Gastronomie in einer Welt mit Corona: 26 Gedanken von A bis Z

von Jan-Peter Wulf
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Foto: Redaktion

Es gibt erst einmal kein „nach Corona“. Wie sieht eine Gastronomie in einer Welt aus, die vorerst mit dem Coronavirus leben und klar kommen muss? Wir wissen es nicht. Die folgenden 26 Punkte sind nicht als Handlungsanweisungen oder „Trends“ zu verstehen, sondern einfach als eine sich am Alphabet entlang hangelnde Auflistung von Gedanken, Ideen und aufgeschnappten Beobachtungen. 

A wie Agilität

Das Arbeitskonzept, das vor allem in der Digitalbranche, aber auch schon in der Automobilwirtschaft angewendet wird, kann auch der Gastronomie Impulse liefern: Prozesse gestalten, ohne das genaue Ziel zu kennen. Passt das nicht perfekt in die momentane Situation? Es geht darum, Stück für Stück und auf Sicht zu arbeiten. Teilergebnisse zu kontrollieren, schnell Anpassungen vorzunehmen, möglicherweise komplett umzulenken. Und das in Form von Teams, deren Mitglieder nicht gleichzeitig an Ort und Stelle sind. Undenkbar im Gastgewerbe? Keineswegs, findet Gastronomie-Berater Pierre Nierhaus, mit dem wir über Agilität in der Gastronomie gesprochen haben. Er sagt sogar: Die Branche ist besonders agil. Gastronomen als „product owner“ und die Betriebs- oder Teamleiter*innen als „scrum master“? Mehr zum Konzept der Agilität und den Potentialen für die Branche gibt es im Unternehmensblog von Gastromatic.

B wie Broken Plan

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Den vielleicht abgefahrensten „broken plan“ hat die Zyankali Bar in die Tat umgesetzt.

Vor dem Hintergrund von Abstandsregelungen und anderen Schutzmaßnahmen erlebt der aufgeteilte Raum – im modernen Gestaltungskontext auch als „broken plan“ bezeichnet – sein Comeback. Denken wir an das traditionelle italienische Restaurant in Deutschland, mit Lehmwänden als Separée-Trenner, obendrauf die Chianti-Korbflaschen. Es müssen ja nicht gleich so massive Teilungen sein. Gitter oder offene Regale mit Bepflanzungen und andere Elemente der effektvollen Raumteilung – sie schaffen auch innerhalb eines großen Raums das Gefühl von Rückzugsmöglichkeit, Geborgenheit, Schutz und Sicherheit. Optisch wie akustisch. Mehr zum Konzept in dieser Ausgabe des Zukunftsinstitut-Podcasts: 



C wie Collapsologie

Viel ist dieser Tage zu lesen von der Rückkehr zur Normalität bzw. dem Weg hin zu einer „neuen Normalität“. Doch wie wird dieses „normal“ vor dem Hintergrund von Metakrisen wie Klimawandel und Artensterben in Zukunft aussehen? Ein radikales Denkmodell kommt aus Frankreich, die sogenannte „Collapsologie“. Sie sieht nichts Geringeres als den Zusammenbruch aller Systeme der „thermo-industriellen Gesellschaft“ aufziehen – nicht als kurzfristigen Kollaps, sondern langsam einschleichend, dadurch dass zum Beispiel fossile Ressourcen zunehmend knapper werden. Und dadurch, dass Krisen wie die aktuelle immer häufiger auf uns zu kommen bzw. in eine Perma-Krise münden. Genauer: Wir befinden uns schon mitten drin, wir merken es nur noch nicht so richtig. Was daraus folgt, ist die Notwendigkeit der stetigen Anpassung an neue, unschöne aber alternativlose Gegebenheiten, um weiterleben zu können. Ziemlich harter Tobak zweifellos. Aber einer, der beim Umdenken helfen kann. Mehr dazu in diesem Podcast:

