Transparenz und Teilhabe: Wie Gastronomien sich für eine bessere Mitarbeiterbindung neu erfinden

Beispiele aus Brandenburg, Berlin, Hamburg und anderswo

von Jan-Peter Wulf
dylan gillis KdeqA3aTnBY unsplash 1 - personal, management, gastronomie Transparenz und Teilhabe: Wie Gastronomien sich für eine bessere Mitarbeiterbindung neu erfinden

Foto von Dylan Gillis auf Unsplash

Während viele Tech-Startups von Anfang an mit Unternehmensanteilen locken, ist das Thema Beteiligung in der Gastronomie-Branche noch weitgehend unbekannt. Überhaupt: Ein offener Umgang mit den Zahlen des Unternehmens wird innerhalb der Teams selten gepflegt. Nun öffnen sich erste Betriebe für diese Thematik. Transparenz und Teilhabe: eine Möglichkeit, sich im Wettbewerb um Talente zu profilieren?

Wer wissen möchte, welches Gehalt die Schweizer „Familie Wiesner Gastronomie“ in ihren 34 Betrieben mit fast 1.000 Mitarbeitenden zahlt, muss dafür nur eine Webseite aufrufen. Hier hat das Unternehmen einen Gehaltsrechner eingerichtet. Wer den gewünschten Arbeitsbereich von Küche bis Delivery auswählt, die Position, Aus- und ggfs. Weiterbildung sowie die Berufserfahrung eingibt, bekommt prompt das Salär angezeigt. Mit diesem Schritt habe man die Geheimnistuerei rund um den Lohn abgeschafft, erklärte Geschäftsführer Daniel Wiesner dem Magazin Prestige Business. Statt Spekulationen zu fördern, könne so über das Wesentliche gesprochen werden, nämlich die Mitarbeitenden selbst, ihre Aufstiegsmöglichkeiten und somit auch ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens.

„Open Book Management“ im „Brikz“

Auch im Berliner Restaurant „Brikz“ pflegt man diese Transparenz in Sachen Gehalt. Mehr noch: Als das Restaurant von Arne Anker im November 2020 (mitten im Lockdown, wir berichteten) zunächst mit Abholung und Lieferung eröffnete, besprach man im Gründungsteam gemeinsam, wie hoch die Löhne sein sollten – bzw. aufgrund der besonders herausfordernden Startsituation sein konnten.

Open Book Management nennt die Wirtschaftswissenschaft dieses Prinzip der (finanziellen) Transparenz in Unternehmen, die hier kultiviert wird: Neuanschaffungen für die Küche wie kürzlich ein Herd, die Gestaltung des Menüs für die Gäste inklusive Preisgestaltung, Arrangements, Aktionen, bis hin zur Dekoration des Gastraums – alles wird gemeinsam entschieden und Grundlage der Entscheidung ist das Wissen, wie viel auf dem Firmenkonto ist und was erwirtschaftet werden muss, sodass am Ende des Monats die Zahlen stimmen.

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Arne Anker. Fotos: Brikz

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Blick ins „Brikz“

„Mehrere Menschen, die wissen, was gut und schlecht für den Betrieb ist, sind besser als nur einer“, erklärt Betreiber Arne Anker. Fünf Augenpaare, fünf Perspektiven – das sorge für mehr Sicherheit, neue Ideen und für eine Entlastung des Chefs. Was so plausibel klingt, ist in der Branche nichtsdestoweniger ungewöhnlich. Weiß Anker, der schon in diversen Gourmetrestaurants gearbeitet hat: „Da bekommt die Küche höchstens die Foodcost-Anteile durchgegeben. 25 Prozent, 30, 35 – aber was heißt das? Sind 30 Prozent gut oder schlecht? Das können viele gar nicht beurteilen.“

Die Transparenz schafft Kontext und führe, so Anker, zu kreativem Mitdenken – ob es neue Angebote für die Gäste sind, die Kalkulation für Speisen und Getränke oder wie sich Energiekosten sparen lassen. „Eine ehrliche Transparenz ist aus meiner Sicht in dieser Zeit entscheidend. Sie schafft Vertrauen und die muss unbedingt da sein“, findet Anker. Für ihn ist dies aber nur ein erster Schritt: Das Team in Form von Boni am Erfolg des Restaurants finanziell teilhaben zu lassen, ist für Anker das erklärte Ziel. „Wenn wir genügend verdienen und die Umsätze stimmen, dann sollen alle etwas davon haben.“

Doppelter Gewinn dank Umsatzbeteiligung

Eine solche Beteiligung kann sogar umsatzförderlich, weil motivierend sein, zeigt das Beispiel des gastronomischen Betriebs, den Annik Rauh aus Brandenburg führte. Als sie den Entschluss fasste, die Mitarbeitenden am Gewinn partizipieren zu lassen, war das Bistro des „Marienbads“ allerdings nicht gerade auf Erfolgskurs. Es herrschte hoher Krankenstand, Ware verschwand, permanenter Stress und Unzufriedenheit dominierten den Alltag der Gastronomin. Zusperren – oder alles umstellen: vor diesen beiden Optionen habe sie 2019 gestanden, berichtet sie.

Sie entschied sich für Option zwei. Zu einem besseren Arbeitsklima und einem gesünderen, motivierteren Team würde man nur gelangen, wenn man den Mitarbeitenden die Möglichkeit gibt, „das, was sie tun, als ihres zu betrachten“, so Rauh. Und was täte dieses mehr, als sie tatsächlich zu beteiligen?

