Ben Pommer: „Kochen für Helden tut einfach wahnsinnig gut“

von Jan-Peter Wulf
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Foto: Maria Schiffer

Wie fühlt sich das an, mit einem gastronomischen Betrieb mit weit über 50 Mitarbeiter*innen in eine beispiellose und unverschuldete Krise hineinzuschlittern? Wie geht man mit einer solchen Ausnahmesituation um? Und was hilft, persönlich wie unternehmerisch? Wir haben mit Ben Pommer gesprochen, Geschäftsführer und kulinarischer Leiter der Brlo-Gastronomien in Berlin. Vom Zusperren-müssen über das Kochen für Held*innen bis zum Blick in die Zukunft nach Corona.

Ben, danke, dass du dir die Zeit nimmst. Wie geht es dem Brlo Brwhouse, wie ist die Situation aktuell bei euch? 

Einem Restaurant ohne Gäste geht es nicht gut. Wie bitter es wird, lässt sich gerade noch nicht absehen. Fakt ist, dass wir versuchen, so gut wie möglich durch diese Krise zu kommen. Und Fakt ist auch, dass wir sehr wahrscheinlich einige Zeit brauchen werden, um diese zwei, drei Monate Totalausfall wieder wett zu machen und wieder vernünftig darauf aufbauen zu können.

Wenn man sich im privaten Umfeld umschaut, scheinen alle anzufangen, Sauerteigbrote zu backen und ihre Kreativität zu entdecken. Wie nutzt du als Koch, Gastronom und Privatmensch die Zwangspause, was macht sie mit dir?

Als Erstes musste ich auch feststellen, dass offensichtlich viele Leute diese Krise anders erleben als wir das tun oder ich es tue. Viele Freunde von mir, die nicht in der Gastronomie sind, haben wesentlich mehr Zeit und haben natürlich auch Bilder gepostet à la wie ich mache mein erstes Sauerteigbrot. Die letzten drei Wochen waren bei uns ehrlich gesagt der Horror. Es fängt an mit der Tatsache, dass man operativ erstmal ein paar Dinge beachten muss, wenn man einen Laden schließt. Damit alles vernünftig aussieht und man danach wieder aufmachen kann. Dann ist natürlich noch viel Ware da, die man verwerten muss. Dann sind da bei uns jede Menge Mitarbeiter*innen, die sich die Frage stellen: Wie geht’s weiter? Die musste man vernünftig aufklären, mit ihnen sprechen. Einige Leute haben da natürlich viel nervöser drauf reagiert als andere. Man musste sich also wirklich Zeit nehmen, um vernünftige Gespräche zu führen.

Und dann musste man sich mit der Frage beschäftigen: Was tut man jetzt eigentlich? Es ist ja nicht so, dass man eine Anleitung im Schrank hat und sagt: Okay, Pandemie, das machen wir jetzt. Dementsprechend mussten wir uns natürlich selbst erstmal aufschlauen. Was ist denn Kurzarbeitergeld? Welche Zahlungsmodalitäten gibt es da? Welche rechtlichen Zusammenhänge gibt es und solche Dinge. Also erstmal drei Wochen volles Programm. Dazu kam, dass es schon zwei drei Tage gedauert hat, bis es richtig bei uns angekommen ist: Wir haben jetzt wirklich zu. Man war ja nur am Funktionieren und am Aufgaben abarbeiten und wenn man mal fünf Minuten Zeit hatte, erklärte man anderen Menschen, was man gemacht hat, damit jede*r mitkommt. Ich hatte in den letzten drei Wochen nicht eine freie Minute, sie waren schwieriger und anstrengender als das normale Alltagsleben.

Was macht dir in dieser Situation Mut?

Die Reaktionen unserer Mitarbeiter*innen haben mir wahnsinnig viel Kraft gegeben. Wir sind alle nochmal ein gutes Stück aneinander ran gerückt. Ich denke, wir haben alle vernünftig kommuniziert, was bei uns jetzt gerade Stand der Dinge ist, wie wir in den nächsten Wochen mit der Situation umgehen werden. Wir kommunizieren zweimal die Woche per Newsletter mit allen und ansonsten natürlich in vielen Gesprächen. Die Reaktionen darauf und auch das Verständnis, dass eben zum Teil Kurzarbeitergeld angemeldet werden muss, und der gemeinsame Wille, als komplettes Team jetzt da durchzugehen und niemanden auf dem Weg zu verlieren zwischen Anfang und Ende der Krise – das hat uns alle ein gutes Stück zusammengeschweißt.