D wie Draußen

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Foto: Saulius Ziura

An der frischen Luft ist das Risiko einer Infektion deutlich geringer als im geschlossenen Raum, betonen die Virologen. Christian Drosten hat in seinem Podcast dazu aufgerufen, der Gastronomie aktuell mehr Außenplatz zuzugestehen. Erste Städte tun dies bereits nach dem Vorbild der Stadt Vilnius. Alternative Sitzgelegenheiten, Pop-up-Biergärten, Schanigärten nach Wiener Vorbild und vieles mehr können, zumindest solange das Wetter mitspielt, für Sicherheit, Wohlgefühl und für dringend benötigte Umsätze sorgen. Mehr dazu in unserem Kommentar

E wie Economy-Gastronomie

Weniger Geld bzw. Budgets (schließlich haben viele Menschen zurzeit Einkommenseinbußen zu verzeichnen) und gleichzeitig diverse der Sicherheit dienende Einschränkungen forcieren eine Anpassung des Angebots. Hin zu einer optimierten, schmaleren Karte und eventuell günstigeren Produkten – bei gleich bleibender Qualität. Eine ziemlich komplexe Aufgabe. Wichtig: Es geht nicht um billig, darum geht es guter Gastronomie nämlich nie, sondern um preiswert für Gäste und praktikabel für Gastgeber*innen. Attraktive, aber unkomplizierte Speisen und Getränke sind angesagt. Gute Einstiegspreis-Produkte, „Streetfoodiges“. Speisen, die sowohl im Restaurant als auch im Takeaway funktionieren. Oder auch smarte Highballs statt hochkomplexer Cocktails zum Medium-Preis bei vergleichbarer Marge. Und alles gerne wie beim Fliegen (was war das noch mal) auf Wunsch als Upgrade/Upselling in umfangreicherer Ausführung mit flankierenden Speisen verfügbar.

Dafür braucht es clevere und professionelle Foodentwicklung bzw. -weiterentwicklung. Wie etwa lässt sich das bisherige „reichhaltige“ Frühstücksbuffet in ein kompaktes, aber attraktives À-la-carte-Angebot umändern? SB am Buffet wird bis auf Weiteres nur sehr eingeschränkt erlaubt sein, ein Frühstück zum Bestellen am Tisch kommt vielen Gästen entgegen. Wie passe ich mein Inhouse-Menü so für den Außer-Haus-Verzehr an, dass es lieferfähig und preiswürdig ist? Hier empfiehlt sich vielleicht die Zusammenarbeit mit einer Beratung. Die gibt es derzeit ja sogar zu 100 Prozent gefördert.   

F wie Finanzplanung, rollierende

Kann man Krisen finanziell einplanen? Wohl kaum. Doch das Konzept der rollierenden Finanzplanung bzw. Liquiditätsplanung hilft, kurzfristiger zu (re-)agieren. Liest man zum Beispiel „Unternehmen XY verwirft Gewinnplanung für 2020“, so hat es auch damit etwas zu tun, dass hier für ein ganzes Jahr vorgeplant wurde. Eine rollierende Planung hat zwar auch Jahresziele, aber überprüft Umsätze und Co. regelmäßig und kann so kleinteiliger, bis zur Tagesaktualität hin, Kontostände und Liquiditäten im Voraus prognostizieren. Wann könnte es eng werden, was lässt sich dagegen tun? Klar: Fehlende Einnahmen macht diese Planung nicht wett, aber sie macht Engpässe und Lücken ebenso transparent wie sie sich auftuende Chancen aufzeigt. Auch hier macht eine Beratung sicher Sinn. Mehr zum Thema Finanzplanung hier. 

