Mehr Köchinnen in die Sterne­küchen? Ein Stimmungsbild mit Protagonistinnen der Branche

von Laura Klingenberg
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nomyblog-Autorin Laura Klingenberg im Gespräch mit Julia Komp

Ein gutes Jahr ist vergangen, seitdem die Verleihung der „Germany’s 50 Best Chefs“ für Trubel sorgte: Unter den angeblich 50 besten war nämlich nur eine Frau zu finden. Es gab jede Menge Resonanz darauf (wir berichteten). Auch dieses Jahr konnte nur eine Köchin unter den 50 besten der Zunft gefunden werden. 
 
Das kann und muss man kritisieren, denn der Mangel und das Fehlverhältnis, auch in der Repräsentation, müssen beseitigt werden. Allerdings ist es tatsächlich so, dass zur Zeit nur neun verantwortliche Küchenchefinnen in deutschen Sternerestaurants die Fahne hochhalten – ihnen stehen 304 männliche Sterneköche gegenüber. Was noch einmal deutlich weniger als der generelle Schnitt ist: Unter den 18.966 Ausbildungsverträgen für den Beruf Koch/Köchin befanden sich laut IHK Deutschland im Jahre 2017 4.318 weibliche Köche oder rund 23 Prozent. Wenig Frauen insgesamt, noch weniger in der Spitze. Woran liegt die niedrige Frauenquote in den Top-Küchen? Oder provokativ gefragt: Braucht das Land überhaupt mehr Frauen in der Spitzengastronomie?
 
Laura Klingenberg hat im Rahmen der diesjährigen „Chefdays“, wo sich ein Teil des Programms unter dem Motto „Female Heroes“ der Branchenthematik widmete, mit Protagonistinnen unterhalten: Julia Komp ist die derzeit jüngste Sterneköchin Deutschlands, sie arbeitet im „Schloss Loersfeld“ in Kerpen. Birgit Reitbauer leitet mit ihrem Mann Heinz das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant „Steirereck” im Stadtpark in Wien. Katharina Raue ist ehemalige Chefredakteurin des Magazins „Rolling Pin“ und CEO von „Raue Consulting“ (und mit Zwei-Sterne-Koch Tim Raue verheiratet). Last but not least: Armie-Angelique Weinberger wurde mit Anfang 30 Direktorin des Fünf-Sterne-Hotels Sacher (mit Restaurant „Zirbelzimmer) in Salzburg. 

1. Neue Konzepte und Ausbildungsstandards

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Julia Komp. Foto: Marcel Wurm

Frau Komp, Sie sind zur Zeit Deutschlands jüngste Sterneköchin. Wo sind denn die jungen Kolleginnen geblieben?

Ich bin Jurorin bei vielen Jugendwettbewerben. Hier haben Köchinnen ihre männlichen Kollegen inzwischen deutlich überholt. Aber irgendwann verschwinden diese Talente wieder von der Bildfläche … ich habe keine Ahnung wohin.

Frau Reitbauer, Sie sagten auf der Chefdays-Bühne, dass junge Köchinnen schon in ihren „Entscheidungsjahren“, also während der Ausbildung vergrault werden. Was meinen Sie damit?

Meiner Meinung nach hat die Ausbildung in der Gastronomie, vor allem im Lehrlingsbereich, große Lücken. Da sind vor allem die Mädels oft sehr ehrgeizig und wollen so viel Wissen wie möglich vermittelt bekommen. Wenn man sich aber die gelehrten Themen in den Berufsschulen ansieht, sind diese sehr oft unbefriedigend. Unsere Berufsausbildungen treten ja in Konkurrenz mit Studium oder höheren Schulen. Da wird oft für die Bildung und gegen den Handwerksberuf entschieden. Meiner Meinung nach gehören komplett neue Konzepte und Ausbildungsstandards her. 

Armie Angélique Weinberger - personal, interviews-portraits, gastronomie Mehr Köchinnen in die Sterne­küchen? Ein Stimmungsbild mit Protagonistinnen der Branche

Armie-Angelique Weinberger

Frau Weinberger, Sacher hat eine spannende Lösung für das Ausbildungsproblem gefunden. Können Sie diese kurz skizzieren?

Wir haben uns dazu entschieden, nicht weiter auf Ausbildungssysteme zu bauen, sondern die Aus- und Weiterbildung unserer jetzigen und zukünftigen Mitarbeiter selbst in die Hand zu nehmen. Wir haben unsere Ausbildungskosten verzehnfacht und jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin hat mindestens drei volle Trainings in unserer Sacher School of Excellence. Das führt hoffentlich mittel- und langfristig zu noch besserer Servicequalität und erhöhter Zufriedenheit bei unseren Gästen – und außerdem zu einer wesentlich höheren Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen. 

2. „Will ich ein normales Leben führen, oder will ich Köchin werden?“

Frau Raue, Sie zitierten auf der Bühne die Sterneköchin Ana Roš. Normales Leben oder Köchin werden: Wie stehen Sie selbst zu diesem Zitat?

Eine Norm-Reduzierung der Frau auf „Familie“ ist rückständig und engstirnig. Das Entweder-Oder-Prinzip ist schlicht falsch. Natürlich erfordert Erfolg ein Höchstmaß an Stärke, Disziplin, Aufmerksamkeit und Kraft. Darüber muss man sich einfach im Klaren sein. Dann kann man seine Prioritäten für sich selbst setzen.

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Katharina Raue. Foto: Nils Hasenau

Wo wir schon von „Norm-Reduzierung“ sprechen: Sie sagten, dass bei Frauen eher das „Weiche und Sanfte“ erwartet wird, wohingegen eine gewisse Kaltherzigkeit bei Männern als charakterstark angesehen wird. Woran liegt das?

