Schön/streng: Wie Wiener Gastronomen das Reopening meistern wollen

von Jasmin Tomschi
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Foto: Heuer am Karlsplatz 2020

Am 15. Mai greift in Wien eine neue Lockerungsverordnung der Corona-Ära. Gastronomen dürfen endlich wieder zu Tisch bitten – unter Auflagen, an die man sich gewöhnen muss. Wie wollen Gastgeber*innen Besuche in ihrem Restaurant für alle Beteiligten so sicher und angenehm wie möglich machen? Was verändert sich, was bleibt gleich?

Unsere Autorin Jasmin Tomschi hat sich mit den Köpfen hinter vier unterschiedlich ausgerichteten Konzepten unterhalten: Ein Bericht über Trial und Error auf dem Weg in eine unvorhersehbare Zukunft.

Mitte März mussten Österreichs Gastronomien schließen. Genau zwei Monate später klingt die Einladung in einen von Wiens Gastro-Hotspots wie Segen und Fluch zugleich. Restaurantbesuche, wie wir sie gewohnt sind, bekommen strenge Vorschriften und könnten dabei in vielerlei Hinsicht verlieren: an Leichtigkeit, an ihrer spontanen Natur, an Herzlichkeit und sozialer Nähe.

Gäste sollen jedenfalls in Lokalen, wo sie vor kurzem noch beliebig ein- und ausgegangen sind, unbedingt reservieren. Man darf sich weder vor Türen noch an Theken scharen. Es wird keine freie Platzwahl geben. Pro Tisch dürfen maximal vier Erwachsene mit ihren Kindern oder Gruppen aus einem Haushalt sitzen. Zu anderen Tischen und Gästen muss ein Mindestabstand von einem Meter eingehalten werden. Sämtliche Mitarbeiter, die Kontakt zu Gästen haben, sind verpflichtet, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.

Im Folgenden: vier Betriebe, vier Betreiber – und wie sie den Neustart konkret angehen wollen. 

Skopik & Lohn: gewohntes Niveau auf halber Fläche

„Wir starten wegen Lieferproblemen mit Masken, wollen aber eigentlich mit Visieren arbeiten. So sieht man zumindest den Mund der Kellner und das Lächeln“, berichtet Constantin Satek. Das Skopik & Lohn, das er mit seiner Mutter Constance Fehle führt, hat Charakter; einen starken, fast 15 Jahre alten, der sich auch von Corona nicht so leicht verbiegen lässt. „Wir versuchen, die Maßnahmen umzusetzen, während wir Dinge genauso oder zumindest so ähnlich machen wie sonst auch.“

Gastronomen sind unter anderem dazu aufgefordert, im Eingangs- sowie im Toilettenbereich Spender mit Desinfektionsmittel zur Verfügung zu stellen. Gemeinsam nutzbare Gegenstände wie Salz- und Pfefferstreuer hingegen sollen bitte verschwinden. Für Satek kein Problem: „Bei uns ist Hygiene ein sehr wichtiges Thema, das wir auch vor Corona immer schon sehr ernst genommen haben.“ Bislang bekamen Gäste unaufgefordert ihre eigenen Teller, auch wenn Gerichte zum Teilen bestellt wurden. Jetzt bekommen sie auf Wunsch auch eigene Schälchen mit Salz dazu.

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Foto: Greenkat Productions

SkopikLohn Credit DominikGeiger - management, gastronomie Schön/streng: Wie Wiener Gastronomen das Reopening meistern wollen

Foto: Dominik Geiger

Im Bezug auf die Speisekarte (leicht reduziert und frisch foliert) oder die Sitzmöglichkeiten verändert sich im „Skopik & Lohn“ schon mehr, die Anzahl hat sich nämlich in etwa halbiert. Was macht man mit all dem Platz, der zum Schutz verloren geht? Option 1: Tische unbesetzt stehen lassen. Option 2: „Wir haben die Tische, die man aufgrund des Mindestabstands nicht nutzen kann, komplett entfernt.“ Dieser optische Aspekt, so Satek, soll nicht nur die Atmosphäre im Raum auflockern, sondern beim Gast für Klarheit und ein sicheres Gefühl sorgen.