G wie Gewerbemietrecht 

Der große Elefant im Corona-Gastraum. Wieso müssen die (gewerblichen) Mieter die Last – sprich die Kosten – im Fall eines Lockdowns oder massiver Einschränkungen alleine tragen, wenn der Vermieter nicht zufällig von sich aus kulant ist? Durch einen nur sehr dünnen Kündigungsschutz, keiner Deckelung anhand von Mietspiegeln und weiteren Benachteiligungen (z.B. indirekter Druck zur Durchführung von eigenen Renovierungstätigkeiten) sind Gastronomiebetriebe und auch andere gewerbliche Mieter, inklusive sozialer Einrichtungen, nicht nur in Krisenzeiten schwer benachteiligt. Und wenn es dann zu einem Lockdown kommt, tickt die Mietenuhr gnadenlos weiter. Andere Länder – Österreich, Schweden – gestalten ihr Gewerbemietrecht fairer. Hierzulande gibt es bislang nur einen Änderungsvorschlag

H wie Homeoffice-Catering 

Auch wenn so manche Videokonferenz technisch nicht ganz rund laufen mag: Viele Betriebe wollen und werden Homeoffice dauerhaft möglich machen, nicht nur Twitter. Es soll sogar gesetzlich verankert werden. Und so wird das klassische Office-Catering wohl vermehrt um Homeoffice-Catering ergänzt: Lieferung nicht nur ins Büro, sondern auch ins Heimbüro der Mitarbeitenden – auf Firmen-Sammelrechnung. Oder ist gar ein dezentrales Geschäftsessen mit Business-Partnern denkbar? Lieferung von guten Lebensmitteln nach Hause als Incentivierung? Mit digitalen Essensmarken oder Apps lässt sich der Prozess steuern, zudem kann es durch die steuerliche Begünstigung als Element des Employer Branding genutzt werden. Der logistische Aufwand ist für die Lieferanten freilich deutlich größer. Aber da kann ein L wie Liefernetzwerk helfen. 

I wie Impfstoff

Als wir kürzlich für ein Portrait den Koch Max Strohe, Betreiber des Berliner Restaurants „tulus lotrek“, fragten, was er sich für die Zukunft wünsche, kam seine Antwort prompt durchs Küchentelefon: „Impfstoff!“ Guter Wunsch. Drücken wir uns allen die Daumen und den Menschen, die daran arbeiten. Ein Mittel gegen SARS-CoV-2 wird nicht nur Leben retten, sondern auch zugleich eine Finanzspritze sein und viele gastronomische Konzepte erst wieder so richtig möglich machen. Vor allem solche, in denen Nähe/Enge, Stehen am Tresen, Bewegen zum Beat und das Knutschen auf dem Klo und so einfach dazu gehört. Für Clubs und Discos gibt es aktuell schließlich überhaupt keine Perspektive.   

J wie Jugend

Werden sich junge Menschen, wird  sich die Generation Z für das Arbeiten im Gastgewerbe interessieren, wenn sie dessen Implosion gerade live miterlebt? Den Krisenmodus einer Branche beobachtet, deren Beschäftigte zu einem großen Teil in Kurzarbeit waren und es zum Teil immer noch sind, von denjenigen, die ihren 450-Euro-Job von einem Tag auf den anderen verloren haben, ganz abgesehen? Machen wir uns nichts vor: Die Branche galt schon vor der Krise als nicht besonders attraktiv. Und in der jetzigen Situation ist es umso dramatischer. Die Zahlen der gefährdeten Betriebe und der sich in Kurzarbeit befindenden Beschäftigten im Gastgewerbe, erste Meldung in den Nachrichten im Deutschlandfunk ist (20. Mai): Wann hat es das je gegeben? Es mag durch Schließungen von Betrieben eine gewisse – freilich unschöne – Bewegung geben, aber viele junge Menschen werden in andere, vermeintlich sicherere Branchen abwandern und wiederum andere gar nicht den Weg ins Gastgewerbe suchen. Mehr denn je ist eine auch an den Wünschen und Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen ausgerichtete Gastronomie und Hotellerie gefragt, wo sich Mitstreiter*innen ebenso wohl fühlen wie zahlende Gäste. Wo ihnen ein faires Gehalt, faire Arbeitszeiten und eine Perspektive geboten wird. Nein, das wird nicht einfach. Aber gibt es eine Alternative? 

