Ein zartes Zusammen, kein „Fusion-Food“: 10 Jahre Kochu Karu, Berlin

Das koreanisch-spanische Restaurant hat jetzt auch ein Deli

von Jan-Peter Wulf
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Bini Lee und José Morillo. Foto: Kochu Karu

         Gut zehn Jahre, seit Mitte 2012, gibt es das Restaurant „Kochu Karu“ im Prenzlauer Berg in Berlin nun schon. Nachhaltiger Erfolg, und das mit einem Konzept, das ungewöhnlicher nicht sein könnte – denn hier finden die koreanische und die spanische Küche zusammen. Wo gibt es das sonst schon? Vielleicht sogar – sachdienliche Hinweise nehmen wir gerne entgegen – kein zweites Mal auf der Welt.

Man habe bislang jedenfalls noch kein Restaurant entdeckt, das ebenfalls diese Ausrichtung hat, erklären uns die Betreiber, Gastgeberin Bini Lee und Küchenchef José Morillo. Bini stammt aus Südkorea, ist ausgebildete Sopranistin, sie hat auch in Deutschland in der Oper und am Theater gearbeitet. José wuchs in Andalusien auf und kochte in Berlin u.a. schon in den Luxushotels Das Stue und im The Ritz-Carlton. Südkorea und Südspanien liegen ziemlich weit voneinander entfernt, doch es gibt eine direkte Verbindung: den Breitengrad. Seoul liegt am 38., die andalusische Hafenstadt Cadiz, die Heimat Morillos, auch. Es gebe viele kulinarische Linien, die sich ziehen lassen, erklärt das Paar uns: Fischsaucen ähneln sich, in beiden Ländern wird Reis gegessen, getrocknete und gedörrte Krustentiere findet man in beiden Küchen und es gibt (essbare) Pflanzen, die sowohl in Spanien als auch in Südkorea vorkommen. Chili, einst aus Amerika eingebracht, würzt spanische Speisen ebenso wie das Kimchi. 

Bei den gemeinsamen Reisen nach Korea habe er oft Pflanzen entdeckt, die er aus Spanien kennt, berichtet José. Etwas Botanik-Recherche (wie gut, dass es Latein gibt!) und man konnte schon oft die Artverwandtschaft verifizieren. Bei der Klette beispielsweise: Sie wächst hüben wie drüben, in Spanien wird sie wegen ihrer blutreinigenden Eigenschaften geschätzt. Und die uralte koreanische Tempelküche, eine pflanzenbasierte, heute würde man sagen vegane Küche, arbeitet schon immer mit den Heilkräften der Natur. Auf diese Weise hat sich das „Kochu Karu“ ein ganz eigenes Konzept aufgebaut – „Fusion“ trifft es eigentlich nicht, der Begriff tritt zu schwergewichtig auf für diese subtile, sanfte Art, mit der hier Grundprodukte und Zutaten kombiniert werden.

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Blick ins Restaurant: Die Wände gestaltete der Berliner Künstler Ulrich Scheel

„Kochu Karu“, das ist weder frittiert-gegrillte spanische Restaurantküche noch fleischlastiges Korean BBQ. „Die koreanische Küche ist ursprünglich sehr zart, es wird viel gekocht und gedämpft“, erklärt Bini. Was damit zu tun hat, dass das Land keine großen Waldgebiete hat, den Menschen wenig Brennholz zur Verfügung stand und statt ausgiebiger Feuer, auf denen man grillen und rösten konnte, vieles auf einmal gekocht werden musste – ein Topf, insofern ist die koreanische Küche ursprünglich eine Suppen- und Eintopfküche (und wisst ihr was, für ein amtliches Kimchi-jjigae lasse ich sämtliches Feuerfleisch liegen).

