Die Low-Intervention-Weinbar im Schillerkiez: Sacrebleu!

„Pairing is caring“ lautet hier das Motto

von Jan-Peter Wulf

221125 Sacrebleu 0320 1 - wein, konzepte, gastronomie Die Low-Intervention-Weinbar im Schillerkiez: Sacrebleu!Im Schillerkiez tut sich derzeit ständig was. Dieser Neuzugang richte sich an Fans handwerklicher Weine und Bistronomie-Küche (und alle, die es noch werden wollen): Sacrebleu!

Als wir zum ersten Mal hier in der Kienitzer Straße waren, am letzten Septembertag 2022 war das, da gab es Wein, Kaffee und ein Gemälde mit einem beherzten Griff in die Unterwäsche. Jetzt gibt es mehr Wein, immer noch den beherzten Griff, keinen Kaffee mehr, die Maschine wurde abgeräumt, dafür Essen: würzigscharfes Steak Tartare mit Shimeji-Pilz auf Shisoblatt, cremige Oeuf Mayonnaise mit lauwarmer Erdapfelcreme, Nussbutter und Schnittlauch oder zartbittere Schwarzwurzeln mit japanischer Hollandaise und Matcha stehen beispielsweise auf der Karte.

Was als Weincafé leise öffnete, ist zwischenzeitlich eine Weinbistronomie geworden: Das Sacrebleu! ist das neue Kid on the Block namens Schillerkiez, dem neuen Ausgehviertel – oder sagen wir besser dem kulinarischsten Kiez – Neuköllns. Gibt es jenseits der Hermannstraße und Sonnenallee, entlang der Weserstraße, viele getränkelastige Konzepte und dazu einige  Restaurants, ist die Food-Vielfalt hier im Quartier zwischen Columbiadamm, Hermannstraße, Leinestraße und dem weiten Tempelhofer Feld deutlich höher. Mehr dazu in unserem Schillerkiez-Special: Wie aus einem No-go-Viertel das „Brooklyn Berlins“ wurde.

221125 Sacrebleu 0332 1 - wein, konzepte, gastronomie Die Low-Intervention-Weinbar im Schillerkiez: Sacrebleu!

PXL 20230216 200537357 2 - wein, konzepte, gastronomie Die Low-Intervention-Weinbar im Schillerkiez: Sacrebleu!Genau wegen jener dynamischen Entwicklung hier habe man, als man nach einer Fläche suchte, zugegriffen, als die in der Kienitzer Straße 95 bei Immoscout angeboten wurde, erklärt uns Sven Breitenbruch, der das „Sacrebleu!“ zusammen mit Lena Geßner und Philipp Mogwitz eröffnet hat. Geßner und Breitenbruch betrieben gemeinsam die Speakeasy-Bar „Truffle Pig“ und die angeschlossene Kiez- und Speisekneipe „Kauz & Kiebitz“ im Reuterkiez, den kann man mit etwas Großzügigkeit noch zur Weserstraßen-Gastromeile dazu zählen. Mittlerweile führt Geßner diese Objekte allein. Mogwitz kommt aus dem Getränkevertrieb und arbeitet für den Weinhandel Vioneers, der natürlich auch Lieferant für das „Sacrebleu!“ ist. 

„Es ist eine gute Ecke hier. Viele Leute sind bereit, hier herzukommen“, erklärt Breitenbruch. Grundsätzlich seien die Berliner aus anderen Ecken der Stadt gewillter, sich für Foodkonzepte auf den Weg zu machen als für eine Cocktailbar, hat er beobachtet. Es gebe auch Barfans, die auch aus Charlottenburg ins „Truffle Pig“ anreisen, aber das stehe in keinem Verhältnis zur Frequenz, die man mit einem Restaurant bzw. mit Essen erzeugen könne. Auch deswegen habe man einige Wochen vor dem Opening das Konzept noch mehr auf das Thema Food hin zugespitzt.

