Bars ohne Tresen: die neue Barriere­freiheit

von Jan-Peter Wulf
kueche bar - konzepte, gastronomie Bars ohne Tresen: die neue Barriere­freiheit

Sieht aus wie eine Küche, nicht wie eine Bar: Küche Bar, Berlin. Foto: Unternehmen

Wer sagt eigentlich, dass Bars immer einen Tresen haben müssen? Wer die Barriere weglässt, kreiert ein völlig neues Raumkonzept und eröffnet dem Gast sogar die Möglichkeit, sich in den Zubereitungsprozess einzubringen.

Im Souterrain eines Hauses am Tempelhofer Ufer in Berlin-Kreuzberg: Weiße Fliesen an den Wänden, ein heller alter Bauern-Küchenschrank, Bordüren, an den Wänden Gewürzregalbretter, von der Decke hängen Pfannen und Töpfe. Eine Küche?

Jein: Es ist die Küche Bar, die hier im Herbst 2017 eröffnet hat. Eine Cocktailbar, der ein zentrales, typisches Element fehlt: Der Tresen. Nach dem Motto „die beste Ort der Party ist immer die Küche“ ist der längliche Raum gestaltet wie eine Altbauküche, gemütlich, frei und offen. Statt eines Tresens arbeiten die Bartender an einem großen, von drei Seiten begehbaren Küchenblock, auf dem Flaschen, Frischezutaten und Mixzubehör stehen. Die Gäste sitzen an Tischen mit rustikalen Küchenstühlen.

Die Gastronomie, ehemals Frühstücksraum des angrenzenden Hostels, hat eine komplette Konzession als Speise- und Schankwirtschaft, zu den Drinks und Weinen reicht man wechselnde Tageseintöpfe, Schmalzstullen oder Handkäs mit Musik. Das Küchenthema greift man auch mit Cornflakes und Zwieback zum drinkbegleitenden Knabbern oder einem Cocktail mit Nutella („Nuttenfrühstück“) auf. Zukünftig will man auch Foodpairings und Kochevents machen.

Chefin dieses innovativen Raumarrangements ist Nina Zilvar. Sie hat zuvor unter anderem in der Thelonious Bar und in der Bryk Bar gearbeitet, den Traum vom eigenen Objekt träumte sie schon lange. „Ich wollte eine Bar, in der es keine Barriere zwischen Gast und Bartender gibt.“ In monatelanger Eigenarbeit wurden Wände teilentfernt, Fliesen gelegt, der Eingangsbereich ist Raucherraum mit großem communal table und fünf Meter hoher Decke, auch im Vorraum der „Küche Bar“ können Gäste Platz nehmen – insgesamt 150 Quadratmeter, gut 100 davon Gastraum, haben Nina Zilvar und ihr Team eingerichtet. „Ich kenne jetzt alle Baumärkte und Fliesencenter in der Umgebung“, erzählt die Betreiberin lachend.

Eine andere Art der Nähe

Der Name Bar leitet sich vom englischen „barrier“ ab – das trennende Möbel sorgte in den frühen USA dafür, dass Gäste nicht zur Selbstbedienung übergingen und schützte das Personal bei Handgemengen angetrunkener Gäste. In der Küche hat man mit solchen Dingen nichts zu tun, bislang ist noch keine Flasche abhanden gekommen, berichtet die Gründerin.

Vielmehr sei es ein Vorteil, dass sich zum Beispiel die Whiskys auf dem wunderschönen Vintage-Küchenschrank, sich in greifbarer Nähe der Gäste befinden: Sie schauen sich die Produkte viel genauer an. Im Gegensatz zu klassischen Bars, in denen diese Produkte hier oft meterweit entfernt im Rückbuffet stehen und Unbekanntes oft unentdeckt bleibt. Zilvar: „Unsere Gäste können schnuppern und dürfen auch mal einen Shaker in die Hand nehmen, wenn es die Situation zulässt.“

Und wie ist das Arbeiten ohne Bartresen im Allgemeinen? „Man macht definitiv mehr Schritte und geht längere Wege. Aber das war uns von Anfang an klar“, erklärt die studierte Politikwissenschaftlerin. Auch ständige Sauberkeit ist hier noch zwingender als in klassischen Bars, wo der Gast nicht immer alles sieht, was „behind bars“ passiert: „Wir müssen zügig alles wegräumen und -spülen.“ Es soll ja auch zu fortgerückter Uhrzeit nicht aussehen wie auf so mancher privaten Küchenparty.

