Jessica Lackner: „Menschen in ihre Kraft bringen“

Ein Gespräch mit der Autorin von „Fachkräftemangel oder Machkräftemangel?“

von Jan-Peter Wulf

IMG 8111 - personal, management, gastronomie Jessica Lackner: „Menschen in ihre Kraft bringen“

„Wir haben zwar einen Fachkräftemangel, aber einen noch größeren Machkräftemangel. Wahre Machkräfte unter den Führungskräften zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Fähigkeit besitzen, Potenziale zu erkennen und Menschen dabei zu helfen, sich zu Teammitgliedern zu entwickeln, die maximal performen.“

Sagt Jessica Lackner, die aus einer Berliner Gastronomie-Familie stammt, 20 Jahre Branchenerfahrung hat, heute in Österreich lebt und als Coach und Beraterin arbeitet. Wir haben uns mit ihr über Stellenanzeigen, positive Mindset-Spiralen und den Unterschied zwischen Führen und Managen unterhalten.

Jessica, wie erlebst du in Österreich die aktuelle Situation? Hier sieht man überall Aushänge, es sind viele Positionen zu vergeben. Wie ist es bei euch? 

Hier suchen genau so viele Betriebe Leute. Viele haben schon zu, weil sie keine finden. Und die aktuellen Stellenanzeigen sehen aus wie schon vor zehn Jahren. Als hätten alle den gleichen Kurs besucht.

Wie sollte eine Stellenanzeige jetzt denn aussehen?

Die Menschen, die sich bewerben, fragen sich als allererstes: Warum soll ich zu dir kommen? Stellen wir uns hundert Schiffe in einem Hafen vor: Die liegen da und ich kann mir als Bewerber eines dieser hundert aussuchen. Wieso soll ich auf Schiff X mitfahren oder Y? Wir dürfen daher schon mal als erstes aufzeigen: Wofür stehen wir überhaupt? Was sind unsere Werte? Was ist unsere Firmenkultur? Welche Menschen wollen wir bei uns haben, passen die Werte zusammen? Ich habe mich mit vielen jungen Menschen darüber unterhalten. Die wollen besonders wissen, ob das Unternehmen ihre Werte teilt. Sie finden es im Vorfeld nur gar nicht heraus! Das gilt es zu zeigen, mit einem Video, auf Instagram, das kann man auch auf TikTok machen! Es ist so leicht, die Philosophie auf diesem Wege zu teilen, indem ich die Mitarbeiter, die ich schon an Bord habe, mitnehme: Mach’ doch mal eine Story, wie dein Arbeitsplatz aussieht, zeig’, was du heute machst. Die Leute haben leider Vorbehalte, so was zu machen.

Wir dürfen alle mutiger sein, dem Wandel entgegen zu gehen. Wenn ich eine Stellenanzeige mache, dann muss in den ersten Sekunden des Lesens die Emotion rüberkommen. Am Anfang steht immer beispielsweise: „Wir suchen einen Kellner. Du musst mitbringen: Das und das und das.“ Es gibt so viele junge Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, die hören dann schon auf zu lesen. Wir schreiben zu viel über Erwartungen und lösen damit Zweifel bei ihnen aus: Kann ich das überhaupt? Was dazu führt, dass sich die Leute nicht melden. Zeig’ den Menschen, was sie bei dir bekommen. Mein Mann hat ein Holzwarengeschäft, der hat einfach eine Anzeige geschrieben, was er macht, wie er denkt, einfach aus dem Herzen raus. Und hat binnen kürzester Zeit 20 Bewerbungen gehabt.

Du hast in deinem Buch den Begriff Machkräftemangel eingeführt. Was meinst du damit?

Wir haben viel zu viele Führungskräfte, die managen. Wir brauchen viel mehr, die die Menschen so nehmen, wie sie sind und in ihre Kraft bringen. Die sich nicht auf das Können, sondern auf das Wollen konzentrieren. Machkräfte kennen jede Position im Betrieb selbst. Sie können natürlich nicht immer überall mitarbeiten, doch sie wissen, wie es funktioniert. Was hilft, um Quereinsteiger zu motivieren und zu führen.

