Christian Schletze-Wischmann, Kernvoll Catering Berlin: „Man braucht ein Tarifkonzept“

Das Berliner Catering-Unternehmen zahlt den von der NGG geforderten Lohn. Wie geht das?

von Jan-Peter Wulf
Neues Projekt 70 - personal, management, gastronomie, food-nomyblog Christian Schletze-Wischmann, Kernvoll Catering Berlin: „Man braucht ein Tarifkonzept“

Foto: Luisa Schmolke

3.000 Euro brutto „Gastro-Start-Lohn“ für fertig ausgebildete Fachkräfte: So lautet die zentrale aktuelle Forderung der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Der Berliner Caterer „Kernvoll“ setzt sie als eines der ersten – möglicherweise sogar erstes – Unternehmen der Branche um. Wie? Darüber sprachen wir mit Co-Geschäftsführer Christian Schletze-Wischmann.

Herr Schletze-Wischmann, seit wann gibt es „Kernvoll“ und an welche Kunden richten Sie sich?

Wir sind im März 2017 in Berlin gestartet, seit 2020 betreiben wir außerdem in Mecklenburg-Vorpommern Ferienhäuser mit Halbpension. Wir bieten ein rein veganes Catering in höchstmöglicher Qualität an, quasi direkt unter Fine-Dining-Niveau. Wir kochen frisch, unsere Produkte sind biozertifiziert, möglichst regional und falls nicht, müssen sie alle Fairtrade-Siegel vorweisen, die es für die jeweilige Region gibt. Zu 90% sind wir Businesscaterer, vom Bürocatering bis zu großen Konferenzen. Der Rest ist Privatcatering, z.B. Hochzeiten im Sommer oder Geburtstage. Wir machen zurzeit etwa eine Million Euro Umsatz im Jahr.

Welche Unternehmensziele verfolgen Sie?

Der Wert von Arbeit an sich ist eine Säule unserer Unternehmung: Wir sind der Überzeugung, dass wir ein Geschäftsmodell betreiben können, in dem wir kein Tierleid, aber eben auch kein menschliches Leid im Sinne prekärer Arbeitsbedingungen verursachen. Dafür wurden wir anfangs ausgelacht. Wir haben aber gesagt: Wenn wir das so machen, werden wir als Betrieb niemals ein Fachkräfteproblem bekommen. Jetzt sehen wir den bislang größten Fachkräftemangel in der Branche, aber wir haben keine keine Fluktuation. Statt dessen einen beständigen Aufbau an Beschäftigten und sogar eine Warteliste von Menschen, die mit uns arbeiten wollen. Bei uns ist es eine politische Ausrichtung, es ist aber auch ökonomisch betrachtet, abseits von sozialen Aspekten, richtig dumm, kein Personalkonzept zu haben.

Warum?

Weil man so langfristig keine Kredite mehr wird abbezahlen können. Vor Corona war der Wert unserer Firma die Auftragslage und die Stammkundenbindung. Heute ist es aber auch ein Wert, Vollzeit-Köche und Serviceleute zu haben, die auf hohem Niveau arbeiten können. Und das geht nur mit ordentlicher Zusammenarbeit.

Dafür setzen Sie auf eine Tariflogik.

Ja, man muss ein Konzept haben. Hat man das nicht und bezahlt alle seine Leute nach Nase, dann kommt man irgendwann durcheinander, findet keine Neueinstellungen mehr für den Einstiegslohn von früher und muss drauflegen. Dadurch kommen neue Leute ins Unternehmen, die mehr verdienen als diejenigen, die schon da sind. Die fragen dann: Wieso bekommen die Neuen mehr als wir?

Ergebnis: Du hast nur Unruhe im Team und musst auf einmal alles enorm erhöhen, um die Abstände zwischen neuen und alten Leuten zu wahren, was jedes Gehaltsbudget sprengt. Deswegen haben gerade viele Caterer Probleme. Wir haben gleich zu Beginn nach Berliner Flächentarifvertrag für die Gastronomie bezahlt, hausgebunden nach Tarifvertrag der NGG sind wir seit 2020. An den Flächentarifvertrag halten sich fast nur Hotels, kaum Gastronomien, kein Caterer außer uns. Dieser Vertrag ist aber so schlecht – wir sprechen hier von rund 2.500 brutto nach der Ausbildung zum Koch –, dass wir ihn nur als Bezugsrahmen nehmen und alle Gruppen um ungefähr 30% hochstufen.

Sie zahlen also systematisch mehr.