Wer in Zeiten wie diesen auf einen Außenbereich ausweichen kann, ist definitiv im Vorteil. Für Satek ist es ein schöner, stimmungsvoller Gastgarten mit Palmen und viel Platz: „Man ist draußen, das Wetter ist schön – das kann durchaus etwas sein, das den Leuten gut tut, Spaß macht und ein Stück Normalität zurückbringt.“

Heuer am Karlsplatz: mehr Abstand und Glas zum Schutz

Von viel Fläche profitiert auch das unter normalen Umständen hoch frequentierte, zentral gelegene Ganztagslokal Heuer. So viel sogar, dass Inhaber und Geschäftsführer Andreas Wiesmüller den vorgegebenen Mindestabstand zwischen den Tischen auf ca. 1,5 Meter erweitert. „Wir wollen einfach allen und vor allem denen, die noch ein mulmiges Gefühl haben ein Restaurant zu besuchen, einen besonders sicheren Space bieten – auch einfach, weil wir das können mit 300 qm Terrasse, 500 qm Schanigarten und 2.000 qm zusätzlicher Grünfläche“, so Wiesmüller.

Im großen Innenraum hat er sich für eine Separée-artig Bestuhlung entschieden. Zusätzlich können in bestimmten Zonen mobile Glas-Trennwand-Systeme aufgestellt werden, „falls zum Beispiel jemand mit den Großeltern kommt und auf Nummer sicher gehen will“. Mithilfe dieser Trennwände, die Wiesmüller mit seiner Firma Lightglass produziert, kann laut gesetzlichen Regelungen in der DACH-Region der Mindestabstand zwischen Tischen reduziert werden.

Warum aus Glas und nicht die oft diskutierte Acryl-Variante? Für Wiesmüller punktet das Eigengewicht beim Outdoor-Einsatz, das Standhalten gegen wirksame Desinfektionsmittel sowie die Option auf Farben oder Tönung gegen Sonneneinstrahlung.

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Mit transparenten Trennwänden kennt Andreas Wiesmüller sich aus: Er betreibt auch ein Glasdesign-Unternehmen

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Fotos: Heuer am Karlsplatz

Andreas Wiesmüller ist gut vorbereitet, hofft aber insgeheim trotzdem auf das Verständnis seiner Gäste – vor allem aufgrund fehlender Improvisationsmöglichkeiten, mit denen sich Gastronomen stets geschickt zu helfen wussten. Sollte es mal richtig regnen, müssen die großen Schirme im Außenbereich zeigen, was sie können. Schnell mal jemanden an die Bar schicken, darf Wiesmüller in dieser Zeit nicht: „Drinnen bereiten uns die Maßnahmen schon ein paar Kopfschmerzen“, gibt er zu.

Während die nächsten Wochen eine erste große Testphase darstellen, will man im Winter besser vorbereitet sein: Deshalb wird schon jetzt ein Lüftungssystem geplant, das Viren und Aerosole filtern soll.

NENI: App-Support und Fokus auf Gäste-Feedback

Der Gastronom Ilan Molcho bereitet unterdessen die Wiederöffnung zweier Wiener Standorte vor – das NENI am Naschmarkt und ein saisonales Strandbar-Konzept. „Am Tel Aviv Beach mache ich mir insgesamt weniger Sorgen, weil wir so viel Raum haben und alles im Freien ist. Dort müssen wir nur sicherstellen, dass Gäste nicht einfach ins Lokal gehen“, so der CEO der Neni Group.

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Foto: NENI

Bislang hat sich die Wiener Laufkundschaft am Donaukanal nach dem First-come-first-serve-Prinzip selbst platziert. Demnächst wird es von der Promenade in die Location eine Abgrenzung mit Pflanzen oder Zaun geben. So hofft auch Molcho, seine Gäste möglichst unmissverständlich an die geltenden Regeln zu gewöhnen.

„Zum Glück haben wir auch im NENI am Naschmarkt einen großen Schanigarten und einen sehr klugen Weg gefunden, die Tische umzustellen.“ Draußen kann man auf viele Zweier- und einige Vierertische in vorgeschriebenem Abstand ausweichen. Drinnen hingegen kann der Mindestabstand aufgrund vieler Rücken an Rücken stehender Tische nicht ganz so einfach gewährleistet werden; für den nötigen Schutz sorgt hier Plexiglas.

Spannend wird an beiden Standorten der Einsatz einer App namens getsby, mit der User die Speisekarte lesen, bestellen und bezahlen können, danach automatisch einen QR-Code oder eine Nummer erhalten und sich ihr Essen an der Theke selbst abholen: „Das bedeutet nicht, dass wir komplett digitalisieren – es ist ein Zusatz. Wir werden weiterhin Service haben, aber vielleicht auch spezielle Bereiche, wo nur App-User abgefertigt werden“, so Molcho. Ob sich dieser Schritt auf Dauer durchsetzt, werden die Reaktionen seiner Gäste mitbestimmen.