Ist das nicht eine gute Botschaft für die inhaber*innengeführte Gastronomie, wo der Chef bzw. die Chefin die Handgriffe kennt? Sind Gastronom*innen nicht per se Machkräfte?

Nicht alle. Ich kenne genug, die es nicht sind. Die nicht jede Position selber können – leider. Als ich im Strandbad am Wannsee angefangen habe, hieß es: Frauen gehören nicht an die Fritteuse, Frauen dürfen kein Bierfass wechseln. In der Welt meines Vaters (der zuvor den Betrieb leitete, Anm. d. Red.) durften nur bestimmte Menschen an bestimmten Positionen arbeiten. Ich stand dann vor der Herausforderung, wenn Leute abgesagt und gefehlt haben – also das, was jetzt alle gerade erleben – was mache ich jetzt? Für mich war das der Gamechanger. Ich habe komplett alles selbst gelernt und habe es dann, sobald ich es konnte, den nächsten gezeigt. Ich habe zu 95% Quereinsteiger eingestellt. Wer hat Lust hier zu arbeiten, wer passt zu meinem Wertesystem? Alles andere konnte ich den Leuten beibringen – aber dazu musste ich erst einmal zu einer Machkraft werden.

Wie wird man denn zu einer Machkraft?

Am besten suchst du dir einen Sparringspartner, der dich da hinbringt. Führungskräfte haben oft niemanden, mit dem sie sich austauschen können. Das wäre der ideale Weg. Was die meisten machen: Erst wenn der Leidensdruck am größten ist, ist man bereit, einen anderen Weg zu gehen. Ich sehe es immer wieder in der Gastronomie: Wenn alles läuft, wieso soll ich was ändern? Wenn ich die Leute frage: Wo willst du in fünf oder zehn Jahren stehen mit deinem Unternehmen, dann kann mir das niemand beantworten.

Warum ist das so?

Weil die Leute sich zu selten mit ihrer eigenen Rolle auseinander setzen. Was bedeutet es, Führungskraft, Unternehmer zu sein? Ich habe das damals, mit 21 Jahren, auch nicht gemacht. Ich hatte keine Ahnung, wie Führung funktioniert und hatte dann plötzlich vier Betriebe mit 100 Mitarbeitern. Ich habe lange gebraucht, mir der Rolle klar zu werden.

Was würde der Coach Jessica Lackner der Jung-Gastronomin Jessica Lackner auf den Weg mitgeben?

Bevor du diesen Tag im Strandbad antrittst: Wie willst du sein, was ist deine Rolle? Dein Leitbild? Wofür stehst du? Ich habe ich mich nicht mit beschäftigt, was dazu führte, dass ich alles erlebt habe. Ich wurde nicht respektiert, wurde beklaut, mir sind die Leute weggelaufen, Fachkräfte habe ich nicht gefunden. Ich bin daran selbst fast kaputt gegangen. Ich würde mir definitiv vorher vornehmen, die eigene Führungspersönlichkeit zu entdecken.

Einen wie ich finden sehr schönen Impuls dazu liefert der „positive Mindset-Loop“ aus dem Buch. Er zeigt, dass es neben der berüchtigten Abwärtsspirale, die wir alle kennen, auch anders herum, aufwärts geht. Und dass der Effekt auf andere abstrahlt. Kann man das trainieren, systematisieren?

Ja. Das mache ich selbst seit acht Jahren. Ich habe damit angefangen, als mein Leidensdruck wie beschrieben sehr groß war. Als mir permanent die Menschen weggerannt sind und ich das so nicht mehr wollte. Ich möchte gerne ein Team haben, das gerne kommt – also: Wie soll ich denn dann sein? Was sollen andere Menschen über mich sagen, wenn sie zum Beispiel beim Friseur sitzen?

Und wie geht das konkret?