Auch ein Element der Tempelküche, die man übernommen hat, ist die ganzheitliche, modern würde man sagen nachhaltige Nutzung von Gemüse: Chicorée-Stengel landen nicht im Müll, sondern werden in Buchweizen gewendet, gebraten und mit Zitrus-Chutney serviert. Tomaten, Auberginen, Pilze – Produkte, die sich auch in der spanischen Küche finden, werden im „Kochu Karu“ auch fermentiert und an den Tisch gebracht. „Dafür braucht man schon etwas Übung, aber an diese zarten Strukturen trauen wir uns heute auch heran“, erklärt José. Schon wieder dieses schöne Wort: zart. 

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Mandu Guk mit Holunderkrautdumpling, Frühlingslauch. Sansho-Pfeffer und Chiliöl

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Fleisch regionaler Herkunft wird bevorzugt

PXL 20221207 183053812 2 - interviews-portraits, gastronomie, food-nomyblog Ein zartes Zusammen, kein „Fusion-Food“: 10 Jahre Kochu Karu, BerlinAuch den 53. Breitengrad, auf dem sich Berlin befindet, bezieht man ins Konzept ein: Viele der Produkte stammen aus der Region, die Karte wechselt monatlich. „Dinge wie Raps oder Rucola findest du in allen drei Regionen“, erklärt Jose. Und statt ihn von weit her zu importieren, bezieht man den Fisch von einem nachhaltig arbeitenden Unternehmen wie seinem Lieferanten Frisch Gefischt aus Hamburg.

Vom Erfolg zu Existenzängsten

Ihr Konzept haben Bini Lee und José Morillo über die Jahre verfeinert. Den Lunch, an den wir uns noch sehr gut erinnern, stellten sie 2014 wieder ein. Frische Küche mit drei Gängen vs. zeitlich wie budgetär knappe Berliner Mittagspause, da war kein Sieg zu holen. Statt dessen fokussierten sie sich auf das Abendgeschäft und wechselten von Tapas (bzw. Banchan, dem koreanischen Pendant) auf Menüs – mit Erfolg. Das „Kochu Karu“ wird im „Bib Gourmand“ empfohlen, der Tagesspiegel-Kritiker hofft, dass das Restaurant keinen Stern erhält, „weil dann die neuen Gäste unweigerlich die gelassene, unprätentiöse Atmosphäre kippen würden“ und beim bekannten Hauptstadt-Genussfestival „eat!Berlin“ erhält das „Kochu Karu“ den Publikumspreis. Die Pressemeldung dazu ging am 1. März 2020 raus. „Wir waren richtig ausgebucht, es war jeden Abend voll“, erinnert sich Bini. Drei Wochen lang, dann wurde das Restaurant geschlossen wie alle anderen im Lande – Lockdown. „Unsere Selbständigkeit lief endlich richtig gut, und dann auf einmal diese krasse Unsicherheit. Da hatte ich das erste Mal Existenzängste.“

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Genuss im Weckglas: „Nimm.Mahl!“

Aus der Not heraus, komplett umdenken zu müssen, entwickelte man eine Tugend: „Nimm.Mahl!“, eines der stimmigsten Lieferkonzepte, das uns in der Coronazeit begegnet ist: Nicht etwa wurden die Speisen in Einwegverpackungen bereitgestellt, sondern in hübschen Weckgläschen angerichtet. Die Speisen brachte man zu verschiedenen Weinhändler*innen der Stadt, dort konnten die Gäst*innen sie sich nach Vorbestellung abholen. Kurze Wege innerhalb der großen Stadt dank dezentralem Pick-up und ein Zusatzgeschäft für die Weinhandlungen – es dürften nur wenige keine Flasche Wein dazu gekauft haben – bis hin zu neuer Kundschaft für beide. Und der größte Teil der Gläser sei auch zurück gekommen, so Bini. Zwei Jahre lang führte man es fort, zuletzt über das Gourmet-Delivery-Startup Voilà.

