Ausgezeichnete Nachhaltigkeit: Eindrücke vom „Weltverbesserer-Wettbewerb“ 2023

von Jan-Peter Wulf
WeltverbEsserer Wettbewerb 20230505 11 - gastronomie, food-nomyblog Ausgezeichnete Nachhaltigkeit: Eindrücke vom „Weltverbesserer-Wettbewerb“ 2023

Foto: Branding Cuisine

Ein ganzheitliches Ernährungskonzept für die Branche und eine Versicherung, die ihre Kantine auf 100% Bio umstellt – Organic Garden aus München und Allianz Trade mit seinem Vertragspartner Apetito catering wurden beim diesjährigen „Weltverbesserer-Wettbewerb“ für ihre vorbildlichen Engagements in Sachen Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

Einen hippen Coworking-Space mit Eventlocation im Keller nahe des Berliner Bahnhofs Südkreuz hatte sich das Team des Weltverbesserer-Wettbewerbs als Location für sein diesjähriges Finale als Location ausgesucht. Zum ersten Mal seit drei Jahren und zum zweiten Mal überhaupt fand das Event live und „on the ground“ statt, 2020 bis 2022 wurde es aus hinlänglich bekannten Gründen ins Digitale verlagert.

Der von der Berliner Kommunikationsagentur Branding Cuisine ins Leben gerufene Award hat sich zum Ziel gesetzt, Projekt im Foodbereich zu würdigen, die sich in Sachen Nachhaltigkeit besonders hervortun. Diese Würdigung erfolgt in drei Kategorien: Gastronomie, Lebensmittelproduktion und Gemeinschaftsverpflegung. In Letzterer wurden in den Vorjahren u.a. der Bio-Caterer biond aus Kassel, das vegane Foodkonzept „Powered by Plants“ von Eurest, Eschborn sowie die E.ON Gastronomie GmbH ausgezeichnet.

Wettbewerb spiegelt den Wandel in der Branche wieder

Auch dieses Jahr traf eine Jury aus Köchen, Foodherstellern, kulinarischen Beratern und Marketing-Experten wieder die Vorauswahl aus den Einreichungen. Die Finalisten hatten vor Ort in Berlin dann jeweils zehn Minuten Zeit, ihr Konzept dem zum Event eingeladenen Fachpublikum zu präsentieren, bevor wiederum die Jury entschied, wer am Ende ganz oben auf das Treppchen steigen durfte.

Diese Pitchrunde zeigte, dass es am Markt bereits viele spannende Ideen für eine nachhaltigere Foodbranche gibt. Etwa die „regenerative Pizza“ von Followfood aus Friedrichshafen, ein TK-Produkt für den LEH, hergestellt mit Bio-Gemüse und -Getreide auf Böden, deren Hummusschicht durch regenerative Bewirtschaftung bewahrt bleibt. Mit jeder Pizza wird so Klimaschutz betrieben, denn die Böden speichern CO2.

Oder das Restaurant Heaven’s Kitchen aus Stuttgart, das vegane Küche so inszeniert, dass auch Fleischfans auf nichts verzichten müssen. Statt auf Tellern kommen die pflanzenbasierten Speisen auf kompostierbarem Papier auf den Tisch – zum Teilen nach Lust und Laune. Kompostiert wird auch, was übrig bleibt, und dann zurück an landwirtschaftliche Partnerbetriebe gegeben.

12 Tonnen Gemüse pro Woche rettet der Berliner Händler Querfeld. Es sind Gurken, Tomaten, Karotten und andere Erzeugnisse, deren Form aufgrund von Verwachsungen, Verfärbungen oder Schalenfehlern nicht der Norm entspricht (sogenannte „culinary misfits“). Vertrieben wird die Ware über eigene Verteilzentren in sechs Städten und mit 45 Handelspartnern vor allem an Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung – so wird aus dem Mülltonnentod geweihten Lebensmitteln (in Bioqualität) gesundes Essen, zu günstigen Einkaufspreisen. Rund 80 Großküchen nutzen Querfeld bereits, erklärte Gründer und Geschäftsführer Frederic Goldkorn beim Pitch.

Erste 100% Bio-Kantine in Hamburg

„Wenn so ein konservatives Unternehmen wie unsere Versicherung das kann, dann können das andere auch“, so Gerrit Vorjans, Internal und Change Communication Manager bei der Allianz. Mit das meint er die Umstellung der betriebseigenen Kantine von Allianz Trade in Hamburg – nämlich auf 100% Bio im vergangenen Jahr, inklusive Zertifizierung (EU-Bio- und Bioland-Gold-Standard). Nach einem Umzug des Betriebs Anfang 2020 in ein neues, energieeffizienteres Gebäude sei erst transparent geworden, wie hoch der Anteil der Gesamt-CO2-Emissionen ist, die in der Kantine entstehen, so Vorjans.

Infolgedessen wurde eine Umstellung auf Bioprodukte mit Senkung des Fleischanteils in den Gerichten aufgegleist – in Zusammenarbeit mit dem Vertragspartner Apetito catering, Rheine. Aufgrund der räumlichen Bedingungen, die kaum getrennte Lagerung zulassen würde, sei schnell klar gewesen, dass gleich auf 100% Bio umgestellt werden muss. Eine interne Rechnung ergab: Das geht, in einem Mix aus Finanzierung durch das Unternehmen und einer Preiserhöhung für die Kostnehmer von einem Euro. Der clevere Hebel, um den Anteil pflanzlicher und somit klimafreundlicher Speisen zu heben: Fleischgerichte 1,50 Euro teurer, vegetarische nur 50 Cent. Bei einer internen Abstimmung votierten fast 90% der Beschäftigten, die eine Stimme abgaben, für die Umstellung. Und heute beträgt der Anteil der pflanzlichen Speisen, die mittäglich ausgegeben werden, bis zu 75% (von rund 500 Gerichten).