Das andere ist der Lieferservice. Den haben wir aufgesetzt, damit wir einen Kanal haben, um noch ein bisschen Umsatz zu generieren. Und der macht gute Laune gerade, weil man einfach viele Fotos von Freund*innen und Bekannten bekommt, die unser Bier und unser Essen jetzt zu Hause haben. Genauso, wie man Spaß daran hat, wenn man bei sich im Restaurant steht und merkt, wie viele Leute gerade deine Getränke und dein Essen oder dein Ambiente wertschätzen und Spaß daran haben. Jetzt macht es eben Spaß zu sehen, wie die Leute das zu Hause in ihrer eigenen Quarantäne genießen.

Es gibt unter anderem Blumenkohl mit Vadouvan, Rippchen vom Freilandschwein aus dem Smoker und Berliner Hühnerfrikassee vom Kikok-Huhn. Ist Lieferservice etwas, das ihr euch auch für „nach der Krise“ vorstellen könnt?

Wir machen es jetzt gerade nur, um 3,50 Euro dazu zu verdienen. Zum einen, um etwas davon zu nutzen für unsere „Kochen für Helden“-Aktion (Anm. d. Red.: 10 Prozent aus dem Umsatz des Lieferservices werden verwendet, um Ware für „Kochen für Helden” zu kaufen). Wir müssen Salz, Nudeln und so weiter kaufen, die werden als haltbare Waren eben nicht gesponsert. Und zum anderen, um unseren Mitarbeiter*innen eben ein ausreichendes Gehalt auszahlen zu können. Weil wir genau wissen: ein Teil der Mitarbeiter*innen braucht die Hilfe. Das aktuelle Kurzarbeitergeld reicht in Teilen der Gastronomie einfach nicht. 

Ob das über die Krise hinaus weiter läuft? Da bin ich mir noch nicht so richtig sicher. Wir haben schon oft darüber nachgedacht, einen Lieferservice zu implementieren. Bisher aber nie ernsthaft. Ich habe mich immer vor der Umsetzung gescheut, weil wir eben nicht dieses Game spielen wollen, dass wir heißes Essen servieren, weil ich da für die Qualität nicht garantieren kann. Genauso wie wir keine Buffets anbieten, die bei einer Weihnachtsfeier über Stunden warm sind. Sondern immer Dinge, die frisch gekocht sind und dann so, wie wir es möchten, zum Gast gelangen. Beim Lieferservice kann die Qualität nicht gewährleistet werden, wenn das Essen eine halbe Stunde durch die Gegend kutschiert wird. Deshalb haben wir uns entschieden, die Dinge soweit vorzubereiten, dass man sie zu Hause relativ einfach warm machen kann.

Wie ist das Feedback bisher? 

Das Feedback, was ich von Gästen bekommen habe – und wir hatten mittlerweile ein paar über diesen Lieferservice – ist, dass es wirklich total einfach ist, dass die Beschreibungen dazu funktionieren und man vernünftig gekochtes Essen zu Hause problemlos warm machen kann. Und wer beschwert sich schon über einen Kasten Bier vor der Haustür? Ob das außerhalb der Krisenzeit funktioniert, wo Menschen dann doch lieber wieder ins Restaurant gehen, wo die Zeit vielleicht auch etwas knapper ist und man sich abends nicht noch damit beschäftigen will, wie koche ich das denn jetzt – das bezweifle ich mal. Diese Konzepte gab es ja schon und die haben alle nicht so richtig funktioniert. Zum anderen hätte ich den Gast natürlich auch gerne wieder vor Ort.

Ich erinnere mich an einen Abend zu Hause, mit den fertig von einem Koch zubereiteten Produkten. Das war lecker, aber absolut kein Kocherlebnis und viel Plastik am Ende. Den Service gibt es auch nicht mehr.  