Kochu Karu Deli: Zuwachs auf der anderen Straßenseite

Jetzt kommt „Kochu Karu“ in Weckgläschen erneut in Schwung, denn gleich gegenüber vom Restaurant eröffneten Bini und José Ende Oktober das Kochu Karu Deli. Kein Restaurant, sondern eben ein Feinkostgeschäft (mit gelegentlichen Essen und Verkostungen freilich). Hier gibt es hausgemachte Spezialitäten wie Kimchi, Algensalat, die sauleckere Tofucreme oder Dressings, aber auch spanische Wurst und Käse, Weine sowie Produkte der koreanischen Küche, die man in gängigen Asiashops nicht bzw. nicht in dieser Qualität findet, beispielsweise Perillaöl oder hochwertiger Makgeolli. „Hochqualitative Produkte aus Korea werden bislang selten im Ausland repräsentiert, da gibt es viel Potential“, erklärt uns Bini. Und auch im Deli wird aus der Linie Spanien-Südkorea ein Dreieck, denn auch ausgewählte regionale Produkte gehen über den Tresen, unter anderem Cocktails in Flaschen von der Bar „Beckett’s Kopf“ und Essige von Schnelles Grünzeug.

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Bei der Eröffnung des „Kochu Karu Deli“

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Die vielleicht beste Restaurant-Knabberei Berlins mit Lotuswurzelchips

Und dann ist da noch das Thema Servicekultur. Es liegt Bini, die sich zur Sommelière hat ausbilden lassen und die bei den Berliner Meisterköchen nominiert als „Berliner Gastgeber 2018“ nominiert worden ist, sehr am Herzen. Deswegen habe sie sich auch sofort bei Proud To Kellner gemeldet, als sie von dem Anfang 2022 gegründeten Schulterschluss Berliner Service-Profis erfuhr. Für die Quereinsteigerin haben die Bühnen des Theaters bzw. der Oper und des Restaurants viele Überschneidungen. Allerdings weniger als Plattform der Selbstdarstellung, wie man vielleicht vorschnell denken könnte. Auf einer Bühne zu stehen, erklärt sie, erfordere erst einmal die Fähigkeit, beobachten, verstehen und interagieren zu können: „Das ist im Theater genauso wie im Restaurant. Proud To Kellner ist schon deswegen eine wichtige Initiative, weil sie dafür sorgt, dass ich mich mit mir selbst und meiner Rolle auseinandersetze. Was bedeutet dieser Beruf für mich? Wieso habe ich mich dafür entschieden? Warum bereitet er mir so viel Spaß? Das sollte ich für mich selbst klar haben.“

Für sich selbst hat Bini es zweifellos – wenn sie durch die Tür kommt, sagt sie, lässt sie Sorgen und Probleme für sechs Stunden hinter sich, Licht an. Doch ist das Talent, Gabe, oder kann man das erlernen? Die Antwort kommt schnell und ist eindeutig: „Natürlich kann man das lernen!“ Das Problem bestehe nicht darin, dass man es nicht lernen könne, sondern dass niemand es einem beibringt in der Gastro-Ausbildung. Technik, Teller raustragen – nebensächlich, findet die Gastgeberin. Statt dessen sollten Psychologie, Empathie, Kommunikation, Ausdrucksform und Haltung (Körpersprache ebenso wie Einstellung) vermittelt werden. Und mit leuchtenden Augen ergänzt sie: „Ich bin mir total sicher, dass junge Menschen heiß darauf sind. Und dann auch wieder Spaß an diesem Beruf haben werden.“ Das klingt gut.

Für 2023 hat man sich im „Kochu Karu“ vorgenommen, die Karte des Restaurants wieder etwas lockerer zu gestalten, ein bisschen zurück zu den Anfängen: Neben festen Menüs wird es daher auch ein Angebot à la carte geben, auch einige Klassiker kommen zurück – möglicherweise etwas neu interpretiert und kombiniert. Und wunderbar entspannten und herzlichen Service, den gibt es dazu. Wir wünschen alles Gute für die nächsten zehn Jahre und weit darüber hinaus.

www.kochukaru.de

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