Groß ist die Küche allerdings nicht, in der Ahmed Omer Ahmed (zuvor im Tisk tätig) die Gerichte zubereitet, Grillen und Schmoren sei nicht drin, erklärt der Küchenchef. Aber das sei auch gar nicht vorgesehen: „Wir setzen auf kleinere, teils kalte und teils warme Gerichte zum Teilen, immer abgestimmt mit den Weinen. Der Küchenablauf ist eigentlich sehr entspannt“,  sagt der Koch, der im Zweisterner „Le Noir“ in Saarbrücken gelernt hat. „Pairing is caring“ lautet die Formel hier: Gastgeber Alexandre Fleck, der früher im Sportartikelbusiness tätig war, dann ins Berliner Sternerestaurant „Cordo“ kam und als Sommelier und Weinimporteur sein vinologisches Wissen verfeinert hat, schlägt den Gästen Wein- und Speisekombinationen vor, so kann sich jede*r sein persönliches Menü zusammenstellen.

PXL 20230216 202243888 2 1 - wein, konzepte, gastronomie Die Low-Intervention-Weinbar im Schillerkiez: Sacrebleu!PXL 20230216 205019106 2 - wein, konzepte, gastronomie Die Low-Intervention-Weinbar im Schillerkiez: Sacrebleu!Im Idealfall begeben sie sich auf eine kleine kulinarische Reise und lernen en passant auch verschiedene Weine kennen. Bei denen lautet das Motto „low intervention“: möglichst naturbelassen, aber bitte undogmatisch. Auf die Karte kommen Weine von handwerklich arbeitenden, inhabergeführten Gütern, die ohne Chemie und künstliche Zusätze arbeiten. Entscheidet ein Winzer, Schwefel hinzuzufügen, um dem Wein Stabilität zu geben, ist das kein K.o.-Kriterium. Mit dem Modebegriff Naturwein könne er wenig anfangen, so Fleck.

Das erinnert uns ein wenig an die ewige Diskussion um Craft Beer: Wo fängt es an, wo hört es auf? Wie muss ein Craft Beer schmecken, damit es eines ist? Handwerklich ist es dann, wenn es mit Sorgfalt und in einer kleinen Brauerei gebraut wurde, Punkt. Und ganz ähnlich pragmatisch geht man es auch hier an: weißer Rioja, ungefilterter Riesling aus der Pfalz, funky stuff aus Georgien und natürlich eine ganze Menge Franzosen finden sich auf der Karte. Das Preisband reicht von 7,5 bis 16 Euro für das 0,1l-Glas. Im Vergleich zum  auf die Flasche gezogenen Massen-Grauburgunder ein zweifellos höherer Preis.

Aber auch hier bietet sich die Analogie zum handwerklich gebrauten Bier an: Es kostet einfach wesentlich mehr, so einen Wein herzustellen. „Die kommen von Kleinstbetrieben. Wir zahlen dafür einen entsprechenden Preis, den wir weitergeben müssen. Es ist alles transparent, man kann sich ja online anschauen, was so eine Flasche kostet“, erklärt Sven Breitenbruch. Ähnlich verhalte es sich bei den Speisen, auch hier wird nicht von irgendwo gesourct: „Wir kaufen unseren Landwirten hochwertige Lebensmittel ab, die sie im Handel gar nicht loskriegen.“ Das Resultat auf dem Teller und im Glas lässt sich erschmecken, die Weine sind großartig, die Speisen dazu ebenso und vice versa.

Das Pairing fährt man übrigens nur unter der Woche. Samstags liegt der Fokus auf dem Flüssigen mit eigener Wein- und Drinkkarte sowie kleinem Barfood-Angebot. Es wird dann aufgelegt und es darf mit dem Glas in der Hand getanzt werden. Ein bisschen Weserstraßenflair also dann auch hier im Schillerkiez. 

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