Der Krisenmodus wird nicht von heute auf morgen verschwunden sein. Sich als Unternehmen krisenresistenter (siehe R wie Resilienz) aufzustellen, bedeutet insbesondere, die Menschen des Unternehmens zu ermächtigen, damit umzugehen. Auch das ist nicht einfach – denken wir nur mal daran, wie unterschiedlich Menschen in unserem Umfeld mit der aktuellen Krisensituation umgehen, wie unterschiedlich (groß) ihre Sorgen, Hemmungen und Ängste sind. Und wie jede*r von uns mit verschiedensten eigenen Stimmungen umzugehen hat, teilweise binnen eines Tages. Diese emotionale Teamarbeit reicht von mentalem Aufbau und Einbezug in Entscheidungsprozesse bis zur Unterstützung über staatliche Hilfen hinaus. Das „Noma“ in Kopenhagen ist in vielerlei Hinsicht ein besonderer gastronomischer Betrieb, und auch die im Kontext der Corona-Krise aufgebaute Operation Family Mode zur Unterstützung des Teams – inklusive ehemaliger Mitarbeiter*innen – beinhaltet Dinge, bei denen man sich was abgucken kann. 

K wie Konsumtrotz

Die Ausgaben für Konsumgüter, vor allem im Luxusbereich, gingen nach dem Lockdown in China teilweise stark in die Höhe. Revenge spending wird das Phänomen genannt, man könnte es mit „Konsumtrotz“ eindeutschen. Oder etwas netter: Konsumfreude. Lässt sich dieser Wunsch, jetzt aber erst recht Geld auszugeben, auch in einer Branche wie der Gastronomie versilbern, in der es eigentlich keine Nachholfeffekte gibt und wo die verfügbaren Budgets (siehe E) zudem nun kleiner sind? Vielleicht schon: Mit besonders opulenten Angeboten und „kulinarischen treatments“ für diejenigen, die es sich nun aber mal so richtig leisten wollen und können. Wie wäre es zum Beispiel mit einem exklusiven Death In The Afternoon –  8cl Absinth, eine Flasche Crémant und ein Taxiruf für zusammen 45 Euro – als Snob-Produkt auf der Getränkekarte? Oder vielleicht mit einer Deluxe-Lieferung von Produkten aus der Region im Abo? 

L wie Liefernetzwerke 

Diverse Zusammenschlüsse zwecks Lieferung sind in der Lockdown-Zeit entstanden, von Support Your Münchner Drinks bis Archipel Berlin. Das Kollektiv Kolyma2 versteht sich als faire Alternative zum Branchenriesen Lieferando, gegen dessen Arbeitsbedingungen die Initiative wie Liefern am Limit und eine Petition protestiert. Komplementäre Produkte bündeln, gemeinsam anbieten – wie das geht, erklärt Peter Duran vom „Isla“ in Berlin-Neukölln im Webtalk des Feminist Food Club (der generell mit seinen Corona Crisis Talks ein überaus inspirierendes Lockdown-Programm ins Leben gerufen hat).  

M wie Mediterranisierung

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Kiekste: Auch eine Weisse mit Schuss kann ein Aperitif sein.

Von loungigen Outdoormöbeln auf der Terrasse bis hin zum Aperitivo in Form des ewigen Aperol Spritz: Die Mediterranisierung ist ein Dauertrend – der Mitteleuropäer sehnt sich nach einem Stück vom Lebensgefühl, wie man es südlich der Alpen pflegt. Und die klimatischen Veränderungen tragen ihren Teil – ein positiver Effekt einer grundsätzlich sehr negativen Entwicklung – dazu bei. So erscheint es für immer mehr Menschen attraktiv, D wie draußen zu sitzen und zu essen und zu trinken – und das längst nicht nur in den Sommermonaten. Das hilft jetzt: Alle wollen nun umso mehr draußen sitzen.