Trotz vieler Errungenschaften der Gleichberechtigung scheint es heute noch immer so, als ob dominante Charakterzüge bei Männern nicht nur toleriert, sondern auch erwartet werden. Im Gegenzug wurde Frauen das Sanfte und das Weiche übergestülpt. Wechseln nun diese Schubladen den Besitzer, führt das zu Verwirrung und der Schuh scheint für viele noch immer nicht zu passen. Daher wird das Verhalten bei dem dann unpassenden Geschlecht als negativ bewertet – das aber gilt vice versa für Männer und Frauen. Diese Spirale gilt es aufzulösen. Starke Vorbilder helfen da.

Frau Komp, wie stehen Sie zu dem Zitat von Ana Roš?

Küchenchefin zu sein, ist eine Berufung. Ich opfere so viel Zeit für die Küche, aber auch zusätzlich für Weiterbildungen, Messen, Gastromeetings und so weiter. Man muss immer am Ball bleiben. Es macht Spaß, aber es nimmt viel Zeit in Anspruch. Mir fällt es schon schwer, den richtigen Partner zu finden. Wie soll ich ihn denn dann noch halten bzw. Kinder groß ziehen? Natürlich gibt es viele Frauen, die es schaffen. Es liegt an der Organisation. Auch seitens der Betriebe.

Frau Reitbauer, Sie haben drei Kinder und leiten mit Ihrem Mann eines der erfolgreichsten Sterne-Restaurants der Welt. Wie schaffen Sie das? Und wie ermöglichen Sie den Müttern in Ihrem Betrieb die Integration von Familie und Beruf?

Man kann in kaum einer anderen Branche besser Kinder bekommen und erfolgreich sein als in der Gastronomie! Das ergibt sich größtenteils aus den Öffnungszeiten. Wir haben in unserem Unternehmen Mütter, die nur am Vormittag oder am Wochenende arbeiten, da zu diesen Zeiten die Kinderbetreuung in ihren Familien leichter aufteilbar ist. Darauf versuchen wir stets einzugehen. In Österreich sind noch immer sehr viele Gastronomiebetriebe in Familienhand. Man arbeitet gemeinsam und wohnt nicht weit vom Betrieb entfernt. Dadurch sind auch die Kinder, von klein bis groß, oft mittendrin. So hat man leichter die Möglichkeit, einmal schnell zu den Kindern zu springen.

3. Belästigung am Arbeitsplatz

Frau Komp, haben Sie schon Erfahrungen mit Belästigung am Arbeitsplatz machen müssen?

Schon, aber bei mir war es sehr gering. Eigentlich nicht der Rede wert. 

Aber Sie haben es bei Kolleginnen miterlebt? 

Ja, ein Klassiker in Küchen ist zum Beispiel, dass männliche Kollegen was runter schmeißen und sich weibliche Azubis dann bücken müssen, um es wieder aufzuheben. Oder männliche Kollegen stoßen „aus Versehen“ beim Vorbeigehen an weibliche Kollegen. Es gibt genügend Platz in der Küche, da darf sowas einfach nicht passieren! Es gab aber auch extremere Fälle, bei denen weibliche Kolleginnen begrapscht, beschimpft oder wie Dreck behandelt wurden. In meiner Küche achte ich sehr darauf, dass solche Fälle nicht vorkommen.

Frau Weinberger, wie gehen Sie im Sacher mit Belästigungen um?

Solche furchtbaren Fälle gibt es ganz offensichtlich. Sie sind stets strikt abzulehnen und in aller Konsequenz zu ahnden. Diese klare Haltung ist die beste Prävention.

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Birgit Reitbauer. Foto: Philipp Horak

Frau Reitbauer, zu diesem Thema sagten Sie auf der Bühne: „Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken.“ Was meinen Sie damit?

Für mich beginnt die Frage hier, wie die Geschäftsleitung damit umgeht. Wenn Mitarbeiter das Gefühl bekommen, ein Schlag auf den Hintern oder eine sexistische Anrede würden vom Chef gebilligt, so ist dies wohl eher ein Hemmungslöser. Wenn jedoch beim kleinsten Vorfall sofort reagiert wird, schaut die Sache für die anwesenden Mitarbeiter ganz anders aus. Wir hatten erst einen solchen Vorfall und haben hier mit der größtmöglichen Härte reagiert.

4. Brauchen wir mehr Köchinnen in Sterneküchen –  Ja oder Nein?

Katharina Raue: Nicht das, was man in der Hose hat, sondern im Hirn, ist ausschlaggebend für die Karriere. Ich lebe nach dem Leistungsprinzip und urteile bei allen beruflichen Entscheidungen weder nach Geschlecht noch nach Hautfarbe oder Religion.

Julia Komp: Ich will Kollegen, die Bock haben, in meiner Küche zu arbeiten! Egal ob Mann oder Frau. Ehrlich gesagt will ich in meiner Küche gar nicht zu viele Frauen haben. Das würde nur zu Mord und Totschlag führen.

Armie-Angelique Weinberger: Ich würde mir grundsätzlich mehr Menschen wünschen, die mit ehrlichem Interesse am Gast in unsere wunderbare Branche kommen. Die Diskussion Mann gegen Frau oder umgekehrt schreckt moderne und junge Menschen eher ab, weil es auf Geschlecht und nicht auf Kompetenz abzielt.

Birgit Reitbauer: Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in den letzten Jahren einen Mann bevorzugt hätten, wenn für die gleiche Position auch eine Frau in Frage gekommen wäre. Es zählt einzig die Leistung und der Wille.

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