Jetzt gerade ist es eine akzeptable Lösung. Ansonsten macht mir diese Verpackungsgeschichte auch wirklich Kopfschmerzen, weil die Verpackung meistens eben aus Plastik oder PLA besteht. Es sieht einfach nicht gut aus und ist auch nicht nachhaltig. Ich habe bis jetzt noch keine vernünftige Alternative gefunden und auch alle unsere Freund*innen und Kolleg*innen aus der Gastronomie nicht. Die haben dann andere Konzepte, wo man das anders darstellt, aber die Leute, die Gerichte zum Warmmachen liefern, die arbeiten alle relativ viel mit Plastik. Wenn es irgendwann eine Alternative gibt, dann kann man sich natürlich mal überlegen, ob man das parallel zum Hauptgeschäft macht. Dann haben wir allerdings keine Fahrer*innen mehr. Jetzt gerade geben wir ein paar unserer Leute dadurch einfach Stunden. Die setzen sich in eines unserer Autos und fahren die Bestellung aus.

Die meisten eurer Leute sind ja zurzeit in Kurzarbeit. Du hast kürzlich gegenüber Tip Berlin erklärt: Kurzarbeit reicht nicht, es muss einen anderen Satz geben. Hat der offene Brief an den Bürgermeister, den ihr wie viele Berliner Gastronom*innen mit unterzeichnet habt, denn Gehör gefunden? Oder hat er gar etwas erreicht?

Ich muss die Arbeit des Dehoga in letzter Zeit wirklich loben. Die haben sich da gut eingesetzt und uns immer vernünftig informiert. Sie waren auch bei den ersten Treffen dabei, die Jeannine Kessler aus dem „Horváth“ initiiert hat, damit wir uns mal als Gastronom*innen untereinander austauschen und eben auch diesen gemeinsamen Brief verfassen. Das hat natürlich ein gewisses Medienecho gegeben. Am Ende ist da aber nichts explizit für die Gastronomie geschehen. Es betrifft ja im Übrigen nicht nur die Gastronomie, sondern alle Berufe, die irgendwie von Trinkgeld abhängig sind oder wo Trinkgeld eine Größenordnung ist, die wirtschaftlich relevant für jeden einzelnen Mitarbeitenden ist. Darum ging es ja am Ende: Die Differenz zwischen Verlust von Trinkgeld und Kurzarbeit ist einfach eklatant höher als die reine Umstellung auf Kurzarbeitergeld. 

Welche Maßnahmen werdet ihr selbst ergreifen, um eure Gastronomie für die Zukunft widerstandsfähiger und krisenresistenter zu machen, habt ihr da schon Pläne geschmiedet?

Die aktuelle Situation kann natürlich auch eine Chance für die Gastronomie sein. Doch wir haben die Herausforderung, dass die Leute, die sonst zu uns als Gast kommen, das Problem vielleicht noch gar nicht so eklatant spüren wie die Leute, die in der Gastronomie arbeiten. Es wäre eine Chance, wenn wir diesen Moment nutzen könnten, um den Leuten mal zu zeigen, wie dünn die Liquiditätsdecke in der Gastronomie eigentlich ist. Wie unangemessen diese ewige Diskussion nach den Preisen ist. Wenn man sieht, wie viele Restaurants jetzt gerade kippen, nachdem sie vier Wochen keinen Umsatz gemacht haben – und das wird noch viel schlimmer werden in der nächsten Zeit – fragt man sich natürlich: Kann die Gastronomie Krisen grundsätzlich überstehen? Wir haben überhaupt kein Konzept, um eine solche Liquiditätsdecke aufzubauen, wie sie andere Branchen ganz natürlich haben. Das ist in der Gastronomie überhaupt kein Thema!

Maria Schiffer 3201 - interviews-portraits, management, gastronomie, food-nomyblog, nomyblog Ben Pommer: „Kochen für Helden tut einfach wahnsinnig gut“

Foto: Maria Schiffer

Also können wir das jetzt nutzen, um den Leuten zu zeigen: Seht mal her. Ihr sagt immer, es ist zu teuer oder der Preis ist nicht angemessen. Aber wenn wir mal drei Wochen nichts einnehmen, dann ist bei uns fast direkt Feierabend und wir brauchen staatliche Hilfe. Bei Apple werdet ihr das nicht hören, doch da beschwert sich keiner über den Preis. Und bei Adidas, die jetzt selbst die Miete stunden wollen, hört ihr es auch nicht. Und wir sprechen nicht darüber, ob es jetzt schön wäre, ein bisschen was zu bekommen, damit wir den Mitarbeiter*innen einfach etwas mehr geben können.