N wie Netto

Ob die Reduktion der Mehrwertsteuer für Speisenverzehr im Restaurant tatsächlich Umsatz-Effekte für die Betriebe zeitigen wird, bleibt abzuwarten. Die Gastronomie sollte zukünftig mehr in Netto statt in Brutto denken. Welchen Preis, vor Mehrwertsteuer, kann und muss ich aufrufen? Und kann ich das nicht transparent machen? Es gibt Länder, zum Beispiel die USA, in denen viele Gastronomien sogar den Preis „before tax“ in die Karte schreiben. Macht ja auch Sinn, weil eine Steuer ist eine Steuer. Und die Mehrwertsteuer kann man im Gegensatz zu anderen Abgaben sehr klar einzeln, je Position, ausweisen. Passiert ja auch, nur als „darin enthalten“: Hierzulande ist der Preis inklusive Mehrwertsteuer nicht nur Usus, sondern vorgeschrieben. Doch wäre nicht allen Seiten mit mehr Transparenz, wie ein Preis zustande kommt, geholfen? Durch die Reduktion der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent bei weiterhin ausgewiesenen Bruttopreisen hingegen wurde die Intransparenz gefördert: Es wird nämlich nicht sichtbar gemacht, dass die zusätzliche Marge von zwölf Prozent einbehalten wird. Was man den Betrieben in dieser Lage wirklich nicht übel nehmen kann. Aber: Die reduzierte Mehrwertsteuer ist dafür gedacht, dass bestimmte Produkte für den Verbraucher günstiger werden. Es liegt somit eine Zweckentfremdung vor, wenn die Vergünstigung – weniger Steuer – nicht durchgereicht wird. Nicht falsch verstehen: Speisen sollen ja gar nicht günstiger werden, schon eher das Gegenteil. Also: Wie muss mein Preis netto aussehen, damit ich die Wertschätzung, die ich einfordere, auch monetär abrufen kann? 

O wie Ort

Lage, Lage, Lage war bisher immer das Credo, und damit sind meist zentrale, verkehrsgünstige, hoch frequentierte Lagen gemeint, wenn es um Gastronomie geht. Was aber, wenn Tourismus bis auf Weiteres nur noch eine untergeordnete Rolle spielt? Wenn Menschen ihre Mobilität aus Sicherheitsgründen eingrenzen, so weit es geht? Reisen, privat wie dienstlich, insgesamt weniger wird? Dann erleben wir womöglich das Comeback der lokalen Anbindung und Verwurzelung. Und in diesem Zuge der Nachbarschaftsgastronomie im neuen Gewand – auf die Bedürfnisse des lokalen oder hyperlokalen Umfelds abgestimmt. Traditionell, modern, bodenständig, mit authentischer ethnischer Küche – je nach Beschaffenheit und Struktur des Kontexts. Ein solcher Ort sieht in einer Mittelzentren-Wohngegend sicher anders aus als in Ottakring oder im Wedding. Er fungiert als Ort der Einkehr, aber auch als Nahversorger, bei dem Speisen und Getränke – Lebensmittel – eingekauft, abgeholt, zur Lieferung bestellt und wie auch immer bezogen werden können – wie zum Beispiel der neue Adlerhof in Wien. Viele Restaurants haben sich im Lockdown zum Feinkoster und zur Verkaufsstelle für Produkte des Genusshandwerks gewandelt, mit eigenen Erzeugnissen und denen ihrer Lieferanten. Damit schaffen sie ein neues vor-Ort-Angebot und stellen sich zugleich, siehe R, widerstandsfähiger auf, wenn der Restaurantbetrieb eventuell wieder nicht gestattet oder nur eingeschränkt möglich sein sollte. 

