Dennis Wolf, Gastronomie gegen Rassismus e.V.: „Wir überlassen das Thema nicht den Populisten, wir holen es zurück und laden es mit Liebe auf!“

von Jan-Peter Wulf
dennis wolf - interviews-portraits, gastronomie Dennis Wolf, Gastronomie gegen Rassismus e.V.: „Wir überlassen das Thema nicht den Populisten, wir holen es zurück und laden es mit Liebe auf!“

Dennis Wolf ist 1. Vorsitzender des Vereins „Gastronomie gegen Rassismus“. Foto: Redaktion 

Ein klares Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in der Branche und überhaupt: Dafür setzt sich der Verein „Gastronomie gegen Rassismus e.V.“ seit 2016 ein. Wir haben uns mit Gründer Dennis Wolf auf einen Kaffee getroffen und uns erklären lassen, wo das Projekt im Herbst 2019 konkret steht und welche Pläne der Verein für die Zukunft hat – zumal in einer Zeit, in der ein Rechtsdrall nicht mehr wegzuschweigen ist.  

Dennis, wie und warum ist Gastronomie gegen Rassismus eigentlich entstanden?

Dafür gab es mehrere Anlässe. Erstens: Wir befanden uns 2015 auf dem Höhepunkt der so genannten Flüchtlingsdebatte, ich war wahnsinnig erschrocken über den Populismus, die Aussagen im öffentlichen Raum, die da getätigt wurden. Zweitens gab es da einen persönlichen Bezug: Ein ehemaliger Mitschüler meiner Frau hatte einen Facebook-Aufruf gemacht, ein junger Mann aus Mali brauchte eine Unterkunft. Wir zwei saßen in unserem Hochbett, sie schwanger, wir hatten drei Durchgangszimmer – egal, der pennt bei uns! Und dann saß ich im August nachts da, hatte Sascha Lobos Kolumne gelesen – mit ihm habe ich 1994 zusammen Abi gemacht – und er schrieb zum dritten Mal etwas über das Thema in Folge. Ich musste los, das Solar zuschließen, das ich damals geleitet habe und dachte: Es reicht. Du musst was machen. Bin mit dem Roller hin, oben im Solar habe ich eine Brandmail geschrieben an Kollegen – lasst uns was machen. Aber was: Machen wir eine Initiative? Schnell war klar, wir brauchen eine rechtliche Absicherung. Bis der gemeinnützige Verein stand, hat es dann über ein Jahr noch mal gebraucht. Tja, da sind wir jetzt.

Wie viele Mitglieder hat der Verein heute?

Knapp 90. Es läuft etwas schleppend. Es gibt unglaublich viele Leute, die dabei sein wollen, die das Online-Formular ausfüllen, aber es dann nicht schaffen, auf einen Haken zu drücken und das Ganze bestätigen … es sind halt Barleute (lacht). Im Vorstand sind wir sechs Personen. Mein Vater ist Schatzmeister, er kümmert sich als ehemaliger Projektmanager um die Strukturen.

Was ist eure Mission?

Wir wollen Initiatoren für die Branche Initiatoren sein, Vorbildfunktion übernehmen. Als Sprachrohr des Gastgewerbes. Als Gastronomie tragen wir die DNA von Weltoffenheit, Respekt und Toleranz ja eigentlich in uns. Denk‘ mal an den Gasthof früher: „Es ist mir egal, wer du bist und wo du herkommst. Hauptsache, du kannst zahlen und machst mir meinen Laden nicht kaputt.“ Aber im Alltag sieht es oft anders aus, hier haben wir eine wichtige Aufgabe: bilden. Wie verhalte ich mich in Konfliktsituationen, als verantwortliche Person?

Und wie sieht diese Bildung konkret aus?

In Bamberg zum Beispiel machen wir jetzt ein Projekt zum Thema Sprache und Gewalt mit unserem Mitglied Jeanette Nguyen. Sie hat Erwachsenenbildung studiert und ein Workingpaper erstellt, aus dem man viel ableiten kann. Wir haben dazu Bierdeckel designt mit etwas provokativen Sätzen, die legen gerade testweise im Süden aus.

Was steht auf den Bierdeckeln drauf?

Zum Beispiel: „Du sprichst aber wirklich gutes Deutsch“.

Ein trauriger „Klassiker“. Was macht ihr darüber hinaus?

Stammtische und runde Tische in den Regionen. In Potsdam gibt es mit Ronny Rammelt von der Bar Fritz’n und seinen Leuten eine starke Antifa-Community, die einfach schon immer da ist. Eine Art gallisches Dorf, für uns ein toller Unterstützerkreis. Dort werden wir ein Konflikttraining machen mit einem Trainer und 20, 30 Gastronomen: Was mache ich, wenn ein Neonazi in den Laden kommt? Das sind Themen, die dort einfach sehr relevant sind. In Köln und München sind es wieder ganz andere Dinge und Engagements.

Es ist doch so: Jeder kann in einer bestimmten Lebenssituation zu einem Opfer werden. Das kann dir immer passieren! Du hast dann immer die Berechtigung, das sagt auch unser Grundgesetz, zu sagen: Das tut mir weh. Solche Dinge spiegeln mir Bartender mit Migrationshintergrund wieder: Es trifft sie, wenn Leute ihnen sagen, du sprichst gutes Deutsch, auch wenn die es nicht böse meinen. Wir wollen darauf aufmerksam machen: Dreh mal bitte deine Wahrnehmung um. Bemühe dich, sei achtsam. Wir leben in sensiblen Zeiten, Kommunikation kann gewalttätig sein und viel Schlimmes auslösen. Also lasst Menschen bitte den Raum zu sagen: Ey, das tut mir weh, das fand ich nicht gut. Damit man merkt, dass es nicht selbstverständlich ist.

