„Eine sinnmaximierende Organisation“ – Gespräch mit Erik Spickschen über New Work im macha-macha, Berlin

von Nicole Klauß
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Das Team des „macha-macha“: Gründer und Inhaber Erik Spickschen, Tee-Spezialist Morten Menge, Japan-Expertin und Fotografin Jennifer Swann, Pâtissier Trong Nghia Vu, Chefköchin Makiko Yoshida, Gastro-Profi Tran Mai Huy Thong und Store-Managerin Yumi Tanabe. Foto: beigestellt

2018 haben Erik Spickschen und sein Team ihr 2014 eröffnetes „macha-macha“ unter die Lupe genommen und neu aufgestellt. Ergebnis nicht nur ein neues Interiordesign – weg vom hellen Ambiente, hin zu Bänken und Tischen – und ein um chinesische Tees erweitertes Programm, sondern vor allem eine neue Unternehmensstruktur. 

Wie stellt man sich das vor, wenn im Teegeschäft gebrainstormt wird? Erst mal ein Kännchen Tee, acht Köpfe, acht mal x Ideen?Tee ist auf jeden Fall schon mal eine gute Begleitung bei so einem Projekt, auf Wunsch anregend (oder eben auch beruhigend) und gesünder als Kaffee, sagt man. Man muss sich dann eben nur entscheiden, welcher Tee es denn sein soll. Viele Kännchen später, hat sich das „macha-macha“-Team also neu aufgestellt: Jede und jeder hat fortan seinen Aufgabenbereich, in dem sie oder er eigenverantwortlich arbeitet. Regelmäßige gemeinsame Termine bringen alle auf den aktuellen Stand. Die klassische Top-down-Hierarchie wurde eingeebnet: New Work, konkret angewendet.  

Inspiriert wurde Gründer Erik Spickschen von einem Buch des belgischen Wirtschaftsphilosophen Frédéric Laloux: Dieser war lange Unternehmensberater und hat festgestellt, dass viele Menschen unzufrieden mit ihrer Arbeit in Unternehmen sind, in denen klassische Organisationsstrukturen herrschen. Sein Buch Reinventing Organizations will einen Ausweg aufzeigen. Laloux schreibt von „evolutionären Organisationen“ und davon, dass sich viele Menschen wünschen, auch unter den Kollegen eine Fähigkeit zum Zuhören und eine Fürsorge zu finden, wie sie sich diese von ihrem Partner und ihren Kindern wünschen. 

„Arbeit wird zum Kontext in dem sich die Kollegen gegenseitig helfen, ihre innere Größe zu offenbaren und ihre Berufung zum Ausdruck zu bringen. Viel von dem, was Arbeitsplätze heute unangenehm und ineffizient macht, verschwindet einfach“, schreibt Laloux, und stellt fest: „Hierarchie kann mit Komplexität nicht umgehen.“ Als Beispiele nennt er die Weltwirtschaft, einen Vogelschwarm, das Ökosystem oder das menschliche Gehirn. „Alle komplexen Systeme basieren also auf Selbstführung“, ist seine Schlussfolgerung. 

Von „predict and control“ zu „sense and respond“

Selbstführung: Das klingt in Zeiten von Optimierung und Gewinnmaximierung, und vor dem Hintergrund von diesem unendlich erscheinenden Strom von Mails, Präsentationen, Terminen und Meetings wie das berühmte kleine gallische Dorf, das nicht aufhört, den Eindringlingen Widerstand zu leisten.

Möglicherweise ist das auch ein bisschen so: Gerade in der Gastronomie hängt der Profit wie ein Damoklesschwert über den Betrieben – bleiben die Gäste aus, ist oft wenig Puffer vorhanden, um Durststrecken zu überstehen. Gespart wird dann zum Beispiel an den Mitarbeitern. Nicht nur an deren Gehalt, sondern auch an der Zuwendung, am Austausch untereinander. Einfach, weil keiner Zeit dafür hat.

Laloux rät: Weg vom „predict and control“, hin zum „sense and respond“. Er rät Führungskräften, „ein Team von Enthusiasten zusammenzustellen und ihnen ein Mandat zu geben, Neues anzufangen, auszuprobieren und zu experimentieren.“ Genau das passiert nun im „neuen“, neu strukturierten „macha-macha“, wie uns Spickschen im Gespräch erläutert. 

Erik, wer oder was hat euch bewegt, zu dieser, immer noch ungewöhnlichen Organisation des „macha-macha“?