Sondern bei uns ist es eigentlich die Phase: Gibt es die Gastronomie in vier Wochen noch? Das ist eine ganz andere Diskussionsgrundlage. Man sagt ja immer, es gebe in der Gastronomie wesentlich mehr Möglichkeiten, Geld zu verlieren, als Geld zu gewinnen – und das macht diese Situation ganz klar deutlich. Sie zeigt, wie viele Leute eigentlich von der Hand in den Mund und von den täglichen Gästen leben. 

Also es fehlt echtes Verständnis dafür, wie dünn das Eis in der Branche oft ist, nehme mich davon mit. 

Es wäre natürlich einfacher, wenn alle Menschen diesen Schmerz gerade nachvollziehen könnten. Solange das nicht bei allen ankommt und die damit einhergehende Existenzangst, die wir Gastronom*innen gerade spüren, werden sie weiter sagen, dass wir uns nicht so haben sollen und eben einfach besser wirtschaften müssten. Wie oft ich in der letzten Zeit solche Aussagen gehört habe, wie wir sollten doch einfach einen Lieferservice aufmachen, einige Leute entlassen und dann gehe es in sechs Wochen wieder weiter.

Wenn man sich mal überlegt, wie schwierig die Situation der Fachkräfte vor der Krise war, abgesehen davon, dass einem die eigenen Leute natürlich am Herzen liegen: Irgendwann müssen wir ja auch wieder aufmachen. Wenn jetzt alle Gastronomien gleichzeitig wieder öffnen, stehen wir aber ganz schnell wieder mit ähnlichen Problemen da. Dann müssen wir den Biergarten aufmachen und uns fehlen 30 Mitarbeiter*innen. Gute Leute musst du halten und gekündigt wurde bei uns keinem.

Das Wiederaufmachen, wann immer es sein wird, hoffentlich bald, stelle ich mir sowieso schon schwierig vor als Prozess.

Wir müssen uns jetzt erstmal konzentrieren, damit wir vernünftig durch diese Krise kommen. Und dann müssen wir uns darauf fokussieren, dass wir wieder vernünftig zum Laufen kommen. Wenn du einmal so einen Riesenbetrieb auf Null setzt, dann wird der auch nicht von heute auf morgen wieder funktionieren. Es wird zu 100 Prozent Gäste geben, die dann bei uns im Biergarten stehen und sagen: Was ist denn bei euch los? War doch klar, dass ihr wieder aufmachen dürft! Die Sonne scheint, es ist Juni. Warum funktioniert denn eure Bar noch nicht tiptop?

Also müssen wir uns erstmal wieder mit solchen operativen Themen beschäftigen und schauen, dass wir möglichst schnell wieder back on track sind. Dann werden wir alle Gespräche, die wir in der Vergangenheit schon begonnen haben, um BRLO und die Gastronomie weiter wachsen zu lassen, wieder aufnehmen. Das ist erstmal alles vertagt. Wir müssen abwarten.

Es sind in den letzten Wochen viele Aktionen und Netzwerke entstanden. In vielen Städten übernimmt die Gastronomie ehrenamtlich eine elementare Versorgungsfunktion. Zum Beispiel bei #kochenfürhelden, an dem ihr euch ja auch beteiligt. Ihr seid so eine Art Logistikzentrum für die Berliner Initiative geworden, richtig? 

Die Idee zu #kochenfürhelden kam von Max (Strohe) und Ilona (Scholl) aus dem „tulus lotrek“ und sie haben damit eine ganz ganz großartige Initiative ins Leben gerufen. Zu einem Zeitpunkt, als klar war, dass Gastronomien komplett schließen müssen und viele vor der Frage standen: Was macht man jetzt mit der ganzen Ware, die man noch im Kühlhaus hat? Diesen Moment hatten wir bei uns nicht, weil wir die Läden nach und nach zugemacht haben und wir so viele Mitarbeiter*innen haben, denen es in nächster Zeit auch schlechter gehen wird. Denen haben wir viel aus unseren Kühlhäusern mitgegeben.

