Happa Berlin: „Wir stellen unsere eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund“

Im Gespräch mit Sophia Hoffmann und Nina Petersen über ihr ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Restaurant

von Jan-Peter Wulf
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Nina Petersen und Sophia Hoffmann haben Ende 2022 das Restaurant „Happa“ eröffnet. Fotos: Zoe Spawton

Wie baut man ein gastronomisches Konzept so auf, dass es nachhaltig in allen drei Dimensionen ist – ökologisch (verantwortungsvoll), ökonomisch (tragfähig) und sozial (inklusiv)? Die Köchin Sophia Hoffmann und die Gastgeberin Nina Petersen haben sich darüber viele Gedanken gemacht, bevor sie Ende 2022 das „Happa“ in Berlin-Kreuzberg eröffnet haben.

Nach rund einem halben Jahr zeichnet sich ab: Das Konzept ist auf einem guten Weg. Und könnte zum Vorbild für eine „neue“ Gastronomie werden – in vielerlei Hinsicht ressourcenbewusst, Arbeiten und Leben wirklich balanciert gestaltend und last but not least genussvoll, oder eben: Happa.

Erst haben wir lecker Mittag gegessen (dazu eine 1A Eighties-Playlist) und uns dann mit den Betreiberinnen unterhalten.

Das Happa ist jetzt seit fast einem halben Jahr offen …

Nina: … und wir haben schon viele Stammkund*innen. Leute, die ihren Lieblingsplatz im Restaurant haben, oder kleine Grüppchen, die regelmäßig zu uns kommen. Das ist sehr schön.

Sophia: Und auch, dass wir ein total unterschiedliches Publikum haben. Natürlich kommen am Mittag viele, die hier arbeiten. Aber zum Beispiel nach dem RBB-Bericht kürzlich, der sehr positiv ausfiel, besuchte uns sogar ein Rentnerpärchen aus Reinickendorf.

Nina: Die beiden wollten das mit dem Veganen auch mal probieren und kamen sogar zwei Tage hintereinander, nachdem wir ihnen erklärt haben, dass wir eine wechselnde Karte haben. Entzückend. Oder die Kegelgruppe aus Alt-Treptow, die uns auch im Fernsehen gesehen hat. Also Leute, nicht zu unserer klassischen Zielgruppe zählen.

Ihr habt also eine Zielgruppe?

Sophia: Im Businessplan haben wir natürlich eine ermittelt.

Nina: Der Businessplan hat 52 Seiten, er ist fast ein Buch. Wir hatten ja sehr viel Vorlauf (lacht). 2017 hatten wir die Idee. Dann bin ich 2018 schwanger geworden und Sophia hatte ein Buchprojekt …

Sophia: … und es sind dann gleich zwei Bücher geworden.

Nina: Im März 2020 wollten wir dann weitermachen. Was dann kam, weißt du ja.

Doch ihr habt trotz Corona und Co. an der Idee festgehalten.

Sophia: Wir haben die Moral hochgehalten! Für uns beide ist es ja genau das, was wir machen wollten. Deshalb haben wir immer weiter daran gearbeitet. Ich habe in der Coronazeit bei Isla Coffee (ein preisgekröntes Zero-Waste-Konzept in Neukölln, Anm. d. Red.) mitgearbeitet und habe inhaltlich eine Menge mitgenommen: Wie funktioniert ganzheitliche Verarbeitung wirklich? Es war auch spannend, die Perspektive der Arbeitnehmerin zu haben. Und zu lernen, wie kann man flexibel sein, wie geht man mit Krisen um? So etwas gehört ja heute quasi schon in einen Businessplan mit hinein.

Nina: Ein Businessplan gießt die Idee in eine Form, die sie greifbar macht.

Sophia: 2021 haben wir mit ein Business-Coaching bei Sonja Flöckemeier begonnen (die viele weitere Gastro-Startups in Berlin und außerhalb begleitet). Das war Gold wert. Wir haben einen Finanzplan gemacht und unser Konzept hat viel klarere Formen angenommen – nur Mittagstisch, Familienvereinbarkeit. Im Nachhinein sind wir froh über die zusätzliche Zeit, weil wir uns viel intensiver mit unserem Konzept auseinandersetzen konnten.

Ein klares Konzept ist heute, beobachte ich, wichtiger denn je.   

Sophia: Ich hatte ein Gespräch mit einer Person, die meinte, es sei alles so komplex bei uns, weil wir so viele Themen haben. Ich glaube aber, es gibt viele Leute, die nehmen das alles gar nicht so wahr. Die kommen zu uns, weil es einfach leckeres Mittagessen gibt.