Sie führte eine Gewinnbeteiligung ein (keine Risikobeteiligung, die auch bei Verlusten greift) und der Effekt stellte sich sofort ein: Schon im ersten Monat verdoppelte das Bistro seinen Gewinn und blieb auf gutem Kurs, sodass den Mitarbeitenden ein halbes Jahr später ein Bonus auf die Gehälter ausgezahlt werden konnte, anteilig nach Jahren der Betriebszugehörigkeit (1 Jahr: 1% des Gewinns, 2 Jahre 2% usw. bis 5 Jahre Zugehörigkeit). 500 Euro im Schnitt kamen so extra auf das Konto der seinerzeit sieben Beschäftigten. „Wenn es gut läuft, kann man locker ein Drittel des Gewinns an seine Mitarbeiter auszahlen“, findet Rauh.

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Annik Rauh. Foto: privat

Neben der Gewinnbeteiligung führte sie noch zwei weitere Neuerungen ein: zum einen die Offenlegung der Gehälter wie im „Brikz“ und zum anderen, dass fortan im Team entschieden wird, ob jemand Neues eingestellt wird. Als sich beispielsweise ein neuer Koch bewarb, wurde gemeinsam diskutiert: Zahlen wir ihm das vom geforderte (hohe) Gehalt und haben dadurch eine entsprechende Entlastung in der Küche, aber auch weniger Gewinn, oder leisten wir im Bestandsteam mehr Arbeit und haben am Ende mehr übrig? In diesem Fall habe sich das Team für die zweite Lösung entschieden, so Rauh.

Schnell habe sie bemerkt, dass der Schritt zur Beteiligung sie persönlich enorm entlastet habe. „Engagieren statt Kontrollieren“, wie sie es nennt, gab ihr das gute Gefühl, nicht ständig und überall gebraucht zu werden. Verstetigen konnte sich dieses neue Setup allerdings nicht, einmal mehr wegen Corona. 2021 gab Annik Rauh den Betrieb ab, während der Lockdowns hatte sie ihre Tätigkeit als Gastro-Coach forciert und unterstützt Unternehmen der Branche nun in ihren Transformationsprozessen. Das Thema Beteiligung werde dabei noch sehr zögerlich behandelt, hier wünscht sie sich mehr Mut, hat sie doch selbst erlebt, dass es Vorteile mit sich bringt. Der erste Schritt dahin ist für sie das „innere Aufräumen“, der Wille zum Wandel: „Man muss erst einmal seine Werte und Ziele für sich klar haben. Wie soll es sich anfühlen, wenn wir arbeiten?“

Das „Studio Haebel“ wird zur Beteiligungsgesellschaft

Bei Fabio Haebel in Hamburg steht eine Beteiligung der Mitarbeitenden jetzt ins Haus: Seit Kurzem bietet er den 39 Personen, die im Restaurant „hæbel“, in der „XO Seafoodbar“ und in der „bægerie“ tätig sind, die Möglichkeit, sich am Unternehmen zu beteiligen. Auch hier geht es ausschließlich darum, den Mitarbeitenden Vorteile zu verschaffen: Sie profitieren vom Gewinn, müssen bei Verlusten aber nicht in die eigene Tasche greifen. Dafür haben sie kein offizielles Mitspracherecht wie in anderen Beteiligungsformen, sie können strategische Entscheidungen damit nicht blockieren bzw. erzwingen. „Das Risiko trage ich“, so Haebel, der in einem Vortrag bei einem Fachevent der Branchenplattform „SIP“ sein Modell dem Publikum vorstellte:

Dafür gibt der Gastronom einen kleinen Anteil seines Unternehmens an sein Team ab. Jahr für Jahr der Unternehmenszugehörigkeit wächst der Anteil der Beteiligung, somit profitieren alle Beteiligten, je länger sie dabei sind. Verlässt jemand das „Studio Haebel“ früher, kommt es auf die Art des Austritts an. Bei einem Rausschmiss aus unrühmlichen Gründen gibt es nichts (das nennt man „bad leaver event“), bei ordentlicher Kündigung, z.B. wegen beruflicher Umorientierung, erhält die entsprechende Person eine Auszahlung basierend auf dem Anteil, den sie aktuell hält.

Zudem wird derzeit noch ausdefiniert, welche weiteren Optionen es im Rahmen der Beteiligung für die Mitarbeitenden geben soll – zum Beispiel der Möglichkeit einer Ausgründung, also die Auslagerung einer Geschäftseinheit zu einer eigenständigen Unternehmung, wie man es aus anderen Branchen kennt. Man sieht hier schon: Das Vorhaben ist komplex. Neben einem guten halben Jahr Planung hat Haebel auch einen fünfstelligen Betrag für das Setup investiert. 

Doch er tut es gerne: Die Antwort auf die Frage, was die Gastronomie tun könne, um mehr Mitarbeitende zu bekommen, ist für ihn, sich vom Modell des alleinigen Gesellschafters zu verabschieden und Mitarbeitende zu einem Teil des Unternehmens werden zu lassen: „Wir möchten Wissen bündeln, Synergien knüpfen und gemeinsam großartige Gastronomie machen.“

Und das nicht nur ideell nach dem Motto „Wir sind wie eine große Familie“, sondern ganz reell in Euro und Cent, die den Mitarbeitenden/Beteiligten zugute kommen. Immer mehr Betriebe im Gastgewerbe, u.a. die Hotelkette Ruby, setzt auf eine Beteiligung von Mitarbeiter*innen. Wir werden das Thema im Auge behalten.  

Wer derzeit nach einem Nebenjob in Hamburg sucht, kann sich hier über die aktuellen Stellenangebote sowohl in der Gastronomie als auch in anderen Branchen informieren. 

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