Du setzt dich intensiv damit auseinander. Du schreibst dir konkret auf, was deine kurzfristigen Ziele sind und was deine große Vision ist: Wie ist es, wenn alles möglich wäre? Wenn du die Mitarbeiter anziehst, die du haben willst, sodass dich gar nicht mehr selbst darum kümmern musst? Sie Fans deiner Organisation sind, die deine Gäste begeistern? Vielleicht, dass du ein zweites Restaurant aufmachen kannst? Größer wirst? Das ist jedem selbst überlassen, aber Träume zu verwirklichen, das ist erst dann möglich. Du solltest auch aufschreiben: Wofür bist du dankbar? Übrigens auch für Fehler, die du gemacht hast.

Darüber habe ich mit Bodo Janssen vor einiger Zeit ein Gespräch geführt. In seinem Buch, das er im Lockdown geschrieben hat, betont er das Thema Dankbarkeit ebenfalls. Ich fand das recht beeindruckend, in so einer Situation, als Urlaubshotellerie, wenn die deutschen Nordseeinseln dicht gemacht werden, über Dankbarkeit nachzudenken. „Eine Frage der Haltung“, ein Buch, aus dem ich auch selbst als Privatmensch und Solo-Selbständiger etwas mitgenommen habe.

Wir sehen in einer Krise ja meist erstmal nichts Positives. Aber du siehst es, wenn du dich darauf konzentrierst, was denn positiv sein kann, du inne hältst und dein Bewusstsein auf positiv programmierst. Das kannst du lernen. Du musst es nur trainieren und jeden Tag machen. Alles beginnt mit einer Entscheidung. Führung ist die Entscheidung, Verantwortung zu übernehmen für das komplette Team. Deine Veränderung ist die Entscheidung, ja das Verlangen danach, dein Ziel zu erreichen. Und selbst fest daran zu glauben, dass du es erreichen willst. Wenn du dran bleibst, dann bist du im Positivstrudel drin und bleibst auch drin.

Wie wird die Gastronomie im Jahr 2025 aussehen hinsichtlich der Punkte, über die wir gesprochen haben?

Erfolgreich werden die Betriebe sein, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, die sich ehrlich um ihre Leute kümmern. Und die ihre Arbeitskultur flexibel gestalten, sich den Bedürfnissen der Menschen anpassen. Auch in der Gastronomie ist das möglich! Wenn jemand sagt: Ich habe ein Kind, ich habe einen Hund, ich habe nur dann und dann Zeit – es geht alles. Aber es ist natürlich eine innere Haltung nötig: Will ich das eingehen, bin ich bereit dazu, das flexibel gestalten?

Ich denke auch, Führungskräfte werden noch viel mehr die Rolle des Netzwerkers eingehen. Es wird oft gesagt: Sie sind Coach, Psychologe, Vorbild. Mir persönlich fehlt der Netzwerker. Wir netzwerken online, aber wir dürfen das auch im Betrieb tun. Kommunikativ sein, öfter in den Austausch gehen. Regelmäßig und nicht nur einmal im Monat im Mitarbeitergespräch. Wenn wir aus der Managerrolle rausgehen, dann werden wir Erfolg haben. Manager geben nur Druck weiter und verstehen oft gar nicht, was die Leute brauchen, was ihnen fehlt. Wir sind aber immer ein Teil des Teams. Es funktioniert nur zusammen. Ich habe die Leute, die bei mir angefangen haben, früher immer als erstes gefragt: Warum hast du denn woanders aufgehört?

Eine gute Frage.

Die meisten haben gesagt: Ich wurde nicht gesehen, ich wurde alleine gelassen, ich konnte mich nicht weiterentwickeln. Und von jedem zweiten ungefähr kam: Ich habe zu wenig verdient oder wurde gar nicht bezahlt. Geld ist ein wichtiger Punkt. Die Leute kommen vielleicht nicht zu dir, weil du die besten Löhne zahlst, aber wir dürfen die Menschen honorieren für das was, sie machen und ihnen mehr Geld zahlen.

Vielen Dank, Jessica.

Mehr Informationen und Kontakt unter www.jessica-lackner.com, eine Leseprobe ihres Buchs gibt es hier.

Weiterlesen:

KOMMENTIEREN

* Durch die Verwendung dieses Formulars stimmen Sie der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website zu.