Gastronomie in Italien: Salz ins Nudelwasser statt in die Wunde

von Marianne Rennella
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Alle Fotos: Marianne Rennella

Come stai, bella Italia? Während meines diesjährigen Italienurlaubs versuchte ich, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Doch bei jedem Versuch mit Gastronomen und Gastronominnen ins Gespräch zu kommen, sie auf die Monate der Krise anzusprechen — ich hatte zunehmend das Gefühl, damit einfach nur Salz in die Wunde zu streuen.

Hätt’ man’s nicht gewusst, hätt’ man’s nicht gemerkt. In den Gassen Rapallos, einer Küstenstadt in Ligurien, flanieren die Touristen auch in diesem August zwischen den Ständen der Kleidungs- und Feinkostläden umher, essen Eis, trinken Aperol Spritz und stehen für Focaccia an. Wie jedes Jahr eigentlich — bis auf die Masken, die hier konsequent auch in den Gassen getragen und liebevoll mascherine, „Mäskchen“, genannt werden.

Doch dies ist der Blick durch die rosarote Sonnenbrille. Setzt man diese einmal ab und schaut genauer hin, so erkennt man die Spuren der Krise deutlich: leerstehende Lokale mit Meerblick, früh schließende Nachtbars und keine Piazza-Partys weit und breit. Und spricht man die Einheimischen einmal an und fragt nach, so merkt man schnell: Sie wollen gerade nicht drüber reden. Ich habe keine Zeit, komm doch später noch mal vorbei, gerade ist’s ungünstig. Vielleicht sollte ich dabei bleiben, Salz ins Nudelwasser zu streuen statt in die Wunde, denn der August ist ein guter Monat, da will niemand freiwillig an die schlechten Monate davor zurückdenken. Der August ist belebt vom Tourismus, da will sich keiner die leergefegten Städte während des Lockdowns ins Gedächtnis rufen. Alle sehnen sich nach etwas bella vita in bella Italia.

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Und ich sehne mich nach einem Stück Focaccia al Formaggio nach dieser Erkenntnis. Die ligurische Spezialität hat wenig mit der klassischen Focaccia zu tun, denn sie ist hauchdünn und mit Crescenza, einem cremig-flüssigen Frischkäse gefüllt, der durch seine kurze Reifezeit von 5 bis 6 Tagen wunderbar mild ist. Die beste Focaccia al Formaggio in Rapallo gibt es bei Il Focacciaio, bei dem die riesigen gefüllten Fladen zu Stoßzeiten beinahe minütlich aus dem Ofen geholt werden. Die Leute stehen Schlange, die Terrasse ist vollbesetzt und dennoch nehmen sich die Betreiber Zeit, mir ein paar Fragen zu beantworten. Come stai, caro Focacciaio?

Rosella, die Tochter von einem der Inhaber, erzählt mir, von Mitte März bis kurz nach Ostern seien sie komplett geschlossen gewesen. Die Ungewissheit über die Zukunft sei dabei das Schlimmste gewesen. Und dass nach der Wiedereröffnung keine Gäste kamen, der Laden leer blieb, Leute Leute mieden. Schnell hätten sie sich also für das Liefergeschäft bereitgemacht, ihren Facebook- und ihren Instagram-Account reaktiviert und darüber ihr Take-Away-Angebot beworben. Dieses habe allerdings nur einen Bruchteil des normalen Umsatzes eingebracht, berichtet ihr Vater Stefano Campodonico, denn die Menschen hätten Angst gehabt und jegliches Risiko vermieden.

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Doch irgendwann fingen sie wohl an, ihre geliebte Focaccia al Formaggio, die Pizzata und die Farinata des Hauses zu vermissen. Im Mai wurde das Geschäft langsam mehr, im Juni reisten die ersten Touristen an, im August sei es dann explodiert, erzählt Stefano. Als Familienunternehmen seien sie um Entlassungen herumgekommen, sagt sein Bruder Massimo, zweiter Inhaber der Pizzeria/Focacceria, während er die dampfende Focaccia al Formaggio für die nächsten Bestellungen portioniert und sich parallel mit der Küche verständigt. Dem „Focacciaio“ geht es wieder gut, denn der Focacciaio macht es gut.

Come stai, bella Italia? Dem Land geht es nicht gut, seinen Bewohnern schon — zumindest im Sommer. Man möchte jetzt erstmal das Meer genießen, nicht an gestern und nicht an morgen denken. So machen es ebenfalls die Politiker; auch sie liegen im August mit rosaroter Sonnenbrille am Strand. Und der Sommer geht hier noch ein Weilchen, die Terrassensaison ist noch lange nicht vorüber. Also bleibt noch etwas Zeit, sich einen Plan für den Winter zu überlegen. Strenge Abstandsregeln, konsequente Hygienemaßnahmen, Ausbau der Lieferdienste — Italien wird alles tun, um die Restaurants nicht noch einmal schließen zu müssen. Auch Regierungschef Giuseppe Conte weiß: Salz in die Wunde zu streuen bringt nichts und versprach öffentlich, dass es einen weiteren Lockdown nicht geben wird. Wir wünschen es uns.

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