Was letztlich ausschlaggebend ist.

Nina: Man sollte die Leute auch nicht unterschätzen. Nur weil etwas scheinbar komplex ist, wird es ja nicht per se abgelehnt. Ich hatte ein Gespräch mit einem Businesscoach: Mittagstisch und Dinnerevents, das seien so unterschiedliche Dinge. Er finde es schwierig, sie unter einem Label zu führen. Aber es funktioniert total gut. Auch abends haben wir eine ziemlich breit aufgestellte Zielgruppe, da kommen genauso Senioren wie die hippe Kreuzbergerin oder vegane Tourist*innen. Und wir sind immer ausverkauft.

Sophia: Das mit der Verknappung funktioniert. Wir bieten nur 26 Plätze an und dadurch, dass wir die Events nur ein- bis zweimal pro Woche machen bzw. sechs Events im Monat, können wir die Tickets mit zwei Monaten Vorlauf verkaufen. Sie sind immer nach ein paar Tagen weg. Absagen wegen Krankheit füllen wir per Warteliste auf.

Nina: Es ist nachhaltig, sowohl finanziell als auch von der Küchenseite her, gibt uns Planungssicherheit und dadurch, dass es ein Event ist, bekommt es einen besonderen, feierlichen Charakter. Viele verschenken die Tickets ja auch weiter.

Sophia: Und Leute, die ein Berlinwochenende planen, buchen sich ein Dinner dazu, das haben wir auch öfter.

Wie einen Konzertbesuch. Externe Events, sprich Caterings, macht ihr aber bewusst nicht. Warum nicht?

Sophia: Ich habe durch meine Mitarbeit in kleineren Unternehmen die Erfahrung gemacht, dass oft versucht wird, Catering on top mitzumachen, sich dann aber verhaspelt. In meinen Augen ist es ein eigenes Business und der Preiskampf enorm. Wir wollen unseren Ort bespielen, die Leute sollen zu uns kommen. Ich bin jahrelang viel herum gefahren, habe hier und da gekocht. Jetzt möchte ich einfach in meiner eigenen Küche kochen.

Nina: Geht mir genauso. Ich habe vorher bei einem Konzertveranstalter gearbeitet und war acht Jahre auf Tour. Währenddessen habe ich sehr viele unterschiedliche Caterings und Qualitäten erlebt. Und vom Reisen habe ich genug (lacht). Für Catering brenne ich einfach nicht. Es gibt in Berlin genug Anbieter.

Sophia: Man kann das „Happa“ aber privat mieten, ab 16 Personen.

HAPPA 230331 IMG 5792 © Zoe Spawton - interviews-portraits, konzepte, gruendung, gastronomie, food-nomyblog Happa Berlin: „Wir stellen unsere eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund“

12 Euro kostet ein Hauptgericht am Mittag. Ihr bietet Speisen schon für 6 Euro an. Sozialverträgliche Preise sind euch also wichtig.

Nina: Wir haben uns viele Gedanken über die Preisstruktur gemacht. Sie ist bewusst so kalkuliert, weil wir uns in einem Kiez mit Einkommensstruktur im mittleren bis unteren Segment befinden und wir auch ein Kiezort sein wollen. Covid hat das schon noch mal verändert. Vor der Eröffnung mussten wir die Planzahlen der Realität angleichen, wirtschaftlich ist ja viel passiert. Aber unser Beilagensalat kostet drei Euro, mit Suppe und Salat bekommst du bei uns ein gutes Bio-Mittagessen für unter zehn.

Wie geht das? Zumal vor dem Hintergrund der gestiegenen Beschaffungskosten? Die ganze Branche spricht von Preiserhöhungen, die zwangsläufig – und davon hört man dann weniger – dazu führen, dass bestimmte Zielgruppen nicht mehr erreicht werden. Die ihr ja, wie gerade erklärt, erreichen wollt.

Sophia: Meine Spezialität ist ein niedriger Wareneinsatz. Wir beziehen einen Großteil des Gemüses über Querfeld, verwenden also gerettete Biolebensmittel, was einen großen Unterschied macht. Wenn ich Tofu oder Seitan bestelle, dann bei Veggie Specials (ein Onlineshop, der gerettete Lebensmittel vertreibt, Anm. d. Red.). Hier gibt es Ware mit fehlerhaften Packungen oder kurzem MHD. Das macht den Einkauf deutlich günstiger.