Vielen Catering-Köchen wird das Gehalt der Hilfsarbeitergruppe ausgezahlt oder es wird mit Teilzeitgeschichten getrickst, sodass sie in schwachen Zeiten auf weniger Stunden kommen. Unsere Einstiegsgruppe hingegen ist die Gruppe der gehobenen Facharbeiter mit mehrjähriger Berufserfahrung – die erreicht man sonst nur mit gehobener Betriebszugehörigkeit, in Leitungsfunktion, vielleicht als Küchenchef. Wir ziehen diese Gruppe vor und sind damit nun deutschlandweit der erste Cateringbetrieb, der die von der NGG geforderten 3.000 Euro brutto zahlt, wenn man einen Gesellenbrief hat. Hinzu kommen 30 Tage Urlaub, eine 38-Stunden-Woche, Schulungs- und Weihnachtsgeld, Sonntagsarbeit mit Zuschlägen. Mit diesen Sonderleistungen kommt man bei uns auf knapp 13 Jahresgehälter. Wir zahlen hohe Löhne und die Leute sollen selbst entscheiden, was sie damit machen. Diese modernen Taschenspielertricks ohne Substanz – Jobtickets, iPads, Moped-Führerscheine, Fitnesstudio-Abo – gibt es bei uns nicht.

Wie staffelt sich das System bei Kernvoll?

Wir haben zurzeit 23 Beschäftigte und im Prinzip vier Gruppen: Die Hilfsarbeitergruppe – Küchenhilfen – mit 15 Euro pro Stunde, die bekommen auch unsere drei Studierenden. Die nächste Gruppe sind die Facharbeiter, dann eine Gruppe für die u.a. Schichtleitung und zuletzt die Gruppe, in der zum Beispiel die Catering- und Küchenleitung steht, da sind wir bei rund 21 Euro pro Stunde.

Das alles muss sich rechnen. Wie tut es das?

Zunächst muss man akzeptieren, einen Teil seines Profits einzubüßen. Wir selbst als Chefs (Manuela Wischmann und Christian Schletze-Wischmann, Anm. d. Red.) sind auch in den Tarifvertrag eingruppiert. Ein Extra-Geschäftsführergehalt gibt es bei uns nicht. Am Ende gehört uns das Unternehmen, da brauchen wir keinen Lohnabstand. Als bioveganer Caterer benötige ich zudem ein gewisses Budget. Bei Kunden, die nur nach dem Preis gehen, haben wir sowieso gar keine Chance.

Wir sprechen ein Klientel an, das wirklich selbst gekochtes Essen will, keine Vegan-Convenience. Wir kaufen beim Bio-Großhandel „Terra Naturkost“ ein, aus Überzeugung, weil wir dort sehr hochwertige, regionale Produkte für einen guten Preis bekommen und eine Kalkulation aufstellen können, die der Kunde nachvollziehen kann. Ein Großteil des Umsatzes geht in die Löhne und in den Prozess. Den Rest am Ende des Monats investieren wir in unsere eigenen Immobilien in Mecklenburg-Vorpommern, also in die Substanz und in die Weiterentwicklung. Wir bauen damit eine Wertanlage auf.

In der Korrespondenz liest man auf Unternehmens- oder Berufsverbandsseite eher Ablehnendes, was die 3000-Euro-Forderung der NGG betrifft.

Ich spreche persönlich mit Kunden und Gästen darüber und erlebe es als eine unheimlich hohe Belohnung, dass sie das Gefühl haben, dass es bei uns nichts „Windiges“ gibt. Hier wird weder am Essen gespart noch gibt es einen schlechten Umgang mit Beschäftigten. Du brauchst ein nachvollziehbares, glaubwürdiges und besonderes Produkt. Was bewegt jemanden, sein Portemonnaie aufzumachen und dich zu bezahlen? Was macht dich aus?

Für uns ist das auch eine Bezahlungsfrage: Die Leute müssen zur Arbeit kommen und nicht eine Sekunde daran denken müssen, ob sie mit dem Lohn die Miete, ihr Essen und ihr Sozialleben bezahlen können, dann sind sie abgelenkt. Ich brauche keinen Cent in digitales Marketing zu investieren, weil die Leute in ihren Freundeskreisen sagen: Kernvoll, da gehst du hin, da bestellst du, die sind super. Unsere Löhne sind hoch, aber dafür haben wir eine so hohe Expertise in der Küche und in der Durchführung, dass die Kunden wissen: Wenn sie mit uns arbeiten, haben sie keine Probleme. Facharbeit, finde ich, muss so vergütet werden wie Bachelor-Abschluss. Damit müsste ich eigentlich auf 23 bis 25 Euro in der Facharbeitergruppe hoch gehen. Und das ist unser Ziel für die nächsten Jahre.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mehr Informationen:
www.kernvoll.de
zjki8Kernvoll-Podcast „alles Photosynthese“

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