„Zu Tisch!“ in Wirsberg: Eindrücke von der Premiere des Open-Source-Foodfestivals

Große Genüsse und inspirierende Gedanken

von Jan-Peter Wulf
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Idylle in Oberfranken: Wirsberg

Es gibt viele Genussfestivals und es gibt zahlreiche Fachveranstaltungen, bei denen es um die Zukunft der Foodbranche geht. Beides zusammengeführt hat das neue Format „Zu Tisch!“ im oberfränkischen Wirsberg. Wir waren beim Auftakt vor Ort – hier sind unsere Impressionen.

Die Trüffel die auf dem hölzernen Marktstand schön angerichtet ausliegen, stammen nicht aus Franken. Noch nicht jedenfalls. Denn schon bald, erfahren wir von Sebastian Jungbluth, könne er seine eigenen Erzeugnisse präsentieren. Der gelernte Garten- und Landschaftsbauer hat 2018 in Giebelstadt südlich von Würzburg den „Trüffelpark“ errichtet, ein 40.000 Quadratmeter großes Areal, das nicht nur dazu dienen soll, das begehrte Lebensmittel im Boden gedeihen zu lassen, sondern das zugleich auch ein Refugium für Insekten, Reptilien, Nager und Niederwild werden soll, mit Blühwiesen, Steinhaufen und Hecken rund um die Trüffelbäume (jene Baumarten wie Haselnuss oder Hainbuche), an denen Trüffel wachsen. Es braucht Zeit, Slow Food im wahrsten Sinne des Wortes, bis Jungbluth seine Produkte dann vornehmlich an die Gastronomie liefern kann. Die Kollegen von der „Ramenmanufaktur“ sind schon ein bisschen weiter – ihre handwerklich gefertigten Ramen und Udon aus regionalem Biomehl werden bereits in einer gläsernen Manufaktur in Nürnberg gefertigt und u.a. an den „Bayerischen Hof“ geliefert. Ein fast überall erhältliches Produkt besser, frischer, genussvoller zu machen, ist das Ziel.

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Solche Trüffel kommen bald aus der Region, nachhaltig erzeugt

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Ramenmanufaktur: Nudeln aus gläserner Produktion

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Pilz-Pracht von „Kraterpilze“

Es sind zwei von rund 50 „Freaks“, Genusshandwerker*innen, die sich Anfang Mai auf den Weg ins kleine Wirsberg gemacht haben, um hier ihre Produkte und Ideen vorzustellen. Anlass ist die erste Ausgabe von Zu Tisch!, einem Foodfestival mit Open-Source-Ansatz: Es soll um Genuss gehen, um Essen und Trinken, ja, aber auch um das Dahinter. Was treibt die Menschen an, die diese Produkte erzeugen? Wie arbeiten sie? Und was muss sich in der Food-Branche bewegen, ändern, verbessern?

Deswegen gibt es an diesem sonnigen Sonntag, Traumwetter, nicht nur zahlreiche Stände für das leibliche Wohl, sondern auch viele Angebote zur Inspiration und Weiterbildung. Zum Beispiel im „Lab“, dem Genusslaboratorium des Gourmetrestaurants Aura by Alexander Herrmann und Tobias Bätz, in dem Lebensmittel verfeinert, fermentiert, auf völlig natürliche Weise haltbar gemacht und ihr Geschmack weiterentwickelt wird. Die Gäste lassen sich von Foodscout Joshi Oswald und Team die Apparaturen und Verfahren erklären, bei Workshops, die den ganzen Tag hindurch stattfinden, tauchen sie in die Welt der Aromen und des Geschmacks ein.

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Foodscout Joshi Osswald gibt Einblicke ins Lab

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Alexandra Rehberger erklärt, warum Wein auch herzhaft schmeckt

PXL 20230507 060921803 - streetfood, gastronomie, food-nomyblog, events „Zu Tisch!“ in Wirsberg: Eindrücke von der Premiere des Open-Source-FoodfestivalsSo etwa beim spannenden Umami-Workshop von Alexandra Rehberger vom Romantik Schloss Hotel Hohenstein in Ahorn bei Coburg, Gastgeberin und Wein-Expertin. Sie erklärt den Neugierigen, wie der herzhafte Geschmack in den Wein kommt – unter anderem durch die Glutaminsäure in den Schalen und die Hefelagerung. Doch während man auf Sake-Etiketten oft Hinweise finde, wie herzhaft das jeweilige Produkt schmeckt, sei dies beim Wein ein bislang noch recht unerforschtes Terrain. Dabei seien wir schon qua Muttermilch, umami pur, auf diese Geschmackseigenschaft konditioniert – sie regt den Speichelfluss an, verlängert den Nachgeschmack, bereitet dem Genuss den Boden. Doch man beschäftige sich beim Sommelier-Wettbewerben lieber mit der Aufzählung von Zweitmarken der Champagnerhäuser statt mit diesem genuinen Geschmacksbereiter, einer fast verkannten Basis dafür, dass Gäste einen guten und genussvollen Abend haben, so die Expertin.