Max und Ilona haben uns dann irgendwann angeschrieben und gefragt, ob wir nicht auch dabei sein wollen. Sie hatten viele Anfragen und brauchten ein paar vertrauenswürdige Gastronom*innen, die die Warenspenden vernünftig einsetzen und die hygienischen Bedingungen einhalten. Die natürlich besonders hoch sind, wenn man für das Personal von Krankenhäusern oder Pflegeheimen kocht.

Wie ging es dann weiter? 

Wir haben uns angeschlossen, allen unseren Mitarbeiter*innen geschrieben und gefragt, wer ehrenamtlich mithelfen möchte. Mittlerweile sind es 15 Leute aus unserem Team, die das jeweils für 10 Stunden in der Woche ehrenamtlich machen. Darunter sind Leute die kochen, Leute, die das ausfahren und Leute, die die Ware annehmen und kommissionieren. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die ganze Sponsoringware, die ja teilweise auf ganzen Paletten kommt, bei uns eingelagert wird, weil Max und Ilona natürlich viel weniger Platz haben als wir. Wir brauchen unsere großen Kühlhäuser gerade nicht, weil der Biergarten zurzeit nicht offen hat.

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Kochen für Helden bei Brlo: bis zu 1.000 Portionen am Tag

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Also lagern wir aktuell die Ware ein und verteilen sie dann intern an alle Gastronom*innen, die bei dieser Initiative mitmachen. So hat jede*r regelmäßig seinen Warenzufluss und wir können das Ganze ein paar Wochen gut durchhalten, ohne dass man zu viel eigenes Invest reinbringen muss, da wir natürlich alle existenzbedroht sind. Nachdem das Team stand, haben wir uns dann Held*innen gesucht, die wir beliefern können und haben in der ersten Woche angefangen, für jeweils 400 Personen am Tag Essen auszuliefern. In der zweiten Woche schon an die 900 täglich. Wir haben für uns festgelegt: 1.000 Portionen pro Tag ist unsere Kapazitätsgrenze. Mal sehen, wie lange wir das durchhalten.

Ich frage mich: Woher nehmen Menschen wie ihr die Motivation – in dieser Situation, wo ihr alle selbst mit der Existenz zu kämpfen habt – ehrenamtlich zu kochen und dabei oft sogar noch selbst Geld reinzustecken, auf jeden Fall aber viel Zeit?

Ich glaube, das ist eine Typfrage. Und da sind wir Gastronom*innen oft auf der gleichen Ebene. Deshalb mögen wir uns ja auch privat oft so gerne und gehen auch zusammen mal gut essen. Wir wollen Dinge erschaffen, um Menschen glücklich zu machen. Wir wollen sie glücklich machen mit unseren Orten, unseren Getränken, mit unserer Expertise, mit unserem Essen. Wir möchten ihnen eine gute Zeit bereiten, sie etwas aus dem Alltag rausholen.

Ich habe ja schon eingangs gesagt: Die letzten drei Wochen waren einfach richtig richtig bescheiden. Du hast keine Gäste mehr, dir wird die Existenzgrundlage genommen, alle deine Mitarbeiter*innen, die dir ans Herz gewachsen sind, haben Angst, du selber hast auch Schiss. Du weißt nicht, wie es weitergeht. Überlegst dir, was du alles machen musst, mit wem du alles telefonieren musst, was alles in Gang gebracht werden muss. Fragst dich, wie lange du es durchhältst, wie lange die Krise überhaupt geht. Themen, die wahnsinnig existenzbedrohend sind und die einen die letzten drei Wochen nur in einen Bearbeitungsmodus gebracht haben, in dem man sich nicht mehr um schöne Dinge kümmern konnte.

„Kochen für Helden” tut einfach wahnsinnig gut. Es tut wirklich gut, wenn man normalerweise in einem Wirtschaftskreislauf ist, in dem man funktionieren muss und man jetzt etwas machen kann, für das man gar keine Gegenleistung möchte. Die Ärzt*innen oder Pfleger*innen, denen wir jetzt etwas liefern, fragen oft, ob sie etwas dafür bezahlen oder spenden sollen. Nein, es soll endlich mal etwas ohne Gegenleistung geben. Wir sagen einfach nur mal Danke. Ihr seid toll, macht weiter so. Wir machen das jetzt für euch, so lange, wie wir können. Wir haben die Expertise, die Orte, die Mitarbeiter*innen und den Willen, etwas Gutes zu tun. Ihr bekommt es einfach. That’s it. Deine Kantine ist zu und ich kann dir gerade helfen, also tue ich das einfach und dann fahre ich wieder.