Es gibt ja auch einen, nennen wir ihn mal etwas unbeholfen, unsichtbaren Rassismus. Einen zeitlich-räumlichen. Spüler*innen, überproportional oft people of colour, die ganz hinten in der Küche arbeiten oder Putzkräfte, die dann arbeiten, wenn alle anderen schlafen. Es sind oft Leute, die oft nicht um ihre Rechte wissen, sie werden manchmal sogar unwissend gehalten. Wie denkst du darüber?

Das ist eine Sache, die uns als Gesellschaft betrifft: In welchem Denksystem befinden wir uns? Menschen, die vielleicht als Geflüchtete herkommen, die es schaffen, eine Zufriedenheit zu entwickeln, obwohl sie sich mit wenig begnügen müssen, die sich trotzdem erfreuen, ihre Familie hier haben zu können – die ringen mir wahnsinnig viel Respekt ab. Das ist eine Fähigkeit, die wir in der Wohlstandsgesellschaft kaum noch haben. Derart existenzielle Dinge sind so weit weg, dass wir darüber gar nicht nachdenken.

Langfristig wird es mehr Migration geben, die Gesellschaft und die Gastronomie wird noch diverser sein. Ich befürworte das total, aber ich sehe die Herausforderungen wachsen: Bereicherung auf der einen Seite, Konfliktpotential durch sprachliche Barrieren und kulturelle Differenzen auf der anderen, die schlimmstenfalls in Formen des Rassismus enden können. Es braucht Aushandlung und Begleitung.

Und wir bewegen uns ja gerade leider sogar eher zurück! Es gibt meiner Meinung nach eine gewisse Unsicherheit und Unzufriedenheit bei vielen Menschen. Ängste sogar, aus denen die Bereitschaft für vermeintlich einfache Antworten entsteht. Für einfache, dumme Antworten, denen man leicht verfallen kann.

Du bist im Hauptberuf bei einem großen, internationalen Getränkeunternehmen beschäftigt. Klar: Diese Branche kann Initiativen finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen. Aber darüber hinaus – was ist mit Diversity-Programmen, codes of conduct – kann die sehr kleinteilige Gastronomie von den global operierenden Getränkemultis nicht auch was lernen?

Das mit der Zusammenarbeit mit der Industrie ist eine große Herausforderung. Für das „Leuchtfeuer“-Event, ich erkläre gleich, was das ist, habe ich alle Firmen angesprochen. Viele haben gesagt: Wir machen keine politischen Aussagen. Okay, dann geht es eben in die zweite Runde, dafür bin ich ja auch da: Passt mal auf, habe ich ihnen gesagt, alles was wir machen, fußt auf dem Grundgesetz. Wir machen nichts Tagespolitisches, wir reden nicht über irgendeine Partei, denn wir sind überparteilich. Weltoffenheit, Freiheit, Miteinander, Vorbildfunktion – darüber reden wir. Das ist die Integrität, die wir bewahren müssen.

Ich denke, am Ende lassen sich alle überzeugen, wenn man gut erklärt: Steht ihr alle solidarisch hinter dem, was wir hier machen, dann beschützt ihr euren Unternehmensgegenstand, nämlich das Werte- und Ordnungssystem, in dem wir das hier alles machen können – trinken, genießen, feiern und so weiter. Aber: Es ist eine Herausforderung.

Und jetzt: Was ist das Leuchtfeuer?

Eine zweiteilige Veranstaltung, die wir an einem Montag voraussichtlich im Februar in Leipzig stattfinden lassen. Wir laden die Barleute ein, 300 ungefähr, wir kriegen sogar Reisegutscheine von der Deutschen Bahn. Wir kommen mittags an. Erst gibt es im „Werk 2“ einen Bildungskongress, vier mal eine Dreiviertelstunde mit vier Vorträgen und Workshops: Sprache und Gewalt, Diskriminierung aus der Sicht einer Frau in der Gastronomie, ein Konflikttraining und dann macht die Barcrew vom „Provocateur“ einen Team-Workshop. Um 20 Uhr öffnen wir dann die Hallen und werden mit Barteams aus der ganzen Region, mit Food von Chicago Williams und der Kitchen Guerilla, einem Major-Musikact und natürlich allen Leipzigern die Hütte abreißen.

Das klingt gut.

Das „Leuchtfeuer“ wollen wir dann einmal im Jahr in verschiedenen Regionen machen. Wir wollen raus strahlen in andere Branchen, damit die sagen: Die laden das Thema positiv auf, das ist geil. Wir überlassen das Thema nicht den Populisten, wir holen uns das zurück. Und laden es mit Liebe auf!

Vielen Dank und viel Erfolg, Dennis. 

Zum „Bar Convent Berlin“ veranstaltet „Gastronomie gegen Rassismus“ eine Demonstration vom Brandenburger Tor zum Messegelände. Auf der Messe werden am Stand 5-GgR Video-Statements von Bartender*innen gegen Rassismus präsentiert, die jeweils mit dem Satz enden: „Ich bin Gastgeber und farbenblind. Du auch?“
Mehr Infos unter www.ggr-ev.de.

 

Weiterlesen:

KOMMENTIEREN

* Durch die Verwendung dieses Formulars stimmen Sie der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website zu.