Bereits als ich Mitte der Neunziger Praktika in großen Unternehmen machte, hatte ich den Eindruck, dass die klassische Arbeitsorganisation noch viel Raum für mehr Freude, Motivation und Sinn bietet. Vor ein paar Jahren fiel mir dann das Buch „Reinventing Organizations“  von Frederic Laloux in die Hände und was ich dort las, sprach mir aus dem Herzen. Als sich dann das „macha-macha“-Team gefunden hatte, waren wir schnell alle der Meinung, dass wir versuchen wollen, eine solche neue Art von Organisation, von Zusammenarbeit zu erschaffen. Insgesamt verfolgen wir das Ziel, eine sinn-maximierende Organisation zu gestalten, die im Gegensatz zu klassisch den profit-maximierten Unternehmen weniger Kompromisse machen muss.

Wie baut man sein Management von „klassisch“ auf „kollektiv“ um, wie lange dauert das?

Wir haben den Vorteil, dass wir nicht umbauen müssen, sondern sozusagen auf der grünen Wiese starten können. Allerdings stimmt das nicht ganz, da wir natürlich alle die klassischen Ideen von Organisation und Management in unseren Köpfen tragen – vor allem die Älteren unter uns (lacht). Mit dem Begriff „kollektiv” bin ich auch ein bisschen vorsichtig, da er oft mit konsensualen Entscheidungsprozessen verbunden wird – das ist in unserem Zielkonstrukt nicht der Fall.

Wie sehen die vertraglichen Regelungen aus?  Gibt es überhaupt Verträge?

Das Wichtigste ist Vertrauen – gegenseitiges Vertrauen. Natürlich haben wir auch Verträge, die aber so minimal wie möglich: unsere Arbeitsverträge sind zum Beispiel nur eine knappe DIN-A4-Seite lang. Entscheidungen erfolgen nach diesem Prinzip: Der Themenverantwortliche tauscht sich mit den von der Entscheidung betroffenen und mit Kollegen, die zu dem entsprechenden Thema Kompetenzen bzw. Erfahrungen haben, aus, entscheidet danach aber eigenständig. Dadurch kommt es nicht zu sehr lange dauernden Entscheidungs- und Abstimmungsrunden.

Studien der „Gallup Organization“ zeigen mit relativ großer Konstanz über die vergangenen Jahre, dass nur zwischen 13 und 17 Prozent der Mitarbeiter in Unternehmen ein hohes Engagement aufweisen. Und: Engagierte Mitarbeiter verlassen – unabhängig von der Branche, in der sie tätig sind – Unternehmen mit starren Organisationen. Ihrem Wunsch, sich einbringen zu können, wird nicht oder zu wenig entsprochen. 

Und tatsächlich fühlt sich auch die viel besprochene und so sehr gewünschte Agilität in alten Unternehmensstrukturen nicht besonders wohl. Alle wollen agil (flexibel, proaktiv, antizipativ und initiativ, Anm. d. Red.) sein. Die wenigsten Unternehmen mit klassischen Management schaffen diesen Dreh ohne Probleme. Einfach deshalb, weil sie sich nicht losmachen können vom alten und gewohnten Denken, Entscheiden und miteinander Arbeiten.

Wie sieht das aus, wenn ihr gemeinsam etwas entscheidet?

Nehmen wir das Pricing der chinesischen Tees. Morten ist unser Verantwortlicher dafür. Er hat einen Vorschlag gemacht, sich dann mit Yumi, die das Pricing der Japanischen Tees verantwortet, und Huy Thong, der der erfahrenste Gastronom von uns allen ist, ausgetauscht und dann entschieden. Laloux meint, dass der Demotivationseffekt in dem Moment aufgehoben wird, wenn die zu erledigenden Aufgaben ganz klar definiert sind und Menschen sich ganzheitlich einbringen können.

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Foto: macha-macha

Überdetaillierte Zielvereinbarungsgespräche und die bei Führungskräften und Mitarbeitern gefürchteten Diskussionen über Boni und variable Vergütungen werden überflüssig. Mitarbeiterbefragungen gehören nach Ansicht von Laloux auf den Müllplatz der Organisationsgeschichte: Wer nicht spürt, wie es den Mitarbeitern geht, werde dies auch nicht durch eine nach wissenschaftlich Kriterien aufgebaute Befragung herausfinden.

Manchmal läuft es ja auch nicht so, wie sich alle das vorstellen. Wie ist das im Kollektiv, wenn schwierige Entscheidungen anstehen, wenn der Umsatz nicht stimmt, wenn Geld in der Kasse fehlt? Wie verhindert man dann das, was in den meisten Unternehmen fast tägliche ist – nachhaltige Konflikte, Lagerbildung, innere Kündigung?

Noch mal, wir sind kein Kollektiv. Wenn es schwierig wird, setzen wir uns alle zusammen und besprechen das Problem und Lösungsmöglichkeiten. In einer Atmosphäre gegenseitigen Wohlwollens und Verständnisses – für einander und für das „macha-macha“ – gelingt es bisher immer, Lösungen zu finden, bei denen einzelne auch persönlich unangenehme Veränderungen akzeptieren.

