Steve Pietschmann: „Im High-End-Bereich gibt es Sekte, die Champagner in den Schatten stellen“

von Jan-Peter Wulf
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Macht Sekt wieder groß: Steve Pietschmann vom Restaurant am Steinplatz

Im Berliner Restaurant am Steinplatz treibt man die Sekt-Renaissance voran: Es stehen nicht nur 50 Positionen auf der Karte, Sekt wird hier auch als Speisenbegleitung eingeschenkt. Wir sprachen mit dem gastronomischen Leiter Steve Pietschmann, wie es zur Liebe des Hauses zu einem oft noch verkannten Getränk kam. 

Steve, woran liegt es deiner Meinung nach, dass Sekt im Verhältnis zu Crémant oder natürlich Champagner so ein „bodenständiges“ Image hat?

Als Allererstes klingt das Wort Sekt nicht sexy. Champagner oder Crémant hingegen spricht sich alleine schon bedeutend schöner aus und sorgt damit bereits für das erste augenscheinliche Qualitätsmerkmal – denkt man zumindest. Zudem wurde das Image meiner Meinung nach durch diverse industrielle Großerzeuger versaut. Der Deutsche denkt eben bei Sekt leider direkt an Marken wie Rotkäppchen oder Mumm, an einen unkomplizierten halbtrockenen Sekt, der im Zweifelsfall nicht mehr als 2,49 Euro beim Discounter kostet. Zudem dürfen sich die mit Plastikkorken verschlossenen Produkte dennoch Sekt nennen. Zieht man hier die allgemeine Sektsteuer von 1,02 Euro ab, und bedenkt, dass mit den verbleibenden 1,47 Euro noch die Discounter-Marge, die Logistik, das Material wie Flasche, Agraffe, Korken, Etikett sowie Mitarbeiter bezahlt werden muss, kann man sich ungefähr denken, was für die „Trauben“ übrig bleibt. Qualität bekommt man nicht umsonst.

Dieses fehlerhafte Bild von Sekt wieder aus den Köpfen zu bekommen, versucht auch der Verband deutscher Prädikatsweingüter (VDP). Da gibt es aktuell die Debatte, einen neuen Namen für das Produkt „Sekt“ zu finden, um sich von jenen anderen Händlern abzuheben und die Qualität sichtbar zu machen. Zudem wurde Raumland als erstes Sekthaus kürzlich in den VDP aufgenommen.

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Foto: Marvin Pelny

Und ihr habt ihn verstärkt in euer Getränkesortiment aufgenommen. Vor mittlerweile schon anderthalb Jahren habt ihr das Motto „Macht Sekt wieder groß“ ausgerufen. Wie kam es dazu?

Um genau zu sein, haben wir bereits 2017 unsere Passion für Sekt entdeckt. Ich war in einem Restaurant essen, was dogmatisch lokale Küche verspricht. Zu Beginn des Abends wurde ich gefragt, ob ich mit einem Glas Champagner starten möchte. Das passte für mich keineswegs zusammen und ich habe den ganzen Abend damit verbracht, zu überlegen, warum die Lokalität eigentlich beim Aperitif aufhören muss. Sollte sie an dieser Stelle des Abends nicht eigentlich erst anfangen?

Guter Punkt. 

Neue Restaurants mit lokaler Küche sprießen seit Jahren nur so aus dem Boden. Wo jedoch kann man sich auch auf die regionale Schaumweinkarte verlassen? Mein Sommelier und ich haben uns somit auf eine Weinreise quer durch Deutschland begeben. Pfalz, Rheingau und Rheinhessen wurden nach gutem Schaumwein durchleuchtet und wir haben so viel guten „Stoff“ gefunden, dass wir gar nicht anders konnten, als das Thema voran zu bringen. Erst recht nach den Gesprächen mit den Winzern, die uns erzählten, wie schwer es der Sekt überhaupt hat, nach vorne zu kommen.

Warum zum Beispiel? 

Alleine schon, weil Wenige bereit sind, in Fachgeschäfte zu gehen um, sich beraten zu lassen. Beim Discounter stehen die Winzerprodukte nicht. Ganz einfacher Grund, die Menge und Marge, die ein Einzelhandel benötigt, kann kaum ein Winzer stemmen und möchte er auch nicht. Sekt ist kein Massenprodukt, Sekt ist Lebensqualität.

Das klingt doch nach einer Wiederbelebungsmöglichkeit durch die Gastronomie. Aber wie macht man – als Gastronomiebetrieb – Sekt denn wieder groß? Was kannst du den Kolleg*innen da draußen raten?

Sicherlich ist hier „Mundpropaganda“ das Schlüsselwort: Sekt in den Mund nehmen und einfach probieren. Es braucht viel Arbeit und Leidenschaft, um das Produkt zu verkaufen. Einfach auf die Karte schreiben und hoffen, dass er verkauft wird, das funktioniert noch nicht.

Sondern?

Man muss erzählen, muss probieren lassen und Vertrauen wecken. Dass alles benötigt man bei Champagner nicht, und für viele Gastronomen ist dies vielleicht der bequemere Weg. Denn ich wette mit euch, die Gäste werden keinen Unterschied schmecken, da es hier im High-End-Bereich Sekte gibt, die den Champagner in den Schatten stellen und preislich sogar drunter liegen. Dieses Argument sollte man sich zunutze machen. Ein Champagner kostet im Einstiegsbereich zwischen 30 und 40 Euro, ein Sekt nach traditioneller Flaschengärung, monatelangen Qualitätskontrollen und Lagerzeiten im Keller gibt es für den Preis bereits im High-End-Bereich. Nur hat man oft „Angst“ vor der Reaktion des Gastes. Und das Erklären ist auf den ersten Blick langwierig und mühsam. „So ein gutes Restaurant und Sie haben nicht einmal Champagner? Ich trinke doch keinen Sekt, wir haben etwas zu feiern!“ Ich rate wirklich allen Kolleginnen und Kollegen: Probiert mehr Sekt und helft den deutschen Winzern, dass dieses Produkt als Qualitätsprodukt wahrgenommen wird. Und ja, ein Spitzen-Sekt darf auch an die 20 Euro kosten, genau wie ein Glas Champagner, und muss nicht um des Namens oder Image willens weniger wert sein.