P wie Pickup-Points 

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Das „Strassenbräu“ in Berlin-Friedrichshain hat während seines Lockdowns Bier vom Fass im Bagelshop nebenan als „Wegbier to go“ angeboten

Man stelle sich eine DHL-Packstation vor. Oder einen Kiosk, der auch Pakete annimmt bzw. sie zur Abholung bereit hält. Speisen aus dem Restaurant – vornehmlich kalte – auch anderswo anzubieten, in einer Buchhandlung, im Späti, wo auch immer: Warum nicht? Oder Speisen und Getränke nicht nur nach Hause oder ins Büro zu liefern, sondern an bestimmte Abholpunkte? Zum Beispiel als Pickup fürs Picknick? Der Unterschied zum klassischen Liefern: Der Empfänger muss nicht zum gleichen Zeitpunkt vor Ort sein wie der Lieferant. Er muss aber auch nicht zum Restaurant kommen. Eine neue Serviceform, dezentral und asynchron. 

 

 

 

Q wie QR-Code

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Foto: Redaktion

Bislang wurde der QR-Code hauptsächlich von Plakaten abgescannt – von den Plakatierenden selbst, um zu testen, ob der Weg ins Digitale funktioniert. Und von der Zugbegleitung, Smartphone heller machen, bitte. Wer hätte gedacht, dass dieses olle Ding nochmal so eine wichtige Aufgabe bekommt wie jetzt. Dein ganz großer Auftritt, lieber QR-Code. Enjoy. Ein kostenloses Tools für die Gastronomie gibt es hier

R wie Resilienz

Das Buzzword des Jahres. Wie widerstandsfähig und krisenbewältigungsfähig ist ein Individuum, ein Unternehmen? Und wie wird es das mehr in einer Welt zunehmender und anhaltender Krisen? Ein Allheilmittel gibt es nicht, wohl aber lässt sich sagen: Zusätzliche Standbeine – wie to-go-Geschäft oder Lieferung, aber auch die Nutzbarmachung der eigenen Produktionsfläche für Dritte zur besseren Auslastung – helfen. Und je besser die Individuen, zum Beispiel die Mitarbeiter*innen, mit einer Krisensituation umgehen können, desto besser tut es das auch das Gesamtgefüge einer Gastronomie. Das mag nach einer Binsenweisheit klingen, doch es ist schon einen Gedanken wert: Wie schaffe ich es als Betrieb, nicht nur „meine Leute mitzunehmen“ sondern vielmehr gemeinsam „aus allen heraus“ eine fortwährend stürmische See zu befahren? Das Coaching- und Fortbildungsangebot in diesem Bereich wird – es muss sich schließlich selbst anpassen – zukünftig sicher immer umfangreicher sein. Mehr dazu im Radiogespräch mit Resilienztrainer Marc Wallert (die Älteren unter uns werden sich an seine krasse Familienurlaubs-Story erinnern). 

S wie Sharing

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Speisen teilen: Was vor ein paar Monaten noch völlig normal war – hier ein Bild eines geschäftlichen Frühstücks – ist gerade noch ziemlich undenkbar

Was wird nun aus dem Foodtrend der vergangenen Jahre? Sharing is caring, alles in die Mitte, genossen wird gemeinsam und das bitte möglichst mit den Fingern? Es sind vorerst keine guten Zeiten fürs „family style dining“ bei all den neuen Hygienebedingungen – oder vielleicht doch? Warten wir ab, ob und wie sich gastronomische Betriebe hier etwas einfallen lassen und wie die Gäste reagieren. Innerhalb einer Hausgemeinschaft essen gehen und Speisen teilen zu können, wäre ja schon mal ein erster Ansatz. 

T wie Trinkkultur-Tragödie 


Während die Restaurants nach dem Lockdown überall peu à peu wieder öffnen dürfen (manche entscheiden sich freilich aus wirtschaftlichen Gründen dagegen), ist das bei Bars längst nicht überall der Fall. In einigen Bundesländern ja, in anderen nicht. In der Barstadt Berlin sind Stand 22. Mai alle Bars weiterhin geschlossen – außer sie haben, auf einige wenige trifft das zu, eine Konzession für den Verkauf von Speisen. Sie müssen Speisen noch nicht mal anbieten, um öffnen zu dürfen. Absurd! Wenn Essen über Öffnen oder nicht entscheidet: Na klar, dann wird aus einem Gin Basil Smash eben ein flüssiges Dessert.