Was sind die wirtschaftlichen, motivatorischen Vorteile nach außen? Hat der Gast auch was davon?

Wir alle verzichten in der Startphase auf Geld durch niedrigere Gehälter, niedrigere Miete, zinsfreie Anlaufinvestitionen, Überstunden etc. Wir sind alle hochmotiviert, das „macha-macha“ zum Erfolg zu führen, wir sind flexibel und wir fühlen uns alle verantwortlich für den Erfolg. Der Gast erlebt eine Atmosphäre, die unsere Leidenschaft für unsere Tees und Speisen widerspiegelt und eben nicht einen profitmaximierenden Ansatz mit allen seinen Nachteilen für die Qualität der Produkte und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter.

Und was ist mit Mitarbeitern, die zum Beispiel einfach nur einen Job brauchen und gar kein Interesse an Mitbestimmung haben, falls es das so gibt?

So eine Mitarbeiterin haben wir im Service – sie ist durch die Liebe für den Tee und genussreiches und gesundes Essen und unsere besondere Betriebsatmosphäre besonders motiviert.

Wie transparent ist der Lohn des Einzelnen? Wird das gemeinsam besprochen? Und wird auch mal nach oben oder unten verändert, wenn das Jahr vorbei ist?

Alle wissen, was jeder verdient. Das Ziel ist, jeden gemäß seines Beitrags zum Erfolg von „macha-macha“ zu entlohnen, und dabei zählt natürlich nicht nur Output, sondern auch Input. Wir haben am Anfang Hypothesen gebildet, die auf Kompetenzen und Erfahrungsschatz jedes Einzelnen basierten. Nach sechs Monaten wollen wir uns wieder zusammensetzen und besprechen, wie die Gehälter angepasst werden sollten. 

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Foto: macha-macha

Das Prinzip des „self set salary“, in dem die Gehälter von den Betroffenen selbst bestimmt werden, klingt für die Personalabteilungen der großen Unternehmen nach Sodom und Gomorra: Wo kommen wir denn da hin, wenn sich jeder Mitarbeiter sein Gehalt selber festlegt? Natürlich muss hier alles im Rahmen bleiben, aber Mitarbeiter können sich recht gut selber einschätzen: Es gibt die Summe, die jeder für seinen Lebensunterhalt mindestens braucht, aber was der Mitarbeiter darüber hinaus bekommt, das kann, in der Kombination mit einem dann folgenden gemeinsamen Blick, von jedem selbst gut und realistisch eingeschätzt werden.

Auch das Thema Bonus, also die Möhre, die den Mitarbeitern „hingehalten“ wird, ist laut Laloux überholt. Mitarbeiter ziehen weniger aus der extrinsischen Motivation „wenn du unsere Zielvorgaben erreichst oder übertriffst, dann bekommst du XY“) als aus der intrinsischen Motivation („ich mache etwas engagiert, weil es mit Spaß macht“). Beides zu verbinden, ist tatsächlich zum Scheitern verurteilt.

Es gibt einen Geschäftsführer, der bist du. Gibt es dann doch eine Grenze, bei der du nur alleine entscheidest, weil es letztlich du bist, der seinen Kopf hinhalten muss?

Bei allen möglicherweise Existenz gefährdenden Fragen will ich natürlich einbezogen werden. Bisher hat es solche Fragen aber noch nicht gegeben.

Wie viele Mitarbeiter seid ihr? Sollen perspektivisch noch mehr dazukommen?

Aktuell sind wir zu siebt, plus weitere Kollegin für den Gastbetrieb im „macha-macha“. Unser Team wird sicherlich noch weiter wachsen, denn wir wollen ja weitere Standorte für den Tee aufbauen.

Dürfen wir in einem Jahr wiederkommen, und ihr teilt eure Erfahrungen mit uns, wie es euch in der Zeit ergangen ist?

Auf jeden Fall!

Vielen Dank, Erik.

Übrigens: Schreibt man dem ehemaligen McKinsey-Berater Laloux eine Mail, erhält man diese automatische Antwort: „Wenn Sie mich um einen Vortrag oder eine Beratung bitten und innerhalb einer Woche keine Antwort bekommen, betrachten Sie dies bitte als die höflichste Form, die ein Nein haben kann.“ Das ist in den Augen vieler eine fast schon unhöfliche Form, mit Anfragen umzugehen, zeigt aber, wie konsequent Laloux die Ideen in seinem Buch lebt. Er verbringt viel Zeit mit seiner Familie und nur die nötigste Zeit mit seiner Arbeit.

macha-macha
Hasenheide 16
10967 Berlin

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