Ihr habt gleich 50 Sekte im Programm, auf vielen Karten gibt es exakt einen. Wie viele braucht man denn (mindestens), um die Vielfalt geschmacklich abzubilden? 

Unsere Auswahl der 50 verschiedenen Sekte soll zeigen, dass es nicht nur wenige gute gibt, sondern mittlerweile eine Riesen-Bandbreite. Alle der in der Karte Stehenden sind Winzersekte und haben einen hohen Qualitätsanspruch. Wir konnten uns meist nicht entscheiden und haben dann ein paar mehr drauf genommen. Man hat ja auch nicht nur zwei Rieslinge auf der Karte.

Man sollte schon fünf bis sieben verschiedene auf der Karte haben, um zu zeigen, was Sekt kann. Einen Rieslingsekt, einen Rosé, eine Cuvée aus Pinot Noir, Chardonnay und Pinot Meunier, zwei speziellere Sorten wie zum Beispiel Silvaner-Sekt oder Spätburgunder-Sekt, verschieden lange Hefelagerzeiten und ältere Jahrgänge. Mittlerweile gibt es auch Sekte, die eine lange Lagerzeit haben. Ein weiterer Vorteil ist, dass jeder Jahrgang spannend ist und man merkt, dass es ein Handwerksprodukt ist, wogegen Champagner durch chemische Analyse jedes Jahr gleich schmecken soll. Wir würden uns aber auch schon freuen, wenn wir bei Kolleginnen und Kollegen eine kleine und dafür hochwertige Auswahl von zwei bis drei Sekten sehen.

sekt eingedeckt - wein, getraenke, gastronomie Steve Pietschmann: „Im High-End-Bereich gibt es Sekte, die Champagner in den Schatten stellen“

sekt zum essen - wein, getraenke, gastronomie Steve Pietschmann: „Im High-End-Bereich gibt es Sekte, die Champagner in den Schatten stellen“

Auch als Speisenbegleitung funktioniert Sekt sehr gut 

Zum saisonal-regionalen Menü eures neuen Küchenchefs Jean-Marc Komfort bietet ihr ja auch ein Sekt-Pairing an. Worauf muss man achten, wenn man Sekt und eine Speise zusammenbringt?

Im Prinzip geht es genauso wie bei einer Weinbegleitung. Man kann es entweder dem Gericht gleichtun und mit dem Geschmack gehen, also ihn untermalen. Oder man geht gegensätzlich zum Geschmack und versucht die beiden unterschiedlichen Geschmäcker zu vereinen. Wir schließen das Menü auch so gut wie immer mit einem Sekt zum Dessert ab. Ich finde, dass dies nach einem Abend mit vielen Aromen, Geschmäckern und Wein – oder Sekt – den Gaumen noch mal richtig schön erfrischt.

Dadurch, dass es so viele verschiedene Rebsorten und Hefelagerzeiten gibt, kann man wunderbar Sekt zum Essen kombinieren. Um die Worte von Marie-Luise Raumland aufzunehmen: „trinkt mehr Sekt zum Essen“!

Man könnte vielleicht denken: Fünf Gänge, fünfmal Sekt, ganz schön viel Kohlensäure. Dachte ich auch. Nach dem Sekt-Pairing bei euch habe ich festgestellt: Das geht gut, weil die Kohlensäure den Mund wieder frisch macht, man ist bereit für den nächsten Happen und den nächsten Schluck. Was ist das bisherige Feedback der Gäste?

Das Feedback ist durchaus positiv. Manche Gäste haben wie du sagst, Bedenken, dass die Kohlensäure zu viel ist oder es kommt der übliche, schnell gesagte Satz „nach einem Glas Sekt bin ich schon betrunken und die Kohlensäure steigt schneller ins Blut“. Fünf Gläser kann man nicht trinken – ich kann diese Meinung nicht teilen (lacht). Hier muss der Gast allerdings mutiger werden.

Zwei ganz besondere Sekte bei euch sind ein roter Sekt und einer, der über 35 Jahre alt ist. Was hat es mit diesen beiden auf sich?

Der rote Sekt von der Sektmanufaktur Schloss Vaux aus Eltville ist für uns ein weiteres Argument, wie großartig deutscher Schaumwein sein kann. Man kann diesen Sekt hervorragend zu Fleischgerichten begleiten. Man findet den Sekt auch im Internet, allerdings mit weniger Hefelager, da unser 2013er Spätburgunder Sekt erst auf Bestellung im Weingut frisch degorgiert wird. Der zweite, Peter Lauer Sekt von 1984, ist für uns ein Zeichen, dass deutscher Wein und auch Sekt eine grandiose Lagerfähigkeit haben und es die Winzer vor knapp 40 Jahren schon verstanden haben, wie spannend es ist, sich ein paar Flaschen in den Keller zu legen und erst nach einer weiteren Winzergeneration wieder hoch zu holen. Nach 36 Jahren Jahren noch so eine spannende Säure und perfekte Perlage zu haben, ist fast einzigartig. Es macht wirklich Spaß so besondere Sekte zu trinken, wer braucht da noch ein halbtrockenes Industrieprodukt? 

Vielen Dank, Steve. 

www.restaurantamsteinplatz.com

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