Im Ernst: Dahinter steckt ja ein nachvollziehbarer Gedanke. Wo getrunken wird, da lassen sich Abstände nicht einhalten, so die Vermutung. Und das trifft auf viele Orte sicher zu. Nicht aber auf die klassische Bar, einen Ort der Trinkkultur. Davon gibt es allein in Berlin so um die hundert Stück. Das sind Orte, die sämtliche Hygiene-Auflagen erfüllen können, die Gäste platzieren können, die Stehplätze abschaffen können oder eh nicht anbieten, die … meine Güte, wart ihr politischen Entscheider*innen mal in einer richtigen Cocktailbar, habt ihr gesehen, wie sauber es da ist? Wie gediegen es dazugeht? Wie wenig es darum geht, sich dort bis zur Hutschnur volllaufen zu lassen? Wäre der Ausschank von Alkohol das Problem an dieser Stelle, dann müssten auch Restaurants ihn derzeit unterbinden oder stark eingrenzen. Ist es aber nicht. Es geht darum, dass Menschen sich hinsetzen können und nicht rumstehen und rumlaufen. Kein Verkauf am Tresen, schade, aber muss sein. Klassische Bars funktionieren im Prinzip wie Restaurants, Punkt. Es gibt ein von der Bartenderin Susanne Baró Fernandez entwickeltes, vollumfängliches Hygiene-Konzept, das für Bars genauso funktioniert wie für Restaurants. Bis heute gibt es darauf kein Feedback des Berliner Senats. Und es gibt weiterhin keine Perspektive. 

U wie Umarmung

Hm. Vielleicht so? 


V wie VUCA

Diese vier Buchstaben stehen für Volatität, Unsicherheit, Komplexität (Complexity) und Ambiguität. Ein aus der US-Militärführung nach Ende des Kalten Krieges stammender Begriff, der wie so viele andere aus diesem Bereich Eingang in die Unternehmenswelt gefunden hat. Was haben sich VUCA und eine Welt mit Corona zu sagen? Einiges: Stellen wir uns darauf ein, dass das „neue Normal“, was auch immer es sein wird, wenig mit Stabilität, Kontinuität oder gar einem Zurück zu alten Zeiten zu tun haben wird. Eher mit ständiger Neuausrichtung und Anpassungsfähigkeit. Mit der Kompetenz, zu pivotieren (und z.B. einen Lieferdienst binnen weniger Tage auf die Beine zu stellen, wie es so viele erfolgreich getan haben) und – das ist eine Riesenherausforderung – Mitarbeiter*innen mit auf die Reise ins Ungewisse zu nehmen, siehe J. Es gibt noch ein zweites VUCA, das bei der Entwicklung einer Strategie für den Umgang mit dem ersten helfen will: Vision, Understanding, Claritiy – und Agility (siehe A). Es gibt bereits erste Gastro-Beratungen, die sich speziell mit den VUCAs auseinander setzen. 