Unterstützt wurde apetito bei der Umstellung und der Einhaltung nachhaltiger Richtlinien vom Verein hamburg.bio e.V., der sich mehr Biolebensmittel in Kitas, Schulen, Kantinen und Restaurants der Hansestadt einsetzt. Dank des Livebeispiels, das man in Zusammenarbeit mit der Allianz in Hamburg geschaffen habe, erreichen nun immer mehr Anfragen für eine Steigerung des Bio-Anteils den Caterer, erfahren wir beim Pitch.

From farm to table, groß gedacht

Ein komplettes Pitchdeck, wie man es sonst eher von Tech-Startups kennt, hat Florian Feneberg, Head of Nutrition Management von Organic Garden zum Finale mitgebracht. Darauf sieht man in Grafiken, Schaubildern und Organigrammen, wie komplex das Konzept des Münchner Unternehmens ist – es reicht vom Anbau über Food-Konzepte bis hin zu eigenen Betrieben. Zurzeit erzeugen Partner wie Land.Luft aus Passau oder die Landwirte in der Vermarktungsgesellschaft Unser Land die Lebensmittel, doch eigene Farmen sind bereits im Aufbau und sollen schon 2024 erste Rohstoffe liefern. Gemüse und Kräuter aus Gartenbau, Pilz- und Fischzucht sowie Algen sollen bald Hunderttausende versorgen – schon jetzt werden zusammen mit Il Cielo täglich bis zu 6.000 Schulkinder im Münchner Raum verpflegt.

Das Ernährungskonzept orientiert sich an der „planetary health diet“ – ressourcenschonend für die Erde, gesund für den Menschen. Feneberg verdeutlicht es am Beispiel Ingwer: Der kommt vom Bodensee und wird zu hochkonzentriertem Saft verarbeitet, der vor Ort in den Kantinen aufgefüllt wird. Der bei der Herstellung verbleibende Trester wird für Kekse in der Schulverpflegung genutzt. Die leichte, aber nicht scharfe Ingwernote erfreue sich bei den Schülern großer Beliebtheit, so Feneberg. Das Rezepturmanagement ist zielgruppenspezifisch je nach Kundengruppe. Die Rezepte berücksichtigen essentielle Nährstoffe, angemessene Portionsgrößen und fördern die Biodiversität.

Beim Business-Catering dockt sich Organic Garden mit seinem Konzept sowohl an Bestandscaterer an, die vor Ort die Speiseplanung umsetzen. Aber auch eigene Betriebe will man forcieren – in München, Ingolstadt, Eichstätt und Hergolding betreibt das Unternehmen unter Namen Organic Garden Eatery Tagesrestaurants, in denen Bowls oder Hotdogs mit Fleisch aus Bio-Haltung angeboten werden. Prominente Unterstützung erhält Organic Garden durch (Ex-)Fußball-Profis wie Mario Gomez und Thomas Müller, die sich beide beteiligt haben. Auch Koch, Gastronom und Caterer Holger Stromberg ist Teil des Teams: Unter anderem leitet er die Kochkurse und Schulungen, die digital gestreamt bzw. für die Küchenteams zur Verfügung gestellt werden. Die Rezepturen und Prozesse sind so gestaltet, dass das System auch ohne professionelle Köche funktionieren kann, wenn nötig.

Alle sind Sieger, alle sind Vorbilder

Organic Garden landete am Ende des Wettbewerbs auf dem ersten Platz, Silber geht an Allianz Trade. Doch dass beide Sieger sind, ebenso wie die anderen Konzepte, und es hier wirklich mal mehr als nur eine gut gemeinte Floskel ist, sieht auch Jurymitglied Jörn Gutowski (Gründer von Try Foods, Berlin): „Wir in der Jury waren sehr angetan von der Qualität der Bewerbungen für den diesjährigen Wettbewerb. Besonders überzeugt hat uns, wie ganzheitlich viele der Konzepte Nachhaltigkeit umsetzen. Die preisgekrönten Projekte beschäftigen sich nicht mehr „nur“ damit, dass die Zutaten biozertifiziert und die Verpackung nachhaltig sind, sondern das Thema wird z.B auch sozial angegangen. Diese Projekte rütteln an alten Denkstrukturen und erfinden stehende Geschäftsmodelle neu. Sie sind Leuchttürme, die zur Nachahmung anregen.“  „Wir glauben an die Kraft der Wirtschaft – wenn man einmal bedenkt, wie viele Menschen wir mit Gastronomie, der Gemeinschaftsverpflegung oder Lebensmitteln erreichen können“, fügt Jurymitglied Balázs Tarsoly von Branding Cuisine hinzu.

Im Bereich Gastronomie gewann Heaven’s Kitchen aus Stuttgart. Mit dessen Betreiberin Tanja Goldstein sprachen wir beim Online-Summit von Gastro for Future. Platz zwei ging an Happa aus Berlin.

Im nächsten Jahr findet wieder ein Weltverbesserer-Wettbewerb statt. Alle Infos zum Ablauf, den Bewertungskriterien, der Jury und den Vorjahressiegern gibt es unter
www.weltverbesserer-wettbewerb.de

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