Wirsberg ist winzig, und so lässt sich an diesem Tag mit wenig Mühe extrem viel mitnehmen. Wir laufen rüber ins schicke Bürgerzentrum, wo wir am Stand der Tourismusschule Franken in Kronach unter einer VR-Brille einen virtuellen Moscow Mule mixen, während nebenan in der Küche beim Backkurs für Kids die Stimmung steigt. Im Saal finden verschiedene „Food-Talks“ statt: In einem geht um nachhaltige Landwirtschaftssysteme. Der Wiener Waldökologe Arthur Cisar-Erlach erklärt, dass Agroforstwirtschaft – also die Kombination von Landwirtschaft und Baum- bzw. Strauchbestand – dann erfolgreich sein wird, wenn man das Holz auch als Genusslieferant erkenne. Holz, Genuss – Fasslagerung, klar, aber zum Beispiel auch Sojasauce aus Tannennadeln (derartige besondere Sojasaucen entstehen unter dem Namen Papa Mame vor Ort in Wirsberg).

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Drei der Initiatoren von „zu Tisch!”: Die Köche und Gastgeber Alexander Herrmann und Tobias Bätz und Claus-Christian Carbon, Universität Bamberg (links)

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Beim Talk „Zurück in die Zukunft – mit Händen arbeiten“ wird leidenschaftlich darüber diskutiert, wie handwerklich erzeugte, also mit enorm viel körperlicher Arbeit entstandene Lebensmittel mehr gesellschaftliche Wertschätzung bekommen können. Ein Spannungsfeld: Zum einen sind Weine, wie die Winzerin Ilonka Scheuring aus Margetshöchsheim sie produziert, ebenso ist es das Gemüse von Bio-Gärtner Sebastian Niedermeier aus Bamberg, natürlich teurer als industrielle Massenware. Doch zum anderen sollen bessere Produkte wie diese nicht nur Wenige, die es sich leisten können, erreichen – die Agrar- und Ernährungswende, um mal den ganz großen Begriff zu verwenden, stellt die Frage nach Gerechtigkeit in vielen Dimensionen. Die Antwort? Müssen diejenigen geben, die die Macht haben, hier die richtigen Weichen zu stellen.

Um eine Wende bzw. das Weichenstellen Richtung Zukunft ging es auch beim Talk der Initiative proudtokellner – wir berichteten – in der charmanten Holzscheune nebenan: Wie bekommt der Kellner*innenberuf mehr Anerkennung? Die Komplexität des Berufs, die emotionale Intelligenz, die er braucht, so eine Wortmeldung aus dem Publikum von einer selbst im Service arbeitenden Frau, werde von vielen Gästen oft gar nicht wahrgenommen. Es sei noch viel Aufklärungsarbeit vonnöten, auch an den Berufsschulen, an die Mitglieder der immer größer werdenden Initiative mittlerweile gehen und dort von ihrer Profession berichten.

Stichwort Schule: Ein besonderes Highlight war die Gesprächsrunde mit Schulkindern, die von ihrem schultäglichen Essen, (groß)elterlichen Kräutergärten, persönlichen Vorlieben und Wünschen berichteten. Es darf gerne gesund sein, wenn es schmeckt, so eine Botschaft, die wir aus der munteren Runde mitgenommen haben. Und warum nicht den Unterricht mal auf den Acker verlegen oder Landwirtschaft – wo unser Essen wächst – live kennen lernen, wie angeregt wurde?

Wir nehmen viele Eindrücke von diesem Hybrid aus Genussfestival und Food-Konferenz mit, kulinarisch wie gedanklich. Und sind sehr gespannt, wie der erst Anfang 2023 gegründete Verein freakstotable, der hinter dem Format steht, sein Thema – Lebensmittel-Wissen zu bewahren und zu teilen – vorantreibt. Dass es 2024 eine zweite Auflage geben wird, steht schon fest. Und eventuell sogar mehrtägig.

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