Lebensmittel in Bio-Qualität günstiger einkaufen und dadurch retten – klingt ideal. Warum machen das noch so wenige Betriebe?

Nina: Der Großteil der Gastronomie ist immer noch „Prime-Cut-Welt“. Es muss alles optisch gleich und top aussehen. Wir setzen die „culinary misfits“ teilweise absichtlich in Szene, so wie sie sind.

Sophia: Wir hatten kürzlich Shiitake-Pilze mit Verformungen, die hatte ich so noch nie gesehen. Paprika, die grün und rot gleichzeitig sind – die sehen doch total schön aus. Und wenn wir die Ware verkochen, dann sieht man es sowieso nicht.

Kommen die Impulse auch von den Lieferant*innen – ich habe hier noch X und Y, habt ihr Interesse?

Sophia: Die Plattform 2020 schickt einmal pro Woche eine Leftover-Liste raus. Neulich haben wir ihm zum Beispiel Fenchel und Paprika abgenommen und eine Suppe daraus gemacht. Solche Ware ist dann zwischen 25 und 60 Prozent reduziert. Es ist ein bisschen wie zu Hause, wenn man mit dem kocht, was noch im Kühlschrank ist, nur ein bisschen größer gedacht. Ich liebe es, intuitiv zu kochen, weil man sehr schnell reagieren kann. Das ist am Anfang anstrengender, weil man kurzfristiger planen muss, aber es spielt sich ein. Eine ganzheitliche Verwertung bedeutet zwar etwas mehr Personalaufwand, aber wir machen aus wenig sehr viel. Was übrig bleibt, wird schnell fermentiert, gepickelt oder gedörrt. Am Ende bleibt bei uns praktisch nichts übrig.

Nina: Dank der wechselnden Wochenkarte sind wir wesentlich flexibler. Die Woche starten wir mit nur einem Hauptgericht, weil der Montag ruhiger ist. Dienstags kommt dann das zweite dazu.

Sophia: Wir planen eine Woche durch und haben Nachrücker-Gerichte. Ist eine Suppe schon nach einem Tag verkauft, kommt die nächste, ansonsten verkaufen wir die Suppe über zwei Tage.

Ich habe mich im Vorfeld gefragt, ob man das mit dem intuitiven Kochen, das du in Die Kleine Hoffmann ja für Privatpersonen sehr schön zeigst, im Restaurant auch so machen kann. Du sagst also ja.

Sophia: Total. Und es macht uns im Küchenteam enormen Spaß, weil wir sehr kreativ sein können – anders als bei einer festen Karte. Brot, das übrig bleibt, wird getrocknet und für die Schokoladentarte mit Semmelbröselboden oder für Brotlinge verwendet. Reste von den geraspelten Gurken nehmen wir für Limonade oder machen Gurkenpulver im Dörrautomat draus, ein super umami Topping. Coleslaw wird Sauerkraut. Schnelle Schritte, die wir in einer Viertelstunde erledigen.

Also man braucht einen Dörrautomaten.

Sophia: Sehr hilfreich! Und ein guter Mixer, eine Tiefkühltruhe sowie bisschen Lagerplatz. Wir haben zum Glück einen Keller, der genauso groß ist wie der Gastraum.

Nina: Der Ort ist echt perfekt. Passt gut zu unserem Konzept und unseren Bedürfnissen, auch unseren Wegen. Und wir passen gut in den Kiez.

Ich erinnere mich, dass ihr eigentlich nicht hier in der Gegend gesucht habt?

Nina: Stimmt. Es ist ja „mein“ Kiez, ich wohne seit 17 Jahren hier. Aber dann wurde uns dieser Ort angeboten. Wir haben kurz gezögert – und uns dann dafür entschieden.

Wenn ich mir die Landschaft der Neueröffnungen so anschaue, dann sehe ich heute – bis hin zum Steakhaus – überall pflanzenbasierte Alternativen auf den Karten. Vegan wird Standard, oder?

Sophia: Ich sehe das auch beim Deutschen Gastro-Gründerpreis (dort ist sie Jurorin, Anm. d. Red.). Ins Finale schaffen oft Konzepte, die mit veganem Angebot überzeugen können.

Nina: Es gibt eine Lieferstudie, die ermittelt hat, dass vegane Bestellungen in der Coronazeit deutlich zugenommen haben. Es ist ein wachsender Markt, alle beschäftigen sich damit. Weil es ein zukunftszugewandtes Thema ist.