Du bist der Bartender

Darauf muss auch das Team von Sven Riebel achten. Und zwar ganz besonders, denn das „Bonechina“ im Stadtteil Alt-Sachsenhausen, eröffnet Anfang 2017, hat nicht nur keinen Tresen, sondern auch ein für Bars sehr ungewöhnliches Servicekonzept: Selbstbedienung! Die Gäste gießen sich ihre Drinks selbst ein, dafür stehen Pre-Bottled-Mixturen wie Gimlet- und Negroni-Abwandlungen bereit, und verfeinern den Geschmack durch mit Zitronengras oder Pfirsich aromatisierte Eiswürfel.

Longdrinks mixen sie sich unter Anleitung selbst – das Tonic Water spendet der kunstvolle Porzellanelefant in der Mitte des Raumes. Nur bei komplexeren Drinks, oder wenn jemandem nicht nach Selbstbedienung ist, mixen Riebel und sein Barteam. „Man ist weniger Mixologe und viel mehr Gastgeber. Man hat viel mehr Zeit, sich um die Gäste zu kümmern, und die Gästegemeinschaft steht bei uns im Vordergrund“, so Riebel. Das Schönste für ihn sei, wenn ein Gast den anderen frage, ob er ihm noch einen Gimlet mixen dürfe.

Damit die Abläufe nicht in Unordnung und Unübersichtlichkeit enden – davon hat weder der Mitarbeiter noch der Gast noch der Betrieb etwas – bedarf es guter Organisation, Strukturierung und Positionierung, von der Platzierung der Tabletts über schnelles Abräumen bis zum freundlichen Bitten der Gäste, nach dem Mixen wieder ihren Platz einzunehmen. „Du musst dir bewusst sein, dass du hier immer auf einer Bühne stehst. Es gibt keinen Tresen, hinter dem du dich verstecken kannst.“

Für Riebel ist das „Bonechina“ aber ein Stück Selbstverwirklichung: „Ich habe in vielen Bars gearbeitet und weiß, wie ich – zurzeit zumindest – nicht arbeiten möchte. Ich will andere Wege gehen.“

Vom Tresen blieb nur ein „point of order“

Nicht nur Cocktailbars, auch Kaffeebars können derart barrierefrei gestaltet sein. Noch mal zurück nach Berlin, auf die Sonnenallee im Stadtteil Neukölln: Hier eröffnete Ende 2017 ein moderner, schick designter Coffeeshop, der ebenfalls keinen Tresen hat. Durch die große Glasfront blickt man in einen Raum, der aussieht wie eine moderne Küche – links die moderne Küchenzeile, rechts ein langer hölzerner Tisch.

Nimmt man an ihm Platz, fühlt man sich fast ein bisschen wie bei Muttern am Esstisch, denn man schaut der Servicekraft von hinten beim Zubereiten der Kaffeespezialitäten, Tees und frischen Säfte an der langen Küchenfront zu. Auch Sandwiches und Kuchen gibt es hier sowie Frühstück.

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Kleiner Tisch statt großer Tresen: Holy Coffee, Berlin

 

„Es war für unsere Mitarbeiter am Anfang ungewohnt und eine Umstellung, so offen und mit dem Rücken zum Gast zu arbeiten“, berichtet Gründer Martin Babikir, doch mittlerweile seien sie daran gewöhnt. „Und die Gäste freuen sich, sie mögen dieses Mehr an Intimität, das Gefühl des Miteinander“, erklärt er. Die Idee hat er sich in Londoner Kaffeebars abgeguckt, in häufiger auf einen Counter verzichtet wird – schon allein aus Platzgründen.

Auch im „Holy Coffee“ wollte man den vorderen Raum – im hinteren Bereich schließen sich zwei weitere Gasträume an – nicht zertrennen und optisch weiten. Also kein Tresen, beziehungsweise: Ein Rudiment dessen, denn mitten im Raum steht, mit massiven Stahlträgern oben und unten verankert, ein „point of order“. An diesem gibt der Gast seine Bestellung aufgibt, holt seine Speisen und Getränke ab und bezahlt hier auch – mindestens dreimal also gibt es Face-to-Face-Kontakt mit dem Mitarbeiter. „Wir sind glücklich mit der Raumgestaltung“, so Babikir.

Er und sein Geschäftspartner Orkan Aksu schauen sich bereits nach weiteren Flächen um – das tresenfreie Kaffeebar-Geschäft wollen sie dann im fließenden Übergang um Cocktails am Abend ergänzen.

Beitrag erschien zuerst in fizzz 3/2018.

Küche Bar
Tempelhofer Ufer 16
10963 Berlin
www.kueche-bln.com

Bonechina
Rittergasse 64
60594 Frankfurt
www.bonechinabar.com

Holy Coffee
Sonnenallee 132
12059 Berlin
www.holycoffeeberlin.de

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