Überhaupt liegt Molcho viel am Feedback seiner Kunden. Deshalb werden NENI-Servicekräfte vor allem zu Beginn des Reopenings an jeden Tisch kommen und via simpler Multiple-Choice- Feedback-App um persönliche Bewertungen bitten. Im Gegenzug gibt es einen gratis Cheesecake. Außerdem bekommt jeder Gast nach seinem Besuch einen Gruß aus der Küche mit auf den Weg – einen kleinen NENI Hummusbecher mit „We missed you“-Etikett.

Auf die Frage, ob die Gastronomie von der aktuellen Situation und einhergehenden Maßnahmen für immer verändert werden könnte, zeigt sich Molcho zuversichtlich: „Die Leute werden immer gut essen gehen und sich in sozialen Bereichen bewegen wollen, um sich mit anderen zu treffen, sich zu unterhalten und gemeinsame Erlebnisse zu haben. Ich denke nicht, dass sich die Gastronomie grundlegend verändern wird.“

[aend]: neuer Samstag im Sternerestaurant

Das gerade zwei Jahre alt gewordene [aend] könnte der beste Beweis dafür sein, dass gehobene Gastronomie auch oder gerade in Krisenzeiten weiterhin eine wichtige Rolle in der Freizeitgestaltung der Wiener spielen wird. Die moderne Fine-Dining-Experience, bewusst nicht in einer gehobenen Gegend stattfindend, umfasst ein Mittagsangebot oder ein Abendmenü mit 14 Gängen und optionaler Weinbegleitung. Hochpreisig, aber nicht unvernünftig.

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Nur acht Gäste weniger als sonst finden nun im [aend] Platz

„Für uns war klar, dass wir unserem Konzept treu bleiben und uns nicht etwa mit einem Brunch am Wochenende verändern wollen“, berichtet [aend]-Gastgeber und Sommelier Stephan Martin. Erste Gäste haben sich schon angekündigt, mit der Tendenz der Reservierungen in den ersten beiden Wochen kann man vor allem als Sternelokal zufrieden sein. „Es wird sogar interessant, es haben relativ viele Sechsergruppen aus gemeinsamen Haushalten reserviert: Die verteilen sich dann auf einen Vierertisch, gefolgt von einem Meter Abstand und einem weiteren Zweiertisch.“Sonst verändert sich für seine Gäste ingesamt eher wenig: „Unser Lokal ist grundsätzlich einfach schon recht weitläufig. Somit sind wir im Gegensatz zu anderen Konzepten, wo’s eine Spur enger ist, weniger stark eingeschränkt.“

Trotz Mindestabstand kann das [aend] 22 bis 24 Gäste empfangen; nur acht weniger als vor Corona. Den Verlust soll unter anderem der zusätzlich geöffnete Samstag wettmachen. Der wurde eigentlich meistens von Touristen wahrgenommen. Jetzt will man den österreichischen Gast, der laut Martin am Wochenende gerne mal zu Hause bleibt, zu neuen Routinen inspirieren. „Ich hoffe auch, dass Gäste aus anderen Bundesländern nach Wien kommen und im Zuge dessen auch essen gehen.“

In gewohnt gediegener Atmosphäre wird das [aend] im Service mit Masken arbeiten – drei Stunden mittags, vier Stunden abends. Bezüglich der Speisekarten bleibt man bei den etablierten Wegwerfkarten; die nehmen sich die meisten Gäste sowieso gerne mit nach Hause. „Mal sehen, ob die Leute es sich unter den aktuellen Umständen gut gehen lassen und gerne viel Geld ausgeben oder ob sie einen Aperitif trinken, das Menü durchessen, vorm Dessert schon die Rechnung verlangen und gleich wieder gehen“, überlegt Martin.

Stammgäste freuen sich jedenfalls schon, dass ihre Lieblingslokale nach acht Wochen wieder öffnen dürfen. Sorgen macht sich der Gastgeber eher um die Gelegenheitsesser, die sich ab und an ein gutes Essen gönnen: „Die werden wahrscheinlich erst wieder im Herbst kommen“, vermutet er. Wir drücken die Daumen und hoffen, dass er sich irrt. 

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