht.

Sardinen.Bar
Grunewaldstraße 79
10823 Berlin
www.sardinen.bar

Premiumfisch aus der Dose: Bezugsquellen

Maître Philippe & Filles, Berlin
Seit 1994 Importeur von Feinkost aus Frankreich und Portugal, große Auswahl an Fischkonserven, darunter Sardinen und Jahrgangssardinen, Thunfisch, Makrelen und Bacalhau sowie Fischsuppen und Meeresfrüchte.
www.maitrephilippe.de

Manger Trouvé, Hanau
Importeur von rund 100 verschiedenen Fischkonserven und eindosierten Meeresfrüchten aus Spaniens und Portugals: Sardinen, Makrelen, Thunfisch, Muscheln, Tintenfisch, Algen, Fisch-Mousse, Fischraritäten und Anchovis, die wie Parmaschinken schmecken.
www.manger-trouve.de

Hiddenseer Kutterfisch, Schaprode
Ein Projekt, das der deutschen Fischkonserve neuen Glanz verleihen will: Nachhaltig gefangener Fisch von der Ostsee kommt frisch in die Dose.
www.hiddenseer-kutterfisch.com

Editierte und ergänzte Version des zuerst in Gastrotel 4/2017 erschienenen Beitrags.

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