Wenn man einmal mit dem Auto vor dem Krankenhaus vorfährt, seinen Kofferraum aufmacht und den Leuten die Gerichte – natürlich kontaktlos – übergibt, ist das einfach wahnsinnig erfüllend. Und am Ende genau der Grund, warum wir Gastronomie machen: Um Menschen mit unseren Produkten glücklich zu machen. Nur dass wir jetzt eben nichts dafür bekommen und das ist auch gut so. Es hilft uns gerade allen, glaube ich, in dieser schweren Zeit einen Halt und eine Aufgabe zu haben.

Denkst du, dass „nach der Krise“ solche Netzwerke, wie sie sich nun gebildet haben, Bestand haben werden? Und wenn ja, wie?

Ich glaube, dass uns das als Gastronomieszene nachhaltig verändern wird. Mal sehen, wie lange dieses Gefühl anhält, aber zu Beginn der Krise war es wahnsinnig schön, wie wir uns alle miteinander ausgetauscht und unterstützt haben. Ich hoffe, es bleibt auch in Zukunft so. Ein bisschen Bedenken habe ich trotzdem noch, weil ja am Ende des Tages doch jede*r Einzelkämpfer*in ist in der Gastroszene. Plötzlich ist das aber durch die Krise weggebrochen und man ist eine Gemeinschaft, in der alle die gleichen Probleme, Ängste und Wünsche haben. Ich wünsche mir, dass das auch nach der Krise Bestand hat.

Ihr habt euch als Brauhaus, das sehr viel mit Gemüse arbeitet, einen Namen gemacht. Pflanzenbasierte Küche ist ein Schlüsselfaktor für eine nachhaltigere Gastronomie und Ernährung. Was denkst du: Wird das in Zukunft stärker werden oder ist Nachhaltigkeit doch nur ein „nice to have“, die sich nach Corona kaum noch ein Betrieb wird leisten können? 

Nachhaltigkeit kostet Zeit, aber sie kostet kein Geld. Wenn du es einmal gemacht hast, dann läuft dein Laden auf dieser Schiene und dann kostet dich das keinen Cent mehr, weil du dann Kommunikationswege aufgebaut hast, die zu regelmäßigem Austausch führen. Dann hast du ein Netzwerk an Leuten, die dich mit neuem Input versorgen. Wenn wir uns die Pandemie ansehen, dann kommt sie sehr wahrscheinlich daher, dass Tiere falsch gehalten wurden oder zu eng mit Menschen zusammen gelebt haben. Das scheint der Grund zu sein, wieso Viren aus der Tierwelt auf den Menschen überspringen. Was in der Vergangenheit auch schon in Europa oder den USA passiert ist. 

Ich würde eher dazu tendieren, dass sobald die Krise beendet ist und mehr Beiträge über den Auslöser der Krankheit veröffentlicht werden, es dann eine erneute Diskussion über die Perversität der Massentierhaltung gibt, inwieweit man eigentlich Tiere und welche Tiere man essen sollte. Und wenn du meinst, dass nachhaltig zu sein bedeutet, fleischarm zu sein: Ich glaube zu 100 Prozent, das wird mehr kommen

Was macht ihr am ersten Tag, an dem ihr wieder öffnen dürft?

Das Schöne ist ja, dass so langsam aber sicher solche Gedanken überhaupt zulässig sind. Jetzt denkt man zum ersten Mal darüber nach: Was machen wir eigentlich, wenn wir wieder öffnen? Ich glaube, am ersten Tag sind wir erstmal damit beschäftigt, alles wieder in Gang zu bringen und auch wirklich wieder vernünftig aufzubauen. Einige Tage danach werden wir eine richtig richtig richtig fette Party im Biergarten schmeißen. Das ist mal klar.

Vielen Dank, Ben. Und alles Gute euch! 

Wer Kochen für Helden unterstützen möchte: Hier geht es zur Spendenkampagne

Und den Lieferservice von Brlo findet ihr hier.

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