Gerstners Gedanken: Ohne Software keine Hardware!

Mehr Geld, aber auch mehr soft facts brauchen die Beschäftigten in der Gastronomie

von Eva-Miriam Gerstner
sorry kein bock - personal, interviews-portraits, management, gastronomie Gerstners Gedanken: Ohne Software keine Hardware!

Foto: Eva-Miriam Gerstner

Die Berliner Hospitality-Agentin Eva Miriam Gerstner teilt ihre Gedanken mit euch: über Gastronomie und Gastfreundschaft, über Corona und wie eine neue Normalität aussehen könnte. Dieses Mal geht es um das Thema Software bzw. soft facts. Denn neben mehr Geld brauchen die Mitarbeiter*innen in der Branche auch dies. 

Szene 1

„Wann fängt die neue Kollegin an?“
„Leider gar nicht, sie hat ein besseres Angebot bekommen.“
„Hä? Warum das denn? Wir hatten uns doch auf 21 Euro die Stunde geeinigt!“
„Ja, aber es gab jemanden, der hat noch mehr bezahlt!“

Szene 2

„Hat der Kollege, der in der kommenden Woche anfängt, Gastro-Erfahrung?“
„Nein.“
„Aber der Stundenlohn für eine studentische Aushilfskraft ist einer der höchsten, den wir je bezahlt haben!“
„Ja, aber wir brauchen Leute und der Markt ist leergefegt.“
„Shit!“

So oder so ähnlich kommen Gespräche gerade zuhauf vor. Fakt ist: Es gibt nicht mehr genug Leute in der Dienstleistungsbranche. Und je knapper das Gut, desto höher die Preise. Logische Folge. Leider nimmt diese Tatsache gerade vor allem eine Branche in Beschuss, die in der Coronakrise schon genug geleistet und gelitten hat. Next Stop: Brandfläche Mitarbeiter*innenmangel.

Während die Ausgeh- und Feierlaune bei den Gästen steigt und die Nachfrage im Hospitalitybereich überbordend daherkommt, wissen die Dienstleister nicht, wie sie diese Nachfrage bedienen sollen, weil schlicht keine Bediener mehr vorhanden sind.

Und da haben wir den Salat: Die Bediener haben keine Lust mehr zu bedienen. Jetzt können wir jammern, lamentieren und nach der (ohnehin mit ihren eigenen Problemen beschäftigten) Politik schreien – oder endlich in den Beritt kommen und die seit Langem fälligen Transformationen in unserer Branche und in unseren Betrieben vornehmen.

Ja, wir brauchen höhere Gehälter. Gehälter, die im Krankheitsfall voll belastbar und voll sozialversicherungspflichtig angemeldet sind, die keine Umgehungen wie Sonntags- und Nachtzuschläge enthalten und das Trinkgeld inkludieren.

Ja, das Geld, das am Ende des Monats rauskommt, muss einen gewissen Lebensstandard finanzieren. Aber am Ende gilt immer noch: Geld ist nicht immer alles.

Dann jetzt der neue Heilsbringer: die 4-Tage-Woche. Heißt also, man (er)arbeitet an vier Tagen das, was man sonst in fünf Tagen kaum schafft. Plus Überstunden. Fürs gleiche Geld. Sorry, das war jetzt polemisch. Das soll also jetzt der Change sein, auf den wir alle gewartet haben, der Game Changer für die Hospitality? Daran glaube ich nicht. 

Bitte nicht falsch verstehen. Jeder Ansatz ist sicher ein guter Ansatz. Jeder Versuch ein Versuch für eine bessere Zukunft. Nur diese einzelnen Lösungen, aus der Not heraus geboren und mit heißer Nadel gestrickt, ohne langfristige Strategie und ohne agiles Anpassungssystem dahinter – das funktioniert meines Erachtens nach nicht. Auf jeden Fall nicht langfristig. Das sind Pflaster auf einer Wunde, die so nicht heilen kann.

Was könnte dann eine Lösung sein, die kombiniert mit den oben genannten hard facts auch langfristig erfolgversprechend sein kann? Da fällt mir folgender Vergleich ein: Schauen wir in die IT-Branche. Hier können wir uns die beste und neueste Hardware kaufen, wenn wir dazu aber nicht die passende und zugehörige Software einspielen, ist diese kaum zu benutzen. Oder es rattert und ziept an allen Ecken und Enden. Schon mal versucht, auf nem Macbook mit Outlook zu arbeiten? Halleluja. Und vor allem: Ganz ohne Software kann man die Hardware gar nicht nutzen.

Heißt also letztlich auch für uns: Ganz ohne Software ist auch die beste Hardware nutzlos, und ohne individuell angepasste und passende Software ruckelt es auch in der neuesten Hardware.

Und da wir in der Hospitality zumeist nicht auf nach oben endlosen monetären Ressourcen sitzen (und schon gar nicht in diesen Zeiten), ist hier die Kunst der strategischen Unternehmensführung gefragt: die Kunst, ein (Arbeits-)Umfeld zu schaffen, in dem die soft facts so stark gelebt werden, dass die hard facts für die Kollegen fast zur Nebensache werden. 

Okay, das ist jetzt ein bisschen Wunschdenken, aber meine Meinung ist: Wenn faire harte Fakten vertraglich festgelegt sind und Team bildende, softe Fakten unternehmensintern aktiv gelebt werden, dann sind wir auf einem sehr guten Weg in eine positive Unternehmenskultur, in der auf Augenhöhe miteinander kommuniziert und agiert wird.

Doch was sind denn solche soft facts, auf die anscheinend so viel Wert gelegt wird? Die für Viele sogar mehr Wert sind als eine reine Gehaltserhöhung? Die Generationen Y und Z machen es uns vor, denn sie haben die New-Work-Welle losgetreten. Im Überblick kann man zusammenfassen: 

1 | Spaß und Freude im Team

Klingt im ersten Moment vielleicht etwas ungewöhnlich. Wie kann man Spaß und Freude ins Team bringen?

Mit guter Laune, Lob, Respekt, Wertschätzung, privaten Anekdoten, einem interessierten Smalltalk zwischen Tür und Angel, dem richtigen Wort zur richtigen Zeit, einem ehrlichen Dankeschön, dem Vorangehen als gutes Vorbild, mit Empathie und Einfühlungsvermögen für das Team da zu sein. Dies sorgt erst einmal für gute Stimmung und positive Energie.

Aber auch eine verantwortungs- und anspruchsvolle, abwechslungsreiche Arbeit trägt zur Freude bei und macht Spaß. Jeden Tag Cola und Schnitzel an die Gäste auszugeben, tagein, tagaus immer dassselbe, das macht irgendwann keinen Spaß mehr. Neue Herausforderungen anzunehmen, zu lernen, über sich hinauszuwachsen, stolz zu sein auf das, was man als Team geschafft hat – das bringt Freude in den Berufsalltag und trägt zur Mitarbeiter*innenbindung bei. 

Diese Bindung des Teams an den Betrieb fördert die Harmonie und die Kollegialität im Team (auch wichtige Punkte für viele) und dieser gute Spirit trägt dazu bei, dass sich die Mitarbeiter*innen wohl fühlen.

Das Vertrauen wächst und somit auch wiederum die positive Unternehmenskultur. Spaß – Freude – gute Stimmung – positive Energie – Abwechslung – Stolz – Harmonie – Kollegialität – Vertrauen. Hört sich doch echt gut an!

2 | Beruflicher Erfolg für jede*n Einzelne*n

Erfolg im Job wird heute immer weniger definiert mit Status, Gehalt und Titeln. Es gibt einen neuen Karrierebegriff! Der lautet: Erwerb von mehr Wissen und einer höheren Qualifikation.

Die Möglichkeit der beruflichen Weiterentwicklung wird heute gelebt durch die Erweiterung der eigenen fachlichen Expertise, durch Möglichkeiten, an Schulungen teilzunehmen und Weiterbildungsprojekte zu besuchen. Der klassische hierarchische Aufstieg ist nicht mehr gefragt.

Heißt für uns: Fördert und fordert eure Mitarbeiter*innen. Gebt jeder und jedem im Rahmen ihrer/seiner Möglichkeiten die Chance zu wachsen und aktiv zum Unternehmenserfolg beizutragen.  Im Rahmen dieser Selbstverwirklichungsmöglichkeiten identifiziert man sich quasi automatisch mit den vorgelebten Unternehmenswerten, da man so ja auch die Möglichkeit bekommt, diese mitzugestalten und aktiv selbst vorzuleben.

3 | Neue Arbeitswelten für alle

Gleitzeitmodelle, flexible Arbeitszeiten, Möglichkeiten zum Home Office im Bereich z.B. Bestellungen, digitale Inventur, Dienstplangestaltung, Menüplanungen, Events, das Mitspracherecht bei Schichteneinteilungen – all das sind Möglichkeiten, einen Transformationsprozess herbeizuführen, der in unserer Branche wirklich neu ist. 

Und da privates Glück schon immer mehr zählt als beruflicher Erfolg, ist die Vereinbarkeit vom Beruf mit der Familie und Freunden ein ganz wichtiger Bestandteil dieser neuen Arbeitswelt. Eine ausgewogene Work-Life-Balance macht hier mehr wett als jeder Euro. 

Wer also tatsächlich Fakten schaffen möchte im Rahmen von „game changing“-Maßnahmen, der kommt an den Wünschen und Vorstellungen der Akteur*innen in diesen neuen Arbeitswelten nicht vorbei.

Die Hospitality und die gesamte Dienstleistungsbranche hat sich lange weggeduckt und hat die Zeichen ignoriert. Jetzt ist es Zeit, endlich über den Tellerrand zu schauen und dem neuen Zeitalter Einzug in unsere Branche zu gewähren. 

Es ist eh schon lange überfällig. Gehen wir es an!

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