W wie Weniger

Wie viel weniger? Zehn Prozent? 25? Noch mehr weniger? We don’t know. Aber es sieht danach aus, als ob es in der Welt mit Corona deutlich weniger Gastronomie geben wird – weil viele Betriebe den Umsatz-Totaleinbruch nicht überleben werden, schon jetzt haben einige trauriger Weise das Handtuch werfen müssen. Die Zehner-Jahre in Deutschland liegen hinter uns und mit ihnen ein wahrer Gastronomie-Boom vor allem in den Metropolen. Wäre es auch ohne Corona zu einer nun vor uns liegenden Konsolidierung gekommen?
Es gibt da noch ein zweites Weniger, ein Weniger im Sinne eines mehr Maß haltenden Lebensstils,den viele Menschen gerade „erlernen“, wenngleich gezwungenermaßen, aber dann feststellen, dass es doch ganz gut geht. Und auch, wenn es eine nicht besonders bequeme Wahrheit ist, so stimmt sie dennoch: Nachhaltig wird unser Lebensstil nur, wenn wir alle weniger konsumieren und endlich den Weg in eine Postwachstums-Gesellschaft beschreiten. Daran schließt sich die Frage an: Wie sieht eine auf ein Weniger ausgerichtete, „suffiziente“ Gastronomie aus? Die Art und Weise, wie Covid-19 höchstwahrscheinlich in unsere Welt gekommen ist, wie es zoonotische Infektionen immer häufiger tun – getrieben nämlich insbesondere durch Raubbau in der Natur, durch immer tieferes Eindringen in diese, und das vor allem zur Food-Produktion, sollte uns vor Augen führen: Nachhaltigkeit und Ressourcenbewusstsein sind nun wichtiger denn je.

X wie X-Events

X-Events sind unvorhersehbare, plötzlich eintretende Situationen bzw. Katastrophen, die die Menschheit als Ganze herausfordern. Ja, genau: So etwas wie das, was wir gerade, wenngleich in Zeitlupe, erleben. Wie geht man damit um? Das Zukunftsinstitut hat 2012 einen guten Text dazu geschrieben. Den letzten Satz aus diesem Text stecke man den Verschwörungstheoretikern an den Aluhut: „Die wirkliche wahre Gefahr für die Zukunft ist die Blödheit, die aus Hysterien entsteht.“

Y wie Yes

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Wie viele andere Gastro-Unternehmen hat sich auch Koral Elcis „Kitchen Guerilla“ an „Kochen für Helden“ beteiligt und wird auch nach dem Lockdown weiter Essen für Obdachlose kochen

Es ist wirklich beeindruckend, wie viel Gastgeber*innen in dieser Krise, die sie ganz besonders trifft, einfach Ja gesagt und weiter gemacht haben. Wir dürfen keine Gäste empfangen? Dann geben wir ihnen etwas Leckeres zu Essen oder Trinken durchs Fenster mit. Oder wir kommen bei ihnen vorbei. Oder wir veranstalten einen Genussmarkt. Oder halten mit Online-Kochkursen, Yoga-Sessions oder einem Animationsprogramm für die Kids den Kontakt zum Kunden. Oder, und das ist das größte Yes der Corona-Zeit, wir kochen für diejenigen, die es nun ganz besonders nötig haben. Ob im Rahmen der großartigen Initiative Kochen für Helden oder auf eigene Faust: Die Zahl der für Menschen in Funktionsberufen ehrenamtlich zubereiteten Speisen geht wahrscheinlich in die Millionen. Warum dieses Engagement? Das hat uns der Koch und Gastronom Ben Pommer im Interview so erklärt: „Wir haben die Expertise, die Orte, die Mitarbeiter*innen und den Willen, etwas Gutes zu tun. Ihr bekommt es einfach. That’s it. Deine Kantine ist zu und ich kann dir gerade helfen, also tue ich das einfach und dann fahre ich wieder. Wenn man einmal mit dem Auto vor dem Krankenhaus vorfährt, seinen Kofferraum aufmacht und den Leuten die Gerichte – natürlich kontaktlos – übergibt, ist das einfach wahnsinnig erfüllend. Und am Ende genau der Grund, warum wir Gastronomie machen: Um Menschen mit unseren Produkten glücklich zu machen. Nur dass wir jetzt eben nichts dafür bekommen und das ist auch gut so.“ 

Z wie Zweite Welle

Die Expert*innen rechnen mit einer zweiten und möglicherweise sogar dritten Welle. Dann wird ein erneuter Lockdown vermutlich unumgänglich sein. Mit allen Konsequenzen, die er auch für das Gastgewerbe und alle Wirtschaftszweige erneut mit sich bringt. Bereiten wir uns darauf besser vor. 

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