Sophia: Es ist für uns immer eine Gratwanderung. Natürlich ist es gut, wenn die vegane Community weiß, es gibt jetzt unseren Ort. Gleichzeitig schreibe ich es vielleicht nicht zehnmal vorne an den Laden dran. Plant-based, organic – ja, aber nicht vegan.

Nina: Du musst nicht vegan sein, um unser Essen zu mögen. Steht auch so in unserem Businessplan (lacht).

Ich möchte gerne noch über soziale Nachhaltigkeit mit euch sprechen. Ihr habt dazu ja einen sehr konkreten Ansatz. Lasst mich raten: Es gibt es dazu auch ein Kapitel im Businessplan?

Nina: Tatsächlich.

Sophia: Wir sind schon ziemliche Streber (lacht).

Nina: Wir haben uns damit aber wirklich sehr bewusst auseinander gesetzt. Auch aus der eigenen Historie heraus. Sowohl Sophia als auch ich hatten schon mal einen Burnout. Die Gastronomie ist ein klassisches Feld dafür, zumindest war sie das früher. Deswegen haben wir uns auch für eine Kombination aus Mittagstisch und Dinner-Events entschieden. Wir stellen unsere eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund: Wir haben erst geguckt, welches Konzept können wir umsetzen – und dann, wie es wirtschaftlich funktioniert. Nicht umgekehrt. Wir haben jetzt einen nine-to-five-Job von Montag bis Donnerstag. Freitags das Dinnerevent bis 23 Uhr, Küche bis 22 Uhr. Es ist uns total wichtig, dass wir und dass unsere Mitarbeiterinnen (zurzeit nur Frauen, ist aber kein Einstellungskriterium, es kamen einfach mehr und bessere Bewerbungen von Frauen, Anm. d. Red.) ein Privatleben haben. Für mich kommt auch die Vereinbarkeit mit der Familie dazu. Ich möchte meine Tochter von der Kita abholen können und am Wochenende Zeit für sie haben.

Sophia: Wir haben eine radikale Selbstfürsorge mit eingebaut, weil wir es nicht mehr anders können und wollen. Jetzt in der Gründungsphase arbeiten wir schon mehr als 40 Stunden, aber wir passen sehr aufeinander auf. Und nehmen nicht jede Buchungsanfrage an, weil wir das nicht alles stemmen könnten.

Nina: Nur dann ist es nachhaltig. Keine von uns beiden hat was davon, wenn die andere wegen Überarbeitung ausfällt.

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Was sicher auch für das Team gilt?

Sophia: Wir bieten mehr Urlaubstage als gesetzlich vorgeschrieben, sind bei der Bezahlung als Startup begrenzt, aber über dem Mindestlohn, und versuchen insgesamt einen Arbeitsplatz zu bieten, der Spaß macht. So etwas wie Hierarchien haben wir eigentlich nicht.

Nina: Und das zahlt sich aus. Fachkräftemangel ist gerade überall in der Gastronomie, die Leute haben sich bei uns proaktiv beworben, teilweise hatten sie der Gastronomie sogar schon den Rücken gekehrt. Wir essen alle gemeinsam und haben regelmäßige Team-Meetings, in denen besprochen wird, was läuft gut und was nicht. Und natürlich ist es auch mal stressig, gerade im Mittagspeak, da ist nicht immer nur Friede, Freude, Eierkuchen. Bei uns wird aber nicht gebrüllt.

Sophia: Es gibt Momente, in denen du schnell eine Anweisung geben musst. Und wenn du kurz danach das Gefühl hast, zu laut geworden zu sein, dann sagst du halt Entschuldigung! Einen guten Umgangston zu haben, ist uns sehr wichtig.

Nina: Und schon allein weil wir räumlich eng beieinander arbeiten, Küche und Service direkt nebeneinander, bekommen wir viel voneinander mit und haben uns gegenseitig im Blick.

Sophia: Es ist einfacher, in einem kleinen Konzept wie unserem „best practice“ auszuprobieren und Strukturen anders zu denken. Ein Experimentierfeld.

Würdet ihr eure Arbeitsweise und -kultur interessierten Kolleg*innen auch zeigen? 

Sophia: Das würden wir definitiv tun. Wir müssen es aktuell noch ein bisschen mit Leben füllen und in die volle Wirtschaftlichkeit kommen. Aber etwas weitergeben zu können, ist ein Wunsch von uns.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Mehr Infos